Anwohner berichten von einem "Wahnsinnsknall". Trümmer fliegen Hunderte Meter weit. Ein Jugendlicher stirbt. Nun suchen Ermittler die Ursache für die Explosion am Freitag in einem Wohnhaus im schwäbischen Memmingen.
Spekulationen über einen Gasaustritt
"Wir werden heute weiter Ursachenforschung betreiben", sagte ein Sprecher des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West am Samstag. Mit der Aufgabe seien unter anderem Experten des Landeskriminalamtes betraut. Das Haus und seine Nachbarhäuser "Im Kalker Feld" hätten alle Gasanschluss, sagte der Polizeisprecher weiter. "Es liegt natürlich die Vermutung nahe, dass es sich um einen Gasdefekt handeln könnte." Er sprach von einer "sehr außergewöhnlichen Situation".
Spekuliert wurde in der Nachbarschaft dem Vernehmen nach auch über eine Gasflasche an einem Wohnwagen. Andererseits lasse die Wucht der Explosion nicht auf eine einzelne Flasche schließen, hieß es vor Ort.
In den Trümmern des eingestürzten Hauses wurde laut Zeugen eine Waffe gefunden. Der Bewohner, der zum Zeitpunkt der Explosion nicht zu Hause war, habe aber eine Erlaubnis zum Waffenbesitz gehabt, hieß es weiter. Mehr dazu wurde nicht bekannt.
Gasleitungen frisch überprüft
Memmingens Oberbürgermeister Jan Rothenbacher (SPD) sagte, ein Gasaustritt sei nicht ausgeschlossen. Allerdings sei die Rohrinfrastruktur sehr neu – und gerade erst durch die Stadtwerke überprüft worden. "Kein Rohr hier in der Ecke ist älter als 17 Jahre", so der SPD-Politiker im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur. "Wir sind als Stadtwerke verpflichtet, alle vier Jahre eine Untersuchung zu machen, ob Gas austritt." Die Überprüfung bis zum Hausanschluss habe just vor etwa zwei Wochen stattgefunden.
Die Schadenshöhe ist noch nicht exakt bezifferbar. "Wir haben ein Schadensausmaß, das sich nicht beziffern lässt, sich aber garantiert siebenstellig bewegen wird", sagte ein Polizeisprecher.
Aufräumen nach der Explosion
Während die Polizei nach der Ursache sucht, räumen am Samstag Dutzende Helfer von Technischem Hilfswerk, Feuerwehr, der Stadt Memmingen und Rotem Kreuz weiter auf. Parkende Autos sind schwer beschädigt und müssen teils abgeschleppt werden. Kaputte Dachstühle werden mit sogenannten Notfalldächer abgedichtet, "damit es die nächsten Tage nicht hineinregnet", sagte Oberbürgermeister Rothenbacher.
Das Technische Hilfswerk arbeitete am Samstag daran, dass die Bewohner aus den umliegenden Häuserzeilen wieder in ihre Wohnungen können, sagte THW-Einsatzleiter Klaus Liepert im BR-Interview. Die Explosionsstelle selbst bleibe bis Montag gesperrt und auch die direkt angrenzende Häuser können noch nicht wieder bewohnt werden. Das Ausmaß der Schäden sei "immens", weil der Trümmerflug im Umkreis von mehreren Hundert Metern auf eine sehr dichte Bebauung traf.
Überprüfung von Strom- und Gasleitungen
Seit Samstagmorgen läuft auch die Begutachtung der Gebäude rund um die Explosionsstelle, was deren Statik und Energieversorgung betrifft. Zusammen mit den Fachleuten überprüft das THW etwa die Stromleitungen und führt Gasmessungen durch. Dabei waren die Einsatzkräfte "von außen nach innen" vorgegangen, wodurch weniger stark beschädigte Gebäude bereits wieder zugänglich gemacht werden konnten.
Die Priorität liegt dabei laut THW-Einsatzleiter vor allem darauf, die Gebäude zu verschließen, also Fenster und Dächer wieder abzudichten. Der erste Abschnitt von Wohnungen sei bereits gesichert und wieder ans Stromnetz angeschlossen. Bis 20 Uhr will das THW den Großteil der Wohnungen wieder freigeben.
Anwohner in Behelfswohnungen
Oberbürgermeister Rothenbacher zeigte sich kurz nach der Katastrophe geschockt: "Es steht kein Stein mehr auf dem anderen. Man kann sich das nicht vorstellen", berichtete der Rathauschef. "Es ist ein unglaubliches Schadensbild." Er sei in größter Sorge um die betroffenen Anwohnerinnen und Anwohner gewesen.
Insgesamt mussten in der Nacht von Freitag auf Samstag 28 Wohneinheiten evakuiert werden, 15 Personen kamen in einer städtischen Notunterkunft, andere bei Familien und Freunden unter.
Trauer um toten 17-Jährigen
"Es ist ein 17-Jähriger gestorben. Das ist etwas unglaublich Tragisches. Wir sind mit tiefstem Beileid bei der Familie", so der Oberbürgermeister. Der Tote war aus den Trümmern eines stark beschädigten Nachbarhauses geborgen worden. Die Eltern des 17-Jährigen waren zum Unglückszeitpunkt nicht im Haus. Sie wurden später von Helfern betreut.
Zwei Rettungskräfte mussten im Zuge des Einsatzes laut Polizei mit Kreislaufbeschwerden behandelt werden – vermutlich wegen der Hitze – ihnen gehe es aber wieder gut. Die Polizei, die am Freitagabend nach Angaben eines Sprechers mit Dutzenden Streifen im Einsatz war, hatte dazu Unterstützung aus dem nahen Baden-Württemberg bekommen.
Augenzeuge berichtet von einem "Wahnsinnsknall"
Ein Anwohner berichtete, er habe am frühen Freitagabend einen "Wahnsinnsknall" gehört. Er sei sofort aus dem Haus gerannt, habe zuerst an eine Bombe oder einen Flugzeugabsturz gedacht – der Flughafen Memmingen ist nur wenige Kilometer entfernt. Er habe sogar noch Dachziegel fliegen sehen. Auch an seinem Haus gibt es Schäden am Dach.
Dass niemand von Trümmern getroffen wurde, habe möglicherweise auch daran gelegen, dass zum Ferienstart manche schon auf dem Weg in den Urlaub waren. "Es hätte wesentlich mehr passieren können", bilanzierte der Oberbürgermeister. Wie durch ein Wunder gab es bei dem Unglück am späten Freitagnachmittag tatsächlich keine weiteren Opfer. Der Bewohner, von dessen Haus die Explosion ausgegangen war, war zum Zeitpunkt des Knalls nicht zu Hause.
Mit Informationen von dpa
Im Video: Aufräumarbeiten nach Wohnhausexplosion in Memmingen
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