Freitag, früher Abend am Münchner Marienplatz. Es sind noch rund vier Stunden bis zum Eröffnungsspiel der Europameisterschaft in München zwischen der schottischen und der deutschen Nationalelf: Zu Tausenden strömen Fußballfans die Rolltreppen des U-Bahnschachts hinunter und fluten den Bahnsteig der U3 und U6 am Münchner Marienplatz. Die U-Bahnen können gar nicht schnell genug fahren, um die unzähligen Fans in Schottenröcken und Trikots abzutransportieren.
Inmitten der Menge steht ein Mann mit gelber Warnweste und ernstem Gesichtsausdruck: Oliver Schulze ist Einsatzleiter der MVG am U-Bahnhof Marienplatz – wo viele feiernde Deutschland- und Schottland-Fans auf ihrem Weg in Richtung Fußball-Arena oder Fanzone einsteigen. "Die Schotten verstehen es, Stimmung zu machen", sagt er. "Die Bundesliga-Spiele sind da ein bisschen anders, aber das ist das Interessante dabei: Nichts ist gleich, jedes Spiel ist anders."
30 Bahnsteigmitarbeiter und die U-Bahnwache stehen Einsatzleiter Schulze heute zur Verfügung. Im Notfall kann er auch die Polizei zu Hilfe rufen. Geschätzt 20.000 Fans werden hier in den nächsten Stunden abfahren. Rund 800 passen in einen Zug. Schulzes große Hoffnung: "Dass alles gut funktioniert, dass alle Züge laufen und wir nicht sperren müssen." Was Schulze zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: Eine kaputte U-Bahn wird ihm seine Arbeit später am Abend noch ziemlich erschweren.
BR24 vor Ort: So lief der Abend des EM-Eröffnungsspiels in München
"BR24 vor Ort" hat drei Menschen begleitet, die eine wichtige Rolle dabei gespielt haben, dass das Auftaktspiel der Fußball-Europameisterschaft in München ohne größere Zwischenfälle ablief. Wie sie mit kaputten U-Bahnen, schottischen Fanmassen und verstopften Rettungsgassen umgegangen sind, sehen Sie hier im Video:
Fanzone im Olympiapark schon am frühen Abend voll
Sollten die U-Bahnen gesperrt werden müssen, würde sich das auch andernorts bemerkbar machen. Denn viele der Fans, die kein Ticket für das Spiel in der Arena ergattern konnten, pilgern an diesem Abend zum Olympiapark: Hier hat die UEFA die sogenannte "Fanzone" eingerichtet. Auf insgesamt drei Bildschirmen können die Zuschauer die Spiele verfolgen.
Seit vier Jahren arbeitet Arwed Raab auf diesen Tag hin. In blauer Funktionsjacke und mit strammem Schritt läuft er über das Gelände, führt letzte Gespräche mit dem Sicherheitspersonal und begutachtet das Gesamtwerk auf dem Gelände rund um den Olympiasee. Raab ist Projektleiter im Olympiapark und kennt sich eigentlich mit Großveranstaltungen aus. Doch der heutige Tag – das Eröffnungsspiel der EM in München – ist auch für ihn besonders: "Das ist heute schon ein Tag, der ganz oben im Ranking von den Veranstaltungen steht, die ich gemacht hab", sagt Raab, "im Endeffekt ist es ein absoluter Highlight-Tag".
Maximal 25.000 Menschen können in die Fanzone. Und die füllt sich schneller als gedacht: Bereits elf Stunden vor Anpfiff tummeln sich die enthusiastischen Schottland-Fans vor den Eingängen des Veranstaltungsorts. "Wir haben schon erwartet, dass viel los ist", sagt Raab, "aber dass hier so ein Andrang ist, haben wir nicht gedacht".
Mit dem Rettungswagen in der Fanzone unterwegs
Die vielen Fans machen auch den Rettungssanitätern und -sanitäterinnen zu schaffen. Alicia Vöge muss den Rettungswagen durch die Menschenmasse in der Fanzone manövrieren. "Es interessiert die Leute nicht", sagt sie frustriert, "da sind Menschen, die am Boden sitzen, einfach nichts mitkriegen, weil sie schon so stark alkoholisiert sind". Dass die Helfer mit Blaulicht daherkämen, mache keinen Unterschied.
