Von einer "Teambuilding-Maßnahme" spricht Fraktionschef Florian Streibl (Freie Wähler) zum Auftakt der Winterklausur seiner Fraktion in Lindau. Von 37 Abgeordneten sind zwanzig neu, seit der Landtagswahl im Herbst. Nun sollen sich alle besser kennenlernen. In den Kaffeepausen wird viel gelacht. Egal, wen man fragt, die Stimmung sei gut, heißt es. Mit Elan und Motivation starte die Fraktion in die neue Legislaturperiode und ins neue Jahr. Schließlich läuft es momentan nicht schlecht für die Freien Wähler – im Gegenteil. Die Bauernproteste spielen der Partei in die Hände.
Schon zu Beginn der Klausur macht der Fraktionschef die Demonstrationen zum Thema und betont noch einmal: Die Freien Wähler stehen klar an der Seite der Landwirte. Gleichzeitig ruft er zu Besonnenheit auf: "Jeder Protest muss sich im Rahmen von Recht und Ordnung abhalten lassen." Das Demonstrationsrecht könne man "ausreizen, aber nicht überschreiten". Wie zuvor Parteichef Hubert Aiwanger betont aber auch Streibl: Die Vorfälle bei der umstrittenen Demo gegen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) im hohen Norden könne er von Bayern aus nicht bewerten.
Freie Wähler gegen CSU: Koalitionspartner und Hauptgegner
Die Fraktion verabschiedet bei ihrer Winterklausur eine Resolution, in der sie die Kürzungen der Bundesregierung für die Landwirtschaft ablehnt. Auch kurz darauf bei einem Treffen mit Kommunalpolitikern stehen die Bauernproteste schon wieder im Mittelpunkt. In seiner Rede teilt Streibl gegen die CSU aus. Die habe nie erwartet, dass die Freien Wähler nach fünf Jahren noch in der Regierung sind. "Da sind wir jetzt und da bleiben wir", ruft der Fraktionschef. Als Hauptgegner sähe die CSU ihren Koalitionspartner mittlerweile - im Kampf ums gleiche Wähler-Klientel, um "die braven Leute", die Bauern etwa.
Dass die Freien Wähler bei denen gut ankommen, zeigten die Bauernproteste nun deutlich. Streibl spielt dabei vor allem auf einen an: Hubert Aiwanger. Der Parteichef, der sich derzeit als oberster Bauernführer präsentiert. Bei den Demos wird er gefeiert wie ein Popstar. "Hubsi, Hubsi", rufen die Landwirte. "Die CSU sieht das auch", freut sich Streibl: "Die führt da einen Kampf gegen uns, mal schauen, wie der ausgeht." Wer wohl künftig alles im Bundestag sitzen werde? Streibl prophezeit: Die Freien Wähler werden dabei sein. Natürlich auch dank Aiwanger, dem Bauernflüsterer, und seinem Gespür für Themen, die die Menschen bewegen.
Interne Kritik an Aiwanger: "Zu plump, zu populistisch"
Dafür zollen die Freien Wähler ihrem Parteichef großen Respekt. Seit 2008 arbeite er Tag und Nacht. Kaum Urlaub, immer ansprechbar. Doch wer genauer in die Fraktion hineinlauscht, bekommt auch weniger Schmeichelndes zu hören: "Zu plump, zu populistisch" trete der FW-Chef auf und gehe mit seiner Wortwahl oft zu weit, sagen Kritiker in der Fraktion hinter vorgehaltener Hand. Streibl müsse Aiwangers "Ausfälle" dann immer wieder korrigieren. Auf Frage von BR24, warum man das zulässt und niemand öffentlich an Aiwangers Auftreten Kritik übt, antwortet Streibl: "Weil wir nicht die Ampel in Berlin sind, wo alles öffentlich diskutiert wird."
Solange Aiwanger unangefochten an der Spitze der Partei steht und als Stimmenfänger erfolgreich durchs Land zieht, wird sich wohl auch kein Kritiker aus der Deckung wagen – nicht vor der Bundestagswahl im nächsten Jahr. Um nicht den Erfolg zu schmälern und vielleicht auch aus Angst, sich mit offener Kritik ins Aus zu schießen. Und trotzdem: Als Wirtschaftsminister kümmere sich Aiwanger zu sehr um Jäger und Landwirte und zu wenig um die bayerische Wirtschaft, heißt es auch aus Freie-Wähler-Kreisen. Und das, obwohl es in dem Ressort so viel Arbeit gebe: die Inflation bekämpfen, die bayerischen Wirtschaftsbeziehungen ins Ausland fördern, die Hightech-Agenda mit Leben füllen. Aus dem Aiwanger-geführten Wirtschaftsministerium komme da derzeit zu wenig.
