Menschen jüdischer oder palästinensischer Abstammung haben es derzeit nicht leicht. Das gilt für jene, die seit dem 7. Oktober unter dem Krieg in Israel und Gaza leiden. Und auch im Ausland ist das Leben für sie kompliziert geworden. Sie bangen um ihre Angehörigen, die im Kriegsgebiet geblieben sind und dort ausharren müssen. Gleichzeitig müssen Jüdinnen und Juden in Deutschland zunehmend antisemitische Anfeindungen fürchten, die seit dem Überfall der Hamas auf Israel erheblich zugenommen haben.
Und Menschen mit palästinensischen Wurzeln? Auch sie haben in Deutschland, speziell seit dem Ausbruch des Krieges, wegen ihrer Herkunft Angst – wie palästinensische Studierende aus Erlangen und München berichten.
Kritik Studierender aus Palästina: "Leute sehen nur den 7. Oktober"
Abia, in Deutschland geboren, Kind palästinensischer Eltern, studiert derzeit in Erlangen Medizin im sechsten Semester. Eigentlich wollte sie im Rahmen ihrer Ausbildung auch mal ein Praktikum in einem Krankenhaus in Jerusalem machen. Das funktioniert wohl für längere Zeit nicht.
Der 7. Oktober, der Tag des Überfalls der Hamas auf Israel, hat auch für die 27-Jährige einiges verändert. Sie könne es zwar nachvollziehen, "wenn die Menschen sagen, nach einem solchen Terroranschlag bin ich absolut für die israelische Seite", sagt sie. Doch die junge Frau ärgert es, wenn die Leute den Nahost-Konflikt jetzt nur anhand des Tags des Überfalls der Hamas beurteilen. Die Geschichte des Konflikts sei viel länger, gibt die Medizinstudentin zu verstehen. "Das hat 1917 angefangen, mit England, dann 1948, dann 1967 und so weiter und so fort. Aber das, was die Leute sehen, ist der 7. Oktober und alles davor nicht mehr", beklagt Abia.
Sich an der Universität klar für Palästina positionieren, will sie aber trotzdem nicht. Nur ihr Kopftuch und ein kleines Armband mit Palästina-Schriftzug am Handgelenk deuten auf ihre Herkunft hin. Das sei wie bei jüdischen Studenten, sagt die Muslimin, "man hat Angst, etwas zu sagen". Und man werde "sofort als Terrorist bezeichnet, man wird sofort in einen Eimer geworfen von Hamas", begründet die Studentin ihre Zurückhaltung.
Palästinensischer Studierender: Kein Schämen für "Positionen"
Dass viele den Überfall der Hamas als das eine und einzige terroristische Ereignis sehen, das alles aus dem Lot gebracht hat, und die Geschichte Palästinas und Israels ausblenden, kritisiert auch Nadi. Der 19-Jährige, der wie Abia palästinensische Wurzeln hat und in München studiert, kann zwar verstehen, dass manche jetzt Angst haben. Dennoch sagt er, jeder habe eine "Position" und niemand solle sich dafür schämen – auch nicht dafür, "diese Stimme zu nutzen". Nadi geht deshalb auch auf Pro-Palästina-Demonstrationen.
Komitee für mehr Aufmerksamkeit und Veränderungen gegründet
Auf einer der Demonstrationen hat Nadi auch Kilian getroffen, der aus einem bayerischen Dorf stammt. Mit ihm hat er ein Komitee ins Leben gerufen, das Aufmerksamkeit für palästinensische Positionen bringen soll. Nadi und Kilian hoffen, dass Studierende und Lehrende sich dadurch für politische und hochschulpolitische Veränderungen starkmachen. "Wir möchten ein Vorbild sein und andere Leute inspirieren, damit sie auch Aktionen machen an den Universitäten, damit sie ihren Ort politisieren", so Kilian.
"Wir möchten einfach, dass wir auch gehört werden. Wir verurteilen die Angriffe der Hamas und bemitleiden alle Menschen, die von Leid erfahren haben, ob mit jüdischem oder palästinischem Hintergrund. Aber wir setzen uns hauptsächlich für die palästinensische Seite ein", beschreibt Nadi, der Student mit palästinensischen Wurzeln, das Ziel des Komitees. Das Gleichgewicht, das nach Meinung Nadis seit 1948 nicht mehr besteht, solle so wiederhergestellt werden. Es seien aber auch jüdische Mitglieder im Komitee, betont er. Schließlich gehe es darum, "das Ganze" von mehreren Perspektiven zu beleuchten, "damit wir nicht sagen: Ja, wir stehen hier und sind laut, weil wir Palästinenser sind, sondern, weil wir uns für Menschenrechte einsetzen", erklärt Nadi.
Abia, die Medizinstudentin aus Erlangen, sieht es ähnlich. Als Kind habe sie Anne Frank gelesen und findet die Geschichte der Jüdin aktueller denn je. Die habe gesagt, irgendwann werden wir Menschen sein, zitiert die Studentin mit palästinensischen Wurzeln die junge Autorin, die 1945 im KZ Bergen-Belsen ums Leben kam. Das Gleiche fühle sie auch. "Irgendwann", sagt Abia," werden wir wieder Menschen sein und nicht nur Palästinenser oder Muslime oder Christen, die in Palästina leben".
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