Mit der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags haben CSU und Freie Wähler ihr zweites bayerisches Regierungsbündnis unter Dach und Fach gebracht. Nachdem am Vormittag die Spitzengremien beider Parteien das 85-seitige Papier abgesegnet hatten, setzten am frühen Nachmittag im Landtag die Parteivorsitzenden Markus Söder und Hubert Aiwanger sowie die Fraktionschefs Klaus Holetschek und Florian Streibl ihre Unterschrift unter den Vertrag.
Fest steht, dass die Freien Wähler im neuen bayerischen Kabinett einen vierten Ministerposten bekommen: Fabian Mehring wird neuer Digitalminister, wie Aiwanger ankündigte. Damit seien die FW künftig für "das Zukunftsthema schlechthin" verantwortlich. Ein vierter Ministerposten war eines der wichtigsten Ziele der Freien Wähler in den Koalitionsverhandlungen mit der CSU.
Stolz statt Piazolo: Neue Kultusministerin
Aiwanger selbst bleibt Wirtschaftsminister und Vize-Ministerpräsident, das Umweltressort führt weiterhin Thorsten Glauber. Einen Wechsel gibt es an der Spitze des Kultusministeriums: Michael Piazolo wird durch seine bisherige Staatssekretärin Anna Stolz ersetzt.
Im Wirtschaftsministerium tauscht Aiwanger seinen Staatssekretär aus: Tobias Gotthardt ersetzt Roland Weigert, der das Kabinett wie auch Piazolo verlassen muss. Zu den Gründen für die Personalentscheidungen wollte Aiwanger sich nicht äußern.
Die CSU-Personalien sollen laut Ministerpräsident Söder erst anlässlich der Vereidigung des Kabinetts am 8. November bekannt werden. Söder sagte aber bereits, dass sich die bisherige Digitalministerin Judith Gerlach (CSU) keine "richtig großen Sorgen" zu machen brauche.
Aiwanger: "Ermöglichen statt verhindern"
Den Koalitionsvertrag lobte Aiwanger. Er arbeite alle Themen ab und beinhalte "viel Input" der Freien Wähler. Der Geist des neuen Koalitionsvertrags sei: "ermöglichen statt verhindern." Er sei noch fundierter als der Vertrag zur vergangenen Legislaturperiode.
Beide Seiten hätten ein vernünftiges Arbeitsklima vereinbart. "Natürlich - in Wahlkampfzeiten geht es etwas ruppiger zu." Der Streit mit dem Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden Markus Söder sei beigelegt, sagte der Freie-Wähler-Chef fügte aber hinzu: "Man weiß nie, was die Zukunft bringt."
Söder erläuterte, es habe viele Aussprachen gegeben – am Ende habe es aber eine solch "hohe Form der Belastbarkeit” und Vertrauen gegeben, dass eine Zusammenarbeit "machbar ist". Wahrscheinlich werde weder er selbst noch andere sich in der eigenen Persönlichkeit komplett verändern, CSU und Freie Wähler gäben sich aber "alle Mühe, es noch besser zu machen" als in den zurückliegenden Wahlkampfmonaten. Die Wochen vor der Wahl seien "etwas schwieriger für alle Beteiligten" gewesen.
Im Video: Koalitionsvertrag zwischen CSU und Freien Wählern ist fertig
Söder: Mehr als 70 neue Projekte
Der Koalitionsvertrag trägt den Titel "Freiheit und Stabilität. Für ein modernes, weltoffenes und heimatverbundenes Bayern". CSU-Chef Söder sagte, alle Versprechen aus dem Wahlkampf würden umgesetzt. Insgesamt bringe die neue Koalition mehr als 70 neue Projekte auf den Weg. Die Richtung in Bayern stimme bereits, man werde den Freistaat aber weiterentwickeln. Der Vertrag sei ein "echt gutes Kursbuch": "Da ist alles drin, was Bayern für die nächsten Jahre braucht."
Wöchentliche "Verfassungsviertelstunde" an Schulen
Wie bereits in den vergangenen Monaten angekündigt soll es zusätzliche Lehrerstellen und Kinderbetreuungsplätze geben. Bis spätestens 2028 sollen alle Schülerinnen und Schüler ab der 5. Klasse mit digitalen Endgeräten ausgestattet werden. Zudem wollen CSU und Freie Wähler eine wöchentliche "Verfassungsviertelstunde" an den Schulen einführen.
Auch der von der CSU geforderte Queer-Aktionsplan soll kommen. Vor dem letzten Kindergartenjahr für alle Kinder verpflichtende "Sprachstandserhebungen" geben. Für Asylbewerber soll "soweit rechtlich möglich auf das Sachleistungsprinzip" umgestellt werden. Dafür werde landesweit eine Bezahlkarten-Lösung eingeführt.
