"Eine neue Zeit, eine neue Balance" haben die Christsozialen über ihr Treffen in Seeon geschrieben. Der Spruch steht auf einem Banner im Klosterhof, garniert von schwarz-rot-goldenen Wolken, die bei genauerer Betrachtung auch Nebel sein könnten. Der Politikbetrieb neigt nicht immer zu Klarheit, aber vielleicht wäre "Neuer Wahlkampf-Abschnitt, neue Hauptgegner" die bessere CSU-Bestandsaufnahme gewesen. Denn auch der vermeintliche oder tatsächliche unionsinterne Zoff um Steuersenkungen zeigt: Die CSU hat vor der Bundestagswahl ihre Strategie angepasst.
"Eine maximale Mobilisierung bürgerlicher Stimmen bei der Union" haben der Parteivorsitzende Markus Söder und der Berliner Landesgruppenchef Alexander Dobrindt als Ziel für die Bundestagswahl ausgegeben. Eine deutliche Absage an den vielzitierten "Schlafwagen", mit dem der gemeinsame Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet allem Anschein nach ins Kanzleramt zuckeln möchte. "Das läuft jetzt nicht von selbst", schiebt Söder mit Blick auf den Wahlkampf der Union sicherheitshalber hinterher - nach wie vor gebe es die "Möglichkeit anderer Konstellationen und Koalitionen".
Ohne Laschet-Besuch: Steuer-Konflikt ausgeräumt?
Der zweite Tag der CSU-Klausur fällt deutlich kürzer aus als geplant - weil der gemeinsame Kanzlerkandidat und CDU-Chef Laschet wegen des dramatischen Hochwassers in Nordrhein-Westfalen bleibt und nicht nach Seeon reist. Ohnehin hat sich der Steuer-Konflikt über Nacht laut Dobrindt aufgelöst: Die CSU und Laschet seien sich einig über schrittweise Entlastungen für Familien und Unternehmen nach der Bundestagswahl. Tatsächlich stellen beide ihre Entlastungsversprechen unter den Vorbehalt eines Kassensturzes nach der Wahl.
So bleibt der Eindruck, dass die CSU hier eine Chance zur Profilierung genutzt hat. Die Christsozialen sind da bekanntlich nicht zimperlich: Wenn es sich anbietet, setzen sie ihre Botschaften halt auf Kosten der Schwesterpartei, so wie in diesem Fall. CDU-Chef Laschet hat es ihr leicht gemacht durch seinen mindestens missverständlichen Satz zum Wahlprogramm, in dem angeblich keine Entlastungen stünden.
Söder hakt "Kampf um Platz eins" ab
Dass die CSU die Gelegenheit so dankbar aufgegriffen hat, ist auf eine Neuausrichtung ihres Wahlkampfs zurückzuführen. Lange Zeit arbeitete sich Parteichef Söder an den Grünen als "Hauptgegner" ab. In Seeon erklärt er nun: "Der Kampf um Platz eins hat sich erledigt." Mission erfüllt also. Ins Visier rückt nun ein neuer Gegner: die bürgerlichen Konkurrenten FDP und Freie Wähler - beide in Umfragen zuletzt erstarkt, verglichen mit der vorigen Bundestagswahl.
Auffällig dabei: Das Drängen der CSU auf Steuersenkungen zielt nicht zuletzt auf die FDP-Klientel. Söder sagt das ganz offen - und verwendet dabei ein bisher wenig bekanntes Wort. Es dürfe "keine Zufallsausweichprozesse" geben, betont der CSU-Chef in Seeon. "Die FDP ist eine Wahl, die nicht für Bayern hilft, so sehr sie im Bund eine gute Koalition ist", befindet Söder. Jede Stimme für die FDP sei eine Stimme für eine "zentrale Position, nämlich aus Berlin".