Es ist 17 Uhr, gerade hat das Team des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK), das sich um die medizinische Versorgung der Zuschauer in der Fanzone kümmert, einen Anruf bekommen. Vöge arbeitet bereits seit zwei Jahren beim BRK, doch es ist die erste Fußball-EM für sie als Sanitäterin. Die vielen Menschen, der viele Alkohol der Fans – das alles macht den Tag für sie und ihre Kollegen alles andere als einfach.
Mitten im Trubel: Kaputte U-Bahn legt die Linien 3 und 6 lahm
Zurück am U-Bahnhof Marienplatz: Gegen 18 Uhr spitzt sich die Situation dort zu. Die U-Bahnen der Linien U3 und U6 stauen sich vor dem Marienplatz, die Fahrgäste kommen nicht vom Fleck. "Die drücken jetzt von oben schon ordentlich rein", sagt U-Bahn-Einsatzleiter Oliver Schulze. Er muss eine schwierige Entscheidung treffen: Der U-Bahnhof muss temporär dichtgemacht werden, damit die Station nicht zu voll wird.
"Wir müssen jetzt einmal den Bahnsteig aufräumen und dann dafür sorgen, dass der Odeonsplatz entlastet wird", erklärt Schulze die Situation, "dann machen wir wieder auf und fangen von vorne an". Doch dann die nächste Hiobsbotschaft per Funkspruch: Nun ist auch noch eine U-Bahn kaputt und blockiert die Strecke. Schulze muss alle U-Bahnzugänge restlos schließen lassen. Die Fahrgäste sind empört: "Wahnsinn, da geht’s zu", sagt ein Passagier, "da musst du echt froh sein, wenn alles gut geht". Erst gegen halb sieben läuft der Betrieb der U-Bahnen wieder wie geplant und die letzten Gäste können in Richtung Münchner Norden fahren.
"Wenn sich alle freuen, dann weiß man, was man getan hat"
Auch in der Fanzone am Olympiapark wird es zunehmend eng. Projektleiter Arwed Raab muss die Fanzone schließen. "Ist so, da ist mir die Sicherheit wichtiger", sagt er zu seinem Kollegen am Telefon. Mit Flatterband und Gitter schließen die Sicherheitskräfte die Eingänge ab. Die Maßnahmen helfen, nach anfänglichem Stau lösen sich die Menschentrauben vor den Eingängen auf – und das größtenteils ohne Zwischenfälle.
Innerhalb der Fanzone haben die Fans nichts von dem Gedränge mitbekommen. Doch bei Rettungssanitäterin Alicia Vöge ist trotzdem viel los. Mittlerweile hat sie eine Person mit einer Schnittwunde versorgt und schon geht der nächste Anruf ein: Ein Mädchen habe undefinierbare Rückenschmerzen.
Als die Einsatzkräfte zu der jungen Frau kommen, bestätigt sich der Verdacht: Nierenkolik. Die Rettungssanitäter müssen sie ins Krankenhaus bringen. Nach diesem Kraftakt macht sich bei Vöge die Erschöpfung bemerkbar: "Das war jetzt noch echt viel", sagt sie, "aber wir haben den Abend rumgebracht".
Auch Projektleiter Raab zieht trotz der vielen Komplikationen eine positive Bilanz: "Alles, was man sich vorstellen kann, ist heute passiert", sagt er. Aber man habe alles gut gemeistert. "Wenn sich alle freuen, dann weiß man, was man getan hat."
Die nächsten Spiele in München stehen schon an
Die Deutschen besiegen die schottische Nationalmannschaft an diesem Abend 5 zu 1. Doch der Abpfiff auf dem Spielfeld bedeutet noch lange nicht das Ende für U-Bahn-Einsatzleiter Schulze, Fanzonen-Organisator Raab und Rettungssanitäterin Vöge. Alle drei müssen noch bis spät in die Nacht arbeiten – und bald folgen die nächsten Spiele in München. Auch dann müssen sie wieder ran, damit die EM in der bayerischen Landeshauptstadt reibungslos ablaufen kann.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!