Ein Mann entfernt Schmierereien auf dem Boden der Zeppelintribüne.
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Nazi-Schmierereien auf der Zeppelintribüne: Solche Vorfälle nehmen zu, sagt der neue Leiter des Dokuzentrums Reichsparteitagsgelände.

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Antisemitismus: "Neue Dimension der Schamlosigkeit"

Antisemitismus: "Neue Dimension der Schamlosigkeit"

Immer häufiger fallen in Deutschland antisemitische Äußerungen und die NS-Zeit wird verharmlost. Museen wie das Dokuzentrum Reichsparteitagsgelände in Nürnberg sind deshalb wichtiger denn je, sagt der neue Leiter. Die Schamlosigkeit nehme zu.

Über dieses Thema berichtet: regionalZeit - Franken am .

Das Nürnberger Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände ist ein zentraler Ort der Erinnerung an die Geschichte des Dritten Reichs. Vor 22 Jahren eröffnet, wird es derzeit modernisiert und neu ausgerichtet. Vor allem junge Menschen sollen nach der Wiedereröffnung gezielt angesprochen und über den Nationalsozialismus aufgeklärt werden, sagt der neue Leiter des Hauses, der Historiker Imanuel Baumann. Auch, um Antisemitismus und Verharmlosung der NS-Geschichte entgegenzuwirken.

An die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit heranführen

Er sei nicht überrascht, dass antisemitische Äußerungen und rechtsextreme Schmierereien, wie kürzlich an der Nürnberger Zeppelintribüne, derzeit wieder zunähmen, sagte Baumann im Gespräch mit dem BR. "Allerdings ist diese Schamlosigkeit, die durch diese Besprühung und Schändung zum Ausdruck kommt, nochmal eine neue Dimension", so der Historiker. "Es ist ja nicht ganz neu in der Bundesrepublik, es verläuft in Wellen. Aber es zeigt mir, wir dürfen uns nicht zurücklehnen. Wir haben noch nicht ausgelernt. Und es gibt ja auch immer wieder neue Generationen, die man auch in neuer Weise wieder heranführen muss an die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit."

Social Media & Co.: Konzept an neue Rezeptionsweisen anpassen

Gerade die Ansprache junger Menschen sei bei der Neukonzeption der Dauerausstellung im Dokuzentrum Reichsparteitagsgelände nach fast 25 Jahren wichtig, so Imanuel Baumann. So müsse etwa auf veränderte Rezeptionsgewohnheiten eingegangen werden: "Denken Sie an Social Media. Kurze Texte, kurze Botschaften, trotzdem mit Substanz. Partizipativer. Dass ich mich 'verhalten können' soll, bewerten kann. All das versuchen wir, digital oder analog mit einzubeziehen. Das ist ein Weg, um auch für junge Menschen attraktiv zu bleiben", erläutert er einen Aspekt der neuen Ausstellung.

Museum will Reflexion über Geschichte fördern

Dabei will das Museum eine Interaktivität schaffen, die auf Reflexion setzt, denn daran mangele es häufig, meint der Historiker. Das sei in der Corona-Zeit besonders deutlich zutage getreten. Das elfjährige Mädchen in Karlsruhe, das erklärte, sie fühle sich wie Anne Frank, nur weil sie im Lockdown ihren Geburtstag heimlich feiern musste, nennt Baumann "geschichtsvergessen", ebenso wie Jana aus Kassel, die sich mit Sophie Scholl verglich.

Die Aussage aus dem Querdenker-Spektrum in Baden-Württemberg 'Ja, Elser hat sich was getraut', sei bereits geschichtsrevisionistisch – der NS-Widerstandskämpfer Georg Elser versuchte 1939 vergeblich, die nationalsozialistische Führung durch einen Sprengsatz im Münchner Bürgerbräukeller zu töten. Dafür wurde er 1945 im Konzentrationslager Dachau ermordet. Alle drei hätten sich völlig unreflektiert auf die Geschichte bezogen. "Und das ist die große Herausforderung: Wenn die NS-Geschichte und die Verbrechen immer weiter zurück rücken, das ins richtige Maß zu setzen in der Gegenwart, vor allem für junge Menschen."

