Für Prof. Timo Grimmer ist es "ein Grund zum Feiern": Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) empfahl am 14.11.2024 die Zulassung des Alzheimer-Medikaments Lecanemab. "Wir haben jetzt nach über 20 Jahren eine neue Klasse von Medikamenten zur Behandlung der häufigsten Ursache einer Demenz: der Alzheimer-Krankheit", freut sich Grimmer, Leiter des Zentrums für kognitive Störungen am Klinikum rechts der Isar in München.
Was das neue Medikament für Betroffene und Angehörige bedeutet. Antworten auf die wichtigsten Fragen:
Wann wird Lecanemab verfügbar sein?
Die EMA hat die Zulassung nur empfohlen, nicht erteilt. Das kann nur die EU-Kommission. "Heute oder morgen passiert da erst mal gar nichts", bremst Grimmer deshalb die Erwartungen. Die Kommission hat ab dem Datum der EMA-Empfehlung 67 Tage Zeit für ihre Entscheidung. Die müsste also spätestens am 20. Januar 2025 fallen. Danach benötigt die Herstellung des Antikörper-Medikaments Zeit, da es schwieriger ist, Antikörper herzustellen als Tabletten. Der Verein "Alzheimer Forschung Initiative e.V." rechnet mit einer Verfügbarkeit in Deutschland Anfang bis Mitte 2025.
Zahlt Lecanemab die Krankenkasse?
Nach Zulassung gibt es zunächst eine einjährige befristete Kostenübernahme durch die Krankenkassen. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) prüft unterdessen, ob die Kosten für das Medikament langfristig übernommen werden. Dazu werden Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit bewertet. In den USA kostet Lecanemab etwa 25.000 Euro jährlich pro Patient. Die Behandlung ist aufwändig: Zweiwöchentliche Infusionen und regelmäßige MRT-Scans zur Überwachung von Nebenwirkungen wie Hirnschwellungen. In Großbritannien hat der National Health Service (NHS) die Kostenübernahme abgelehnt.
Wer kann mit Lecanemab behandelt werden?
Das Medikament wirkt nur bei "Menschen mit einer Alzheimerkrankheit in einem sehr frühen symptomatischen Stadium. Also Menschen, die ein wenig vergesslich sind, vielleicht auch Orientierungsstörungen haben, aber noch weitgehend ihren Alltag selbst bewältigen können", erklärt Grimmer. Leichte kognitive Störung nennt sich dieses Krankheitsstadium. Und auch bei Menschen mit leichtgradiger Demenz sei der Wirkstoff eine Hoffnung. Ist die Krankheit schon fortgeschritten, kann Lecanemab nichts mehr ausrichten.
Darüber hinaus hat die EMA eingeschränkt: Das Mittel soll nur für Alzheimer-Patienten verwendet werden, die nur eine oder keine Kopie von Apoε4, einer bestimmten Form des Gens für das Protein Apolipoprotein E, haben. Bei Menschen mit zwei Apoε4-Kopien zeigte sich ein hohes Risiko für bestimmte schwerwiegende Nebenwirkungen wie etwa Schwellungen und Blutungen im Gehirn. Insgesamt wird Lecanemab nur für etwa 10 Prozent der Patienten infrage kommen, schätzt Prof. Stefan Teipel vom Deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen in Rostock/Greifswald.
Wie wirkt Lecanemab im Vergleich zu bisherig verfügbaren Alzheimer-Medikamenten?
Bisherige Alzheimer-Arzneimittel lindern nur die Symptome – Lecanemab hingegen greift in den Krankheitsprozess ein. Es reduziert Ablagerungen des Proteins Amyloid-beta, das mit der Zerstörung von Nervenzellen in Verbindung gebracht wird. Die Clarity-AD-Studie (externer Link) zeigte, dass Lecanemab den kognitiven Abbau um etwa 30 Prozent verlangsamte, was einem Krankheitsaufschub von knapp sechs Monaten entspricht. "Klar ist, dass Lecanemab kein Wundermittel ist", betont Prof. Peter Berlit von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie in Berlin: Es heilt Alzheimer nicht, bietet aber ein lebenswertes halbes Jahr mehr im frühen Krankheitsstadium.
Welche neuen Medikamente und Forschungsansätze gibt es neben Lecanemab?
Neben Lecanemab ist Donanemab ein weiteres Antikörper-Arzneimittel, das Amyloid-beta abbaut. In den USA und Großbritannien ist es bereits zugelassen. Eine EMA-Entscheidung wird im Februar 2025 erwartet. Prof. Christian Behl von der Universitätsmedizin Mainz allerdings kritisiert die Fokussierung auf Amyloid-beta: "Jeder vernünftige Wissenschaftler würde heute schon sagen, die Kausalität, dass Amyloid wirklich die Ursache dieser Erkrankung ist, ist bis heute nicht gezeigt."
Prof. Timo Grimmer stimmt deshalb optimistisch: Es gibt auch neue Erkenntnisse über ein weiteres Protein, das giftige Plaques bilden kann, das sogenannte "Tau"-Protein: "Tatsächlich hat jetzt vor ein paar Wochen auf einem internationalen Kongress erstmals eine gegen Tau gerichtete Therapie bei Menschen Ergebnisse vorgestellt, die auch ermutigend sind“. Weitere Forschungsansätze beschäftigen sich mit Entzündungs- und Stoffwechselprozessen im Gehirn.
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