Einen Meilenstein nennt es der DGB-Kreisverband Aschaffenburg-Miltenberg, einen Mühlstein die Verwaltung der Stadt Aschaffenburg: Anfang der Woche hat der Aschaffenburger Stadtrat beschlossen, städtische Aufträge nur noch an tariftreue, faire und ökologisch nachhaltige Unternehmen zu vergeben. Der Beschluss ging auf einen Antrag von SPD, Grünen, Kommunale Initiative und UBV zurück, der eine deutliche Mehrheit bekam. Demnach soll die Verwaltung nun Ausführungsbestimmungen erarbeiten, wie der Beschluss umgesetzt werden kann. Hintergrund: Bayern ist eines der letzten Bundesländer in Deutschland, das kein eigenes Tariftreue- und Vergabegesetz hat.
Kritik vom Aschaffenburger Bürgermeister
Aschaffenburgs Oberbürgermeister Jürgen Herzing (SPD) sieht den Stadtratsbeschluss kritisch. Auf die Stadt kämen nun bei der Auftragsvergabe etliche Hürden zu, zumal sich aktuell nur rund 40 Prozent der Betriebe an einen Tarifvertrag gebunden hätten, im Handwerk sogar noch weniger, so Herzing: "Das heißt, all diese Betriebe, auch viele Kleinbetriebe, werden von unseren Aufträgen ausgeschlossen. Wir haben im Moment Schwierigkeiten, überhaupt manchmal Angebote zu bekommen."
Als konkretes Beispiel nennt Herzing einen aktuellen Auftrag: In der Aschaffenburger Stadthalle werde gerade ein neues LED-Beleuchtungskonzept umgesetzt. Hier gebe es nur eine Spezialfirma, die das macht. "Was, wenn diese Firma nicht tariftreu ist?"
Standards überprüfen: Großer Aufwand oder nicht?
Dazu kommen laut Herzing höhere Kosten bei den Aufträgen. Nicht zuletzt, weil auch zwei bis drei Stellen in der Verwaltung geschaffen werden müssten, die überprüfen, ob das Unternehmen tatsächlich tarifgebunden ist oder zumindest die tariflichen Standards einhält.
Johannes Büttner von den Grünen im Stadtrat und Manuel Michniok von der SPD halten dagegen: Es gebe die Möglichkeit, bei der Auftragsvergabe die Unternehmen schon vorher dazu aufzufordern, den Tarifvertrag mit anzuhängen, auch ein Anruf bei den Gewerkschaften wäre möglich. Das sei kein großer Aufwand und brauche auch keine zwei bis drei Stellen mehr für die Überprüfung.
DGB: "Gerechtigkeitslücke geschlossen"
Der DGB-Kreisverband Aschaffenburg-Miltenberg nennt den Stadtratsbeschluss einen "Meilenstein auf dem Weg zu einer sozialen, ökologischen und somit nachhaltigen Vergabepraxis der Stadt". Der Stadtrat habe damit eine Gerechtigkeitslücke geschlossen. "Bisher ist die Praxis so, dass der wirtschaftlichste, sprich der billigste Auftragnehmer den Zuschlag bekommt. Künftig sollen gute Arbeitsbedingungen eine Rolle spielen. Bisher werden die Unternehmen bevorzugt, die ihre Beschäftigten nicht gut entlohnen", so Björn Wortmann, DGB-Kreisvorsitzender Aschaffenburg Miltenberg, im Gespräch mit BR24. Er sehe Aschaffenburg jetzt als Vorreiter und als Impulsgeber in Richtung bayerische Staatsregierung, ein Tariftreue- und Vergabegesetz auf Landesebene zu schaffen, damit die Kommunen auch Rechtssicherheit haben.
Tarif-Anträge in Würzburg und Schweinfurt durchgefallen
Dass der Beschluss in Aschaffenburg ein bayernweiter Meilenstein für faire Arbeit und Löhne sei, wie es der DGB einschätzt, sieht Oberbürgermeister Herzing ganz anders: "Die Städte Würzburg und Schweinfurt und auch die Landkreise um uns herum haben entsprechende Anträge bereits abgelehnt. Den Effekt, den man erzielen will, dass Aschaffenburg der Vorreiter ist und die anderen ziehen nach, der ist damit bereits verpufft. Deswegen sagen wir, der Beschluss ist kein Meilenstein, sondern ein Mühlstein für die Verwaltung, weil wir noch langsamer werden, mehr bezahlen müssen und mehr Personal brauchen."
Entwurf liegt Anfang 2024 zur Abstimmung auf dem Tisch
Die Aschaffenburger Stadtverwaltung wird sich mit dem Beschluss jetzt auseinandersetzen. Oberbürgermeister Jürgen Herzing sagte, als Nächstes würden Gespräche mit IHK und HWK geführt. Dann werde die Stadt das alles nochmal rechtlich prüfen lassen – von der Regierung von Unterfranken als Vergabestelle und von einem Fachanwaltsbüro. Die Ergebnisse sollen dann Ende Januar oder Anfang Februar 2024 erneut im Stadtrat vorgestellt werden, der den entsprechenden Entwurf dann nochmal bestätigen muss.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!