Während nur einzelne Kritik an Aiwanger äußern, eint die Partei eine Sorge: "Wir sind die Partei der Mitte, nicht rechts der CSU", sagt der parlamentarische Geschäftsführer Felix Locke. Die Medien würden die Partei teilweise ins rechte Eck stellen, kritisiert er, das sei ungerecht. Dass sich mittlerweile auch einige Ortsverbände von den FW losgesagt haben, weil ihnen Aiwangers Rhetorik zu rechtspopulistisch ist, wiegelt er ab. Austritte von Kreisverbänden habe es schon immer gegeben. Doch andere in der Partei nehmen die durchaus ernst. Sie wünschen sich von Aiwanger weniger Polarisierung, weniger Populismus. Die Freien Wähler dürften nicht die Nahtstelle zur AfD sein.
Einladung der Generalkonsulin des Staates Israels als wichtiges Zeichen?
Die Flugblatt-Affäre von Hubert Aiwanger steckt den Freien Wählern noch in den Knochen. Dem Verhältnis zu den Juden in Bayern hat das sicher geschadet. So wollte die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München, Charlotte Knobloch, Aiwangers Entschuldigung Anfang September nicht annehmen. Sie war nicht von der ehrlichen Reue überzeugt. Auch der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Thomas Schuster, hatte damals Aiwangers Umgang mit der Affäre als irritierend bezeichnet. Und selbst bei der Reise des bayerischen Ministerpräsidenten im Dezember nach Israel thematisierte der Vorsitzende der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem wohl indirekt Aiwangers Flugblatt-Affäre. So sagte Dani Dayan damals, es sei schlimm, wenn Politiker oder Parteien wegen des weltweit wachsenden Antisemitismus mehr Wählerstimmen erhielten.
Aiwangers Popularität war nach der Affäre noch gewachsen, was sich dann auch im Wahlergebnis bei der Landtagswahl niedergeschlagen hatte. 15,8 Prozent – das bisher beste Ergebnis für die Freien Wähler. Für den Fraktionsvorsitzenden und andere Abgeordnete war es wichtig, dass die Generalkonsulin des Staates Israels in Süddeutschland, Talya Lador-Fresher, für Gespräche nach Lindau kam. Die Fraktion will zeigen, dass es ihr ernst ist mit dem Kampf gegen Antisemitismus. Sie verabschiedeten eine Resolution mit dem Titel: "Solidarisch an der Seite Israels im Kampf gegen den Terror". "Wer die Hamas-Angriffe bejubelt, muss mit aller Härte des Gesetzes bestraft werden", fordert Florian Streibl.
Gespalten im Umgang mit der AfD
Zur Klausur hatten die Abgeordneten auch Landräte eingeladen. Die Unterbringung von Flüchtlingen, die einige Kommunen an ihre Kapazitätsgrenzen bringt, brennt den Lokalpolitikern auf den Nägeln. Doch wie verhindern, dass die AfD vom Unmut in der Bevölkerung profitiert? Während Aiwanger den Namen der Partei grundsätzlich nicht in den Mund nimmt, vielleicht auch um AfD-Sympathisanten nicht für immer zu vergraulen, fährt der parlamentarische Geschäftsführer Felix Locke einen anderen Kurs. Im Landtag attackiert er offen die AfD. "Hier darf man kein Blatt vor den Mund nehmen", so Locke. Ein Problem, dass Aiwanger das anders handhabt, sieht er aber nicht. Das seien halt unterschiedliche Stile.
Auch wenn mittlerweile 37 Abgeordnete der Fraktion angehören – für die meisten Bürger ist Hubert Aiwanger das alleinige Gesicht der Freien Wähler. Die One-Man-Show Aiwanger ist kein neues Phänomen, doch nach der Flugblatt-Affäre ist seine Popularität noch gestiegen. Mittlerweile ist er bundesweit bekannt, sitzt in Talkshows bei Lanz oder Maybrit Illner. Für andere in der Partei ist es damit schwerer denn je, neben Aiwanger gesehen zu werden. Selbst der neue Digitalminister Fabian Mehring, dem es an Ehrgeiz nicht fehlt und der die sozialen Medien fleißig bedient, kann mit dem Dauer-Twitterer Aiwanger kaum mithalten. Denn Aiwanger wird nicht nachlassen. Er hat eine Mission: den Einzug in den Bundestag.
Im Audio: Die Politik und die Bauernproteste
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