Vielfältige Erinnerungskultur, die nicht von oben kommt

Nach Ansicht des neuen Dokuzentrums-Leiters muss Erinnerungskultur vielfältig sein. Da brauche es auch die Zivilgesellschaft und Initiativen. "Man kann und soll das begleiten, als Historikerin, als Historiker, Sozialwissenschaftler, mit einer fachlichen Expertise. Aber wenn man nur die fachliche Expertise hat, dann ist es ein Gedenken oder ein Erinnern, ein wissenschaftliches Angebot von oben, was unter Umständen gar nicht die Menschen erreicht. Deshalb ist es mir wichtig, beides zusammenzubringen." In Stuttgart, wo Imanuel Baumann im Haus der Geschichte Baden-Württemberg tätig war, sei zum Beispiel die frühere Gestapo-Zentrale, das "Hotel Silber", dank einer Bürgerinitiative nicht abgerissen worden, sondern sei heute ein Museum. Baumann nennt es "ein Joint Venture zwischen Wissenschaft, Haus der Geschichte und Bürgerschaft."

Neues Gesamtkonzept für ehemaliges Reichsparteitagsgelände

Für das ehemalige Reichsparteitagsgelände in Nürnberg braucht es aus Sicht des Historikers ein Gesamtkonzept, das den Besucherinnen und Besuchern das gesamte Gelände erklärt. Die verschiedenen Orte wie Zeppelintribüne, Zeppelinfeld, Bahnhof Dutzendteich und Bahnhof Märzfeld müssten sich aufeinander beziehen. "Und wir werden da auch ein Konzept vorlegen, was schlüssig erklärt, auch für die Öffentlichkeit, warum jeder einzelne Ort wichtig ist", sagt Imanuel Baumann.

Auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände zelebrierte die NSDAP ihre Parteitage. Das Zeppelinfeld diente als Aufmarschgelände und Ort der Masseninszenierung. Am Bahnhof Dutzendteich kamen die Teilnehmer der Parteitage im Minutentakt an, während der ehemalige Bahnhof Märzfeld zum An- und Abtransport von Kriegsgefangenen diente. 1941 und 1942 wurden von hier aus zudem mehr als 2.000 Jüdinnen und Juden in die Vernichtungslager im Osten transportiert.

Imanuel Baumann am Mikrofon in einem Studio.
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Imanuel Baumann, der neue Leiter des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, im Interview mit der Bayern2-Regionalzeit.

Über den Historiker Imanuel Baumann

Imanuel Baumann wurde 1974 in Lahr im Schwarzwald geboren. In Freiburg studierte er Neuere und Neueste Geschichte, Literatur und Kunstgeschichte und promovierte zur Geschichte der Kriminalwissenschaft und zum Umgang mit Straftätern im 20. Jahrhundert. An der Universität Halle-Wittenberg habilitierte er. Praxis-Erfahrung sammelte Baumann unter anderem in der Gedenkstätte Buchenwald und im Haus der Geschichte Baden-Württemberg, wo er die Geschichtsvermittlung über die ehemalige Gestapo-Zentrale für Württemberg und Hohenzollern aufbaute. Seit 2021 leitete Baumann das Memorium Nürnberger Prozesse.

Über das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände

Das Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände ist ein wichtiger Baustein in der nationalen Museumslandschaft mit 311.000 Besuchern im Vor-Corona-Jahr 2019. Das 2001 eröffnete Haus war ursprünglich auf 100.000 Besucher pro Jahr ausgelegt. Die höhere Zahl an Gästen brachte das Museum räumlich und logistisch an seine Grenzen. Seit 2021 wird es deshalb umgebaut und erweitert und soll im Jahr 2025 modernisiert und mit neuer Dauerausstellung wiedereröffnet werden.

  • Zum Artikel: Nürnberg – EU fördert Umbau der Kongresshalle

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