Das Moratorium für eine dritte Startbahn am Münchner Flughafen wird verlängert, die Freien Wähler wollten eigentlich ein definitives Nein erreichen. Der neue Konzertsaal im Münchner Werksviertel soll zwar gebaut werden, angesichts der hohen Kosten sollen die Planungen sollen aber "überarbeitet und redimensioniert" werden. Ganz wichtig ist den Koalitionspartnern laut Söder "der schlanke Staat". Bayern wolle da "einen neuen Weg gehen" und bei Gesetzen "den Rückwärtsgang" einlegen.
Präambel: Bekenntnis zu "den Prinzipien unserer Demokratie"
Dem Koalitionsvertrag vorangestellt ist - wie angekündigt eine Präambel - in der sich beide Parteien zum Schutz der "freiheitlichen demokratischen Grundordnung" bekennen: "Wir treten jeglicher Form von Antisemitismus, Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus entschlossen entgegen", heißt es in dem Papier. "Im Bewusstsein unserer Geschichte und aus innerster Überzeugung bekennen wir uns zu unserer historischen Verantwortung und den Prinzipien unserer Demokratie."
FW-Fraktionschef Florian Streibl sagte, seine Partei stehe als bürgerliche Kraft zusammen mit der CSU gegen die Bedrohungen, mit denen der Freistaat "von außen und innen, von rechts wie links" konfrontiert sei. Man wolle "den Wert der Demokratie in Bayern, den Wert unseres Rechtsstaats nach besten Kräften verteidigen". Streibl sprach davon "eine neue Ära" auszurufen, "in der wir die Demokratie voranstellen und wieder besser und gut über die Demokratie reden werden". Das sei der beste Schutz "gegen rechts und links". Aiwanger versicherte, die Präambel sei in "beiderseitigem Einvernehmen" entstanden: "Es ist dort niemand vorgeführt oder zwischen den Zeilen irgendwo betroffen."
Kritik der Opposition
Der Vertrag sei "eine Ansammlung von hohlen Phrasen", sagte die Fraktionschefin der AfD, Katrin Ebner-Steiner. Die Freien Wähler bezeichnete sie als "Steigbügelhalter der Regierung Söder ohne eigenes Profil". Überhaupt sei der Vertrag sehr unkonkret, es stehe "alles und nichts" drin. Die Staatsregierung schiebe die Verantwortung in puncto illegale Einwanderung auf Bund und Europa. "Das einzig Gute" sei, dass bei Migranten von Geld- auf Sachleistungen umgestellt werden soll, sagte Ebner-Steiner: "Wir werden jetzt ganz genau darauf achten, ob dies auch in Bayern umgesetzt wird."
Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze kritisierte den Koalitionsvertrag als "ambitionslos und voller leerer Versprechungen". Die Koalition liefere kein Zukunftskonzept für Bayern: "Sie kramt ihre alten Vorhaben aus der Mottenkiste und wiederholt einfach Punkte, die schon 2018 als Ziel formuliert und niemals umgesetzt wurden, wie beispielsweise beim Wassercent." Und wenn sich die Regierungsparteien erst einmal gegenseitig versichern müssten, "dass sie mit beiden Beinen fest auf demokratischem Boden stehen", mache sie sich Sorgen "um unser schönes Bayern".
Laut dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Florian von Brunn zählt der Koalitionsvertrag viele wichtige Themen auf, das meiste sei auch schon 2018 Thema gewesen. "CSU und Freie Wähler müssen jetzt aber fünf Jahre nachsitzen, weil sie ihre Hausaufgaben in der letzten Legislaturperiode nicht gemacht haben." Die SPD werde genau beobachten, "ob zum Beispiel neue bezahlbare Wohnungen gebaut werden, der Ausbau der Windkraft beschleunigt wird oder der Transformationsprozess der Automobilindustrie ausreichend gefördert und unterstützt wird".
Söder wird am Dienstag gewählt
CSU und Freie Wähler hatten vor genau zwei Wochen eine Sondierungsrunde zunächst für eine offene Aussprache genutzt, einen Tag später starteten die Koalitionsverhandlungen, zu denen strenge Geheimhaltung vereinbart wurde. Inhaltlich waren alle Fragen bereits am Montag weitgehend geklärt, an den kniffligsten Punkten - den Zuschnitten der Ministerien und der Verteilung von Minister- und Staatssekretärsposten - tüftelten die Parteichefs Söder und Aiwanger am Mittwoch noch in kleiner Runde, zusammen mit den Fraktionschefs Klaus Holetschek und Florian Streibl.
Der weitere Zeitplan sieht vor, dass nächsten Montag der neue Landtag erstmals zusammentritt. Für Dienstag ist die Wahl des Ministerpräsidenten geplant. Im neuen Landtag verfügen CSU und Freie Wähler zusammen über eine Mehrheit von 122 der insgesamt 203 Sitze.
Im Video: Koalitionsvertrag wurde in zwei Wochen ausgehandelt
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