Markus Söder wollte sich zunächst nicht mit Prozentdiskussionen aufhalten. Es sei "nie um einen Schönheitspreis" gegangen, sondern um einen klaren Regierungsauftrag, sagte der CSU-Chef am Abend der Landtagswahl. Als das Endergebnis schließlich feststand, konnte der Parteichef den vergleichsweise schwachen 37,0 Prozent dann doch einiges abgewinnen: Am nächsten Mittag sprach er von einem insgesamt "singulären" CSU-Resultat. Trotz "herausfordernder" Umstände habe die Partei "gleich viel Prozente", "gleich viele Mandate" und "mehr Stimmen".
Dass der "klare Wahlsieg" nicht noch deutlicher ausgefallen sei, führte Söder auf externe "Sondereffekte" zurück: die bundesweite Debatte über die Migration sowie die Flugblatt-Affäre um Hubert Aiwanger (Freie Wähler). Zwar stellte er noch eine vertiefte Aufarbeitung der Wahl in Aussicht - machte aber deutlich, dass er die Ursachen nicht in der CSU, sondern außerhalb sucht.
Mehr als eine Woche später zeigt sich: Längst nicht jeder gibt sich mit Söders Deutung und Erklärung zufrieden. Die Stimmen, die auch eine Mitverantwortung des Parteichefs für das schlechteste Wahlergebnis seit 1950 sehen, mehren sich. Von einer Revolte wie 2018 gegen den damaligen Parteichef Horst Seehofer ist die CSU zwar derzeit weit entfernt - Söders Stellung in der Partei ist durch diese Wahl aber zumindest nicht stärker geworden.
Kritik schon am Wahlabend
Erste kritische Reaktionen aus der CSU hatte es schon am Wahlabend gegeben. Die Augsburger Oberbürgermeisterin Eva Weber kritisierte Söders Strategie, der sich im Wahlkampf in erster Linie an den Grünen abgearbeitet hatte. "Ich glaube, der Hauptgegner hat in seiner Parteifarbe Blau und nicht Grün", sagte sie dem BR mit Blick auf die starken Zugewinne der AfD. Ähnlich äußerte sich der CSU-Bundestagsabgeordnete Volker Ullrich, der einen anderen Umgang mit Grünen und AfD verlangte. Die Grünen seien politische Mitbewerber, nicht Gegner - Gegner sei die AfD, sagte Ullrich und forderte eine Diskussion über den weiteren Kurs der CSU.
Die bayerische Landtagspräsidentin und Chefin der mächtigen Oberbayern-CSU, Ilse Aigner, verlangte via "Augsburger Allgemeine" eine genaue und ehrliche Analyse, "warum es so gelaufen ist". Ex-CSU-Chef Erwin Huber sagte am nächsten Morgen im Deutschlandfunk, Söders Kritik an den Grünen im Wahlkampf sei manchmal "etwas überzogen" gewesen. Und der CSU-Ehrenvorsitzende Theo Waigel sprach im BR-Interview zwar von einem passablen Ergebnis seiner Partei, verlangte aber "strategiepolitische Überlegungen" und eine härtere Auseinandersetzung mit der AfD, aber auch den Freien Wählern.
Söder sieht sich bestätigt
Nachdem der CSU-Vorstand am Montagvormittag hinter verschlossenen Türen die Wahl analysiert hatte, sah sich Söder bestätigt. Es sei eine "sehr konstruktive und einige Sitzung" gewesen, berichtete der CSU-Chef anschließend bei einer Pressekonferenz. Er habe vom Parteivorstand nicht nur Rückendeckung bekommen, als Ministerpräsident weiterzumachen - sondern auch sein frühes "Nein" zu Schwarz-Grün sei "einheitlich" als "richtige Strategie empfunden" worden.
Hatte Söder 2018 die 37,2 Prozent noch als "schmerzliches" Ergebnis bezeichnet und Verständnis für Kritik am damaligen Parteichef Horst Seehofer gezeigt, will er die 37,0 Prozent von 2023 unter dem Strich als Erfolg verstanden wissen.
Dass nicht jeder im CSU-Vorstand der gleichen Meinung ist, machte am Wochenende Partei-Vize Manfred