Polizisten betreten zum Start des Wirecard Kapitalanlegermusterverfahrens die Wappenhalle in München.
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Der Start des Wirecard Kapitalanlegermusterverfahren in der Wappenhalle in München.

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Wirecard-Anleger: Gericht rät zu "gütlicher Einigung"

Wirecard-Anleger: Gericht rät zu "gütlicher Einigung"

Der Anfang ist gemacht. Am Bayerischen Obersten Landesgericht hat das Kapitalanleger-Musterverfahren begonnen. Ob, wann und von wem Ex-Wirecard-Aktionäre Schadensersatz bekommen, das ist aber noch lange nicht beantwortet.

Über dieses Thema berichtet: Wirtschaft am .

Als die Präsidentin des Bayerisches Obersten Landesgerichts, Andrea Schmidt, um kurz nach zehn eines der größten Gerichtsverfahren in der deutschen Geschichte eröffnet, sind viele Stühle in der Münchener Wappenhalle unbesetzt. Das liegt vielleicht an den Minusgraden und an dem in der Nacht gefallenen Schnee. Nur wenige Ex-Wirecard-Aktionäre haben sich auf den Weg in die Landeshauptstadt gemacht, vor Ort sind vor allem Anwälte und Journalisten.

Großer Saal, wenig Gäste

Um möglichst vielen der früheren Wirecard-Aktionäre die Möglichkeit zu geben, den Auftakt des Kapitalmusterverfahrens (KapMuG) vor Ort zu verfolgen, hat das Gericht die Halle auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens München-Riem angemietet. Das steinerne, 700 Quadratmeter große Gebäude wird heute als "Event-Location" genutzt, aber ein "Event" ist der Prozessauftakt wahrscheinlich nur für eingefleischte Juristen und KapMuG-Kenner.

Denn über mehrere Stunden hinweg trägt Richterin Andrea Schmidt ihre Ausführungen zu dem sogenannten Vorlagenbeschluss vor. Diesen Beschluss und die darin enthaltenen Feststellungsziele hat das Landgericht München I erstellt. Darin sind unter anderem die Fehler und Versäumnisse zusammengetragen, die die langjährigen Wirecard-Bilanzprüfer von EY bei ihrer Arbeit nach Auffassung der Musterkläger gemacht haben.

Haftung der Wirecard-Bilanzprüfer: Fällt EY unter das KapMuG?

Der Vorlagenbeschluss ist die Voraussetzung dafür, dass überhaupt ein solches Verfahren stattfinden kann. In ungewöhnlicher Deutlichkeit bezeichnete der Senat des Bayerischen Obersten Landesgerichtes den vorgelegten Beschluss heute "nach vorläufiger Beurteilung als äußerst dürftig".

So stellte der Senat in der mündlichen Hauptverhandlung fest, viele der im Vorlagenbeschluss genannten Ziele seien "unbestimmt" und "unzulässig". Eine Entscheidung darüber will der Senat am 28. Februar kommenden Jahres verkünden – ein Ergebnis des heutigen Tages. Allerdings liegen dem Bayerischen Obersten Landesgericht noch weitere Anträge von beigeladenen Musterklägern mit 2.500 zusätzlichen Feststellungszielen vor. Darüber will das Gericht separat entscheiden.

Musterbeklagter in diesem Verfahren ist neben Ex-Wirecard-Vorstandschef Markus Braun unter anderem EY. Das Wirtschaftsprüfungs-Unternehmen hatte sich jahrelang die Geschäftszahlen des Aschheimer Zahlungsdienstleisters angesehen und am Ende ein sogenanntes Testat ausgestellt. Ob ein solches Testat eine Kapitalmarktkommunikation darstellt und inwiefern EY deswegen überhaupt im Zuge des KapMuG-Verfahrens für eventuelle Schadensersatz-Forderungen herangezogen werden kann, mit dieser Frage wird sich der 1. Zivilsenat des Gerichtes ebenfalls beschäftigen müssen.

In der Verhandlung ließ das Gericht erkennen, dass es dazu noch keine feste Meinung hat. EY hat schon vor Beginn der mündlichen Verhandlung klargemacht, dass es Schadensersatz-Forderungen für unbegründet hält.

Antrag wollte dem Gericht die Zuständigkeit entziehen

Im Rahmen des Wirecard-KapMuG sind die Klagen von 8.500 früheren Wirecard-Aktionären gebündelt. Ihre eventuell vorhandenen Schadensersatz-Ansprüche werden im KapMuG-Verfahren am Beispiel eines Musterklägers verhandelt. Hinzu kommen weitere 19.000 Anleger, die sich an dieses Verfahren angehängt haben. Insgesamt geht es um finanzielle Forderungen in Höhe eines einstelligen Milliarden-Betrags. Genau beziffern kann aber selbst das Gericht die Summe nicht.

Bevor Richterin Andrea Schmidt inhaltlich überhaupt loslegen konnte, teilte sie mit, dass den Senat unmittelbar vor Verhandlungsbeginn der Antrag einer Anwaltskanzlei erreicht habe. Darin sei die Zuständigkeit des Bayerischen Obersten Landesgerichts für das KapMuG grundsätzlich angezweifelt worden. "Das Gericht geht davon aus, dass es für die Durchführung des Verfahrens zuständig ist", sagte Schmidt nach einer kurzen Unterbrechung der Hauptverhandlung. Das will der Senat in einem formellen Beschluss darlegen.

Richterin sieht Chance für gütliche Einigung

Schmidt forderte die Prozessbeteiligten zudem mehrfach und nachdrücklich auf, eine gütliche Einigung in Erwägung zu ziehen: "Alle Beteiligten wären gut beraten, darüber nachzudenken und zeitnah Gespräche zu führen." Nach Auffassung des Senats gebe es für alle Prozessrisiken. Wie lange das heute formell gestartete KapMug-Verfahren dauern wird, ist nicht absehbar. Angesichts der Komplexität der Materie rechnen Prozessbeobachter mit einer Dauer von mehreren Jahren. "Heute schon eine Prognose über die exakte Verfahrensdauer abzugeben, ist verfrüht", sagte Gerichtssprecher Laurent Lafleur.

Im Video: Am Bayerischen OLG hat das Kapitalanleger-Musterverfahren gegen Wirecard begonnen

Wirecard-Aktionäre: Forderung nach Entschädigung
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