Markus Söders Einstellung änderte sich wesentlich: 2018 bezeichnete Bayerns Ministerpräsident das deutsche Asyl-Grundrecht als "unantastbar", seit Monaten aber pocht der CSU-Chef auf dessen Abschaffung. "Es gibt fast niemanden mehr, der mit der Realität vertraut ist, der sagt, dass das Asylrecht von 1949 noch auf die jetzige Situation passt", sagte er Anfang September.
Mitte Oktober hielt die CSU die Forderung in einem Parteitagsbeschluss fest: Das im Grundgesetz verankerte Asylrecht sei "nicht mehr zeitgemäß" und müsse "grundlegend reformiert werden". Was würde das in der Praxis bedeuten? Wie sehen Rechtsexperten die Forderungen?
Was fordert die CSU?
In ihrem Beschluss zur Migration macht sich die CSU für ein umfangreiches Maßnahmenpaket stark: konsequente Abschiebungen, Ausreisearrest für ausreisepflichtige Straftäter und Gefährder, Asylverfahren an den EU-Außengrenzen sowie Zurückweisungen an den deutschen Grenzen, die auch Ex-Verfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier für geboten hält.
Darüber hinaus möchte die CSU das "europäische Recht und Asylrecht der Realität anpassen" und "Schlupflöcher" stopfen. "Deshalb wollen wir das individuelle subjektive Recht auf Asyl durch eine institutionelle Garantie ersetzen." Näher erklärt wird das nicht. Für eine Änderung des Grundgesetzes ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag und Bundesrat notwendig. Aktuell gäbe es diese nicht. Zudem will die CSU auf europäischer Ebene darauf hinwirken, den "subsidiären Schutzstatus" abzuschaffen – also den Schutz für Menschen, denen in ihrer Heimat Folter oder Lebensgefahr durch einen bewaffneten Konflikt droht.
Söders Ziel ist klar: Er sucht nach Wegen, eine "Überforderung" Deutschlands durch viele Migranten zu verhindern. Die Frage ist, ob eine Asylrechtsänderung diesen Effekt hätte.
Was würde die Abschaffung des Asyl-Grundrechts bringen?
Es geht um den Grundgesetz-Artikel 16a: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht." 1993 wurde dieses Recht stark eingeschränkt. Es gilt seither ausdrücklich nicht für Menschen, die über einen sicheren Staat nach Deutschland einreisen. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs grenzt Deutschland ausschließlich an sichere Länder. Asyl nach dem Grundgesetz können praktisch nur noch Menschen erhalten, die mit dem Flugzeug einreisen, oder in Deutschland geborene Kinder. Vorstöße für eine Streichung des Grundrechts gab es mehrfach. So löste 1999 der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) eine Debatte aus, 2018 war es CDU-Politiker Friedrich Merz.
Ein solcher Schritt würde laut Franz Bethäuser, Münchner Universitätsdozent für Asylrecht, "in der Praxis gar nichts bringen", da sich nur wenige auf den Artikel 16a stützen könnten. Vor allem bliebe nach europäischem und internationalem Recht trotzdem "ein Individualanspruch auf ein faires Verfahren".
Nach Angaben des Bundesamts für Migration wurden im vergangenen Jahr in 0,7 Prozent der entschiedenen Fälle Menschen als Asylberechtigte nach Artikel 16a anerkannt. "Der Anteil ist wirklich sehr gering", sagt die Vorsitzende des Gesetzgebungsausschusses Ausländer- und Asylrecht im Deutschen Anwaltverein, Gisela Seidler. Der Artikel habe aber "hohe symbolische Bedeutung": Die Einführung dieses Grundrechts 1949 sei eine Konsequenz aus den Verbrechen der Nationalsozialisten gewesen – des Holocausts, der rassistischen und politischen Verfolgungen.
Kann man Gerichte außen vor lassen?
Bei BR24live kritisierte der promovierte Jurist Söder am Rande des Parteitags, durch das Asyl-Grundrecht würden lange Rechtsverfahren angestoßen. Mit einer Grundgesetzänderung bekäme Deutschland "die komplette Kontrolle darüber, wer zu uns ins Land kommt, wer wie lange dableibt".
Auf den Einwand, dass auch andere Ansprüche einklagbar seien, sagte Söder: "Das sind aber Staatsbürger, die dieses Recht haben, deutsche Staatsbürger, die hier leben, hier Steuern zahlen." Beim Gillamoos Anfang September betonte der CSU-Chef mit Blick auf das Asylrecht: "Nicht die Gerichte sollen entscheiden, sondern die Politik soll sagen, was sie sich vorstellt." Auch SPD-Minister Schily hatte 2000 Asylverfahren ohne Beteiligung der Justiz ins Gespräch gebracht.
Juristin Seidler beklagt: "Das ist ein sehr bedenkenswertes Rechtsstaatsverständnis, das Herr Söder da hat. Natürlich entscheiden die Gerichte nicht, sondern die Gerichte kontrollieren." Und es gebe auch kein Grundrecht nur für Deutsche: "Der Rechtsstaat gilt für alle."
Welche Verpflichtungen hat Deutschland?
Im Interview betonte Söder, die Grünen würden Asyl-Änderungen mit dem Argument ablehnen, dass "diese und jene Verträge" dem entgegenstünden. "Wenn das der letztendliche Schlusspunkt wäre, dann wäre es eine Kapitulation der demokratischen Willensbildung."
"Diese und jene" Verträge? Es gehe um "das ganze europäische Asylsystem" – zu dem nach langer Debatte erst eine Einigung erzielt worden sei, sagt Seidler. Außerdem habe sich Deutschland der Genfer Flüchtlingskonvention (Prinzip der Nicht-Zurückweisung) ebenso verpflichtet wie der Europäischen Menschenrechtskonvention, aus der Russland ausgetreten sei. "Ich weiß nicht, ob jetzt Deutschland sich gerne auf diese gleiche Stufe stellen möchte." Bethäuser sieht das ähnlich und nennt Söders Forderungen daher "rein populistisch".
Was sagen CSU-Politiker zu der Kritik?
CSU-Generalsekretär Martin Huber weist die Kritik zurück. "Wer alle Veränderungen unter Hinweis auf rechtliche Hürden ausschließt, hat die Demokratie aufgegeben! Das hilft einzig und allein radikalen Kräften", teilt Huber dem BR mit. Die Politik müsse schlüssige Antworten geben "und sich nicht hinter juristischen Debatten verstecken".
CSU-Vize Manfred Weber setzt einen anderen Akzent: "Das individuelle Asylrecht in der Europäischen Union ist eines der Grundprinzipien, für die unser Kontinent steht." Europa habe erkannt, dass politisch Verfolgte "Obdach bekommen" müssten. "Die Menschen werden das Asylrecht weiter als einen wichtigen Wert hoch schätzen und anerkennen – aber nur, wenn es uns gelingt, die illegale Migration zu stoppen", sagt der Chef der Europäischen Volkspartei dem BR. Dafür müsse die kürzlich beschlossene europäische Asyl-Reform zügig umgesetzt werden. "Europäische Lösungen sind die Antworten auf die Fragen – und nicht das Problem."
Im Video: Das BR24-Interview mit Markus Söder
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