Ein Bodycheck im Spiel der Starbulls Rosenheim gegen den SC Riessersee veränderte das Leben von Mike Glemser für immer. Der Bruchteil einer Sekunde in einem Spiel der Eishockey-Oberliga Süd, als Jan Niklas Pietsch ihn berührte und Glemser mit dem Kopf voraus in die Bande stürzte. Zwei Halswirbel brachen, der damals 25-Jährige war fortan querschnittsgelähmt.
Ein tragischer Fall, der nun auch die Gerichte beschäftigt. Denn Glemser hat am 27. August am Landgericht München II Klage gegen seinen Gegenspieler eingereicht. Es geht um Schmerzensgeld in Höhe von 650.000 Euro sowie die Feststellung, dass Pietsch für mögliche Folgeschäden haften soll, somit liegt der Streitwert bei 822.000 Euro.
Jurist Schickhardt: "Die Schwere der Verletzung ist keine Voraussetzung"
Christoph Schickhardt ist spezialisiert auf Recht des professionellen Sports und gilt als einer der führenden Sportanwälte Deutschlands. Er selbst hat ähnliche Fälle schon selbst betreut, war der Anwalt von Fußballprofi Karl Allgöwer, als dieser Bodo Illgner verklagte, weil der ihn ohne Chance auf den Ball umgerannt und mit einem Riss in der Schulter zurückgelassen hatte. Allgöwer und Illgner einigten sich damals außergerichtlich - auf rund 15.000 Mark Schadensersatz.
Die Summe, um die es im Fall Glemser geht, ist aufgrund der Schwere der Verletzung deutlich höher. Auf eine mögliche Verurteilung hat das allerdings keine Auswirkungen, erklärt Schickhardt im Exklusiv-Interview mit BR24Sport: "Es ist ganz wichtig: Die Schwere der Verletzung ist keine Voraussetzung für eine Strafe. Er könnte den gleichen Prozess führen, wenn er nicht in den Urlaub fahren konnte, weil er kurzfristig verletzt war", so der Jurist.
Fall Glemser: normales Foul oder unsportlich?
Entscheidend für eine Verurteilung seien vor allen Dingen zwei Faktoren: "Zunächst ist mal das Allerwichtigste, und die Grundvoraussetzung für eine Klage, dass eine Regelwidrigkeit dieser Sportart vorliegt. Das scheint hier der Fall zu sein", erläutert Schickhardt. Doch ein Foul bedeutet nicht gleich Anspruch auf Schadensersatz.
Entscheidend sei dieser von "kampfbetonter Härte", die Sportart zu Sportart unterschiedlich sei, zur "Unfairness". Ein Schubser, eine Grätsche wäre im Turnen im Regelfall strafbar, im Fußball sind solche Aktionen Alltag. "Jeder, der bei dieser Sportart mitmacht, hat praktisch die Einwilligung in solche normalen Regelwidrigkeiten gegeben. Die sind nicht vom Schadensersatz gedeckt. Ansonsten würden tausende Sachen vor Gericht landen."
Körperverletzungen im Sport: "Kein Mensch willigt in Unfairness ein"
Entscheidend sei, ob eine Aktion unfair gewesen ist. "Kein Mensch willigt in Unfairness ein", erklärt Schickhardt. Eine mutwillige Blutgrätsche eines Fußball-Verteidigers, ohne Chance auf einen Ballkontakt, sei zivilrechtlich relevant. "Beim Basketball - früher ein körperloses Spiel - gibt es ganz andere Maßstäbe als beim Eishockey. Eishockey ist ein ganz extremer Kontaktsport. Ein Bodycheck gehört dazu. Die Hürde von kampfbetonter Härte und Unfairness sind viel höher", so Schickhardt. Dementsprechend kompliziert dürfte es werden, Pietsch eine solche Tat nachzuweisen.
Glemser-Zitat "kein guter Start in den Prozess"
Glemser hatte im vergangenen Jahr noch gesagt, Pietsch müsse sich keine Vorwürfe machen: "So ein Check gehört zum Sport dazu." Eine Aussage, die im Widerspruch zu genau dieser Voraussetzung für eine Verurteilung steht. Glemser hatte in einem Instagram-Post erklärt, dass er diese Aussage getätigt habe, um einen Shitstorm gegen Pietsch abzuwenden und dem Sport Schaden zu ersparen. Dennoch: In den Augen von Schickhardt ist dieses Zitat "kein guter Start in den Prozess, weil er genau das aussagt, woraus sich ergeben würde, dass er selbst keinen Anspruch hat. Aber das Gericht wird das nicht zur wichtigsten Grundlage machen, sondern den Fall genau untersuchen."
Auswirkungen auf den Sport: "Dies ist kein Musterfall"
Auswirkungen für den Eishockeysport, wie Fans zuletzt diskutiert haben, und auch Pietschs Anwalt Wolfram Chech gegenüber der "Bild" ins Spiel gebracht hatte, erwartet Schickhardt nicht. "Die Fakten sind seit Anfang der 80er-Jahre geschaffen. Es gibt unzählige Urteile dazu. Dies ist kein Musterfall oder hat weitreichende Auswirkungen. Die Rechtsprechung ist sehr klar", sagt Schickhardt und fügt an: "Fußball, Eishockey, Football, Boxen sind Kampf- und Kontaktsportarten. Bei diesen Sportarten wird es bei Kontakten bleiben, sonst wären sie schon abgeschafft. Die Rechtsprechung schafft nur einen Schadensersatz für extreme Situationen."
Wie genau das Gericht entscheidet, bleibt abzuwarten. Weitreichende Folgen wird es für den Sport laut Schickhardt allerdings nicht geben, egal wie das Verfahren ausgeht. Von Kläger und Angeklagten kann dasselbe allerdings nicht behauptet werden.
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