CSU contra FDP - und umgekehrt
Laut Dobrindt geht es darum, wirtschaftliche Dynamik zu entfachen und Wachstum zu erzeugen - auch das sind liberale Kernanliegen und Schlüsselwörter der FDP. Bei den Liberalen stoßen die CSU-Äußerungen auf Gelassenheit. Söder müsse reichlich nervös sein, wenn er jetzt schon Vermutungen über Bayern-Liebe bei anderen Parteien anstelle, sagt der bayerische FDP-Landeschef Daniel Föst auf BR24-Anfrage. Eine Stimme für die FDP sei allerdings tatsächlich eine Stimme für eine zentrale Position - nämlich gegen Steuerhöhungen.
Im Freistaat käme die FDP bei der Bundestagswahl laut dem aktuellen BR-BayernTrend auf 11 Prozent. Die CSU würde 36 Prozent erreichen. Das wäre einerseits deutlich Platz eins - und andererseits das schlechteste Ergebnis seit dem mit heute kaum vergleichbaren Jahr 1949 (29,2 Prozent). Einige Prozentpunkte würden die Christsozialen nach aktuellem Stand wohl an den eigenen Koalitionspartner in Bayern verlieren - die Freien Wähler um ihren Chef Hubert Aiwanger. Die lagen zuletzt in Bayern bei 6 Prozent, bundesweit gerechnet aber deutlich unter der Fünf-Prozent-Hürde.
"Verlorene Stimmen" für die Freien Wähler?
Auch hier zieht Söder verbal an. "Es bringt überhaupt nichts, die Freien Wähler zu unterstützen, das ist eine verlorene Stimme", sagt er. Wer die Freien Wähler wähle, müsse damit rechnen, dass am Ende vielleicht doch die Grünen ins Kanzleramt kommen - mit einer ganz knappen Ampel-Mehrheit. Söder verzichtet auch auf das Wort "antreten", ihm zufolge "bemühen sich" die Freien Wähler bei der Bundestagswahl.
Höhere Mütterrente, weniger Steuern für Handwerk und Mittelstand - mit diesen CSU-Forderungen dürften auch die allermeisten Anhänger der Freien Wähler sehr gut leben können. Insofern unterfüttert Söder seine strategischen Argumente inhaltlich. Ob das öffentliche Sticheln gegen den Freie-Wähler-Chef dabei hilft (aktuellster Fall: Aiwangers Impf-Skepsis), ist aber unklar. Offensichtlich ist derweil: Auf die AfD zielt die CSU bisher überhaupt nicht - seit Söders radikalem Kurswechsel vor fast drei Jahren grenzen sich die Christsozialen deutlich ab. Wahlkampf mit einem harten Kurs zu Migration oder anderen AfD-Kernthemen? Fehlanzeige.
CSU: Jetzt Akzente statt Abgrenzung
Und noch etwas fällt auf bei den Christsozialen gut zwei Monate vor der Bundestagswahl: Die CSU hat den eigenen Modus verändert. Noch vor einigen Wochen antwortete Söder in einem "Bild"-Interview auf die Frage, was die Kernbotschaft seines Wahlprogramms sei: "Stabilität und Erneuerung zugleich. Die Grünen haben in den letzten Wochen deutlich gemacht, dass man ihnen die Führung Deutschlands nicht anvertrauen kann." Es sei "besser, wenn die Union das Land führt als die Grünen". Abgrenzung also statt selbst gesetzter Akzente.
In Seeon nun fordert der CSU-Chef "eigene Leistung, eigene Ideen, eigenen Antrieb, eigenen Schwung". Dazu passt, dass die Christsozialen zuletzt vor allem eigene Forderungen betonten: die höhere Mütterrente, eine dauerhafte gesenkte Mehrwertsteuer in der Gastronomie, eine Home-Office-Pauschale von 1.000 Euro. Ob beim Klimaschutz, dem sich Söder seit einiger Zeit sehr verpflichtet fühlt, noch mehr kommt? Eine Chance böte sich ihm kommende Woche. Zunächst hält Söder am Mittwoch als Ministerpräsident eine Regierungserklärung zum Klimaschutz. Dann präsentiert er als Parteichef den CSU-"Bayernplan", der auch klimapolitische Akzente beinhalten könnte.
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