In Deutschland gibt es immer mehr Pflegebedürftige und es fehlen immer mehr Pflegekräfte. Welche innovativen Ansätze könnten helfen? Und welche Strukturveränderungen braucht es aus Sicht der Pflegekräfte?
Pflege-Ausbildung mit VR-Brille
Leon Fresl macht eine Ausbildung zum Pflegefachmann. Die Berufsfachschule für Pflege in München testet die Virtual Reality-Brille von "Stell Dir Vor", mit der die Auszubildenden virtuell in Pflegesituationen eintauchen, um so ihre Kompetenzen zu erweitern. So muss Fresl auf einer virtuellen Krankenstation auf den fiktiven Sturz einer Patientin reagieren. Mit Hilfe der VR-Brille steht er mittendrin in der virtuellen Station, kann alle Geräte nutzen und sogar mit der Patientin sprechen. Für Pflegeschulen sei es eine innovative Chance, Menschen für den Beruf zu gewinnen, betont Schulleiterin Stefanie Johnen.
Auszubildende: "Man fühlt sich besser vorbereitet"
Die Übung mit der VR-Brille kommt an im Unterricht. Nina Dörr ist im zweiten Ausbildungsjahr zur Pflegefachfrau und sagt, sie fühle sich viel besser vorbereitet, wenn sie Arbeitssituationen virtuell noch einmal durchgehen könne.
Fehler bei ersten Einsätzen führen zu Verunsicherung. Frustration ist ein Grund, warum fast jeder Dritte die Pflegeausbildung abbricht. Besonders ausländische Fachkräfte, die die Sprache noch nicht perfekt beherrschen, verlassen das System, das schon jetzt völlig überlastet ist. Carmen Reimer-Pröbstl von der Praxisanleitung des Benedictus Krankenhaus im Landkreis Starnberg bestätigt, dass die Sprache ein großes Hemmnis sei. "Da kann man ansetzen mit der VR-Brille, dass sie in Übung kommen können mit Kommunikation."
Hunderttausende Pflegeprofis werden fehlen
Derzeit gibt es rund 5,7 Millionen Pflegebedürftige in Deutschland, die von Fachkräften versorgt werden. Der Bedarf an Pflegeprofis: rund 1,69 Millionen. Doch es gibt nur rund 1,56 Millionen in der stationären oder ambulanten Pflege. Bis 2049 bräuchte es nach konservativen Hochrechnungen 2,15 Millionen Fachkräfte. Es wird aber nur rund 1,46 Millionen geben. 690.000 Pflegeprofis fehlen dann.
Die Menschen sorgten sich, dass sie, wenn sie etwa inkontinent würden, von einem Roboter versorgt würden. Doch das sei "Quatsch", klärt Professor Matthias Drossel von der Fakultät Interdisziplinäre und Innovative Wissenschaften der Hochschule Hof auf: "Das funktioniert überhaupt nicht, sondern es muss wirklich darum gehen, Robotik und alltagsunterstützende Systeme einzusetzen, wo sie einen Nutzen bringen."
Professor: "Warum gibt es keine Betriebskurzzeitpflege?"
Die 61-jährige Lisa Wilk ist voll berufstätig, zudem pflegt sie ihre 85-jährige Mutter, die tagsüber Rundum-Betreuung braucht. "Ich muss für jeden Arztbesuch frei nehmen", sagt Wilk. Wenn ein Kind krank sei, bezahle die Krankenkasse für Krankheitstage, zieht Wilk den Vergleich.
Experten fordern neue Wege im System, wie etwa eine bezahlte Pflegezeit für Angehörige oder eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Pflege, wie auch Drossel unterstreicht: "Warum gibt es denn keine Betriebskurzzeitpflege oder Tagespflege viel mehr? Ich glaube, genau da müssen wir uns hin entwickeln."
Einrichtungsleiter: "Innovationen ersetzen nie eine Pflegekraft"
Wilk hat einen Platz für ihre Mutter in einer Tagespflege am Starnberger See gefunden. Der dortige Geschäftsführer Armin Heil steht Innovationen offen gegenüber, manch neue Technik ist im Einsatz. Bald wird ein kleiner Roboter kommen und schon jetzt sorgt ein "digitaler Aktivitätstisch" für Abwechslung, auf dem mittels Apps auf einem großen Bildschirm interaktiv gelesen, gespielt und im Internet gesurft werden kann. Er soll den Senioren helfen, kognitiv fit zu bleiben.
Dass technische Innovationen den Pflegenotstand entschärfen könnten, sieht Heil allerdings nicht: "Die ganzen Innovationen ersetzen nie eine Pflegekraft. Diese Illusion sollten wir nicht verbreiten." Ein verpflichtendes soziales Jahr und die Zusammenlegung von Medizinischem Dienst und Heimaufsicht sieht er als Stellschrauben, mit denen man das System entlasten könnte. Auch solle endlich das Pflegekompetenzgesetz verabschiedet werden, damit die Pflegeprofis nicht etwa wegen jedes Wundverbandrezepts den Umweg über den Arzt machen müssten, resümiert Heil.
Bayerns Staatsministerin für Gesundheit, Pflege und Prävention, Judith Gerlach (rechts) im Gespräch mit BR-Moderatorin Isabella Kroth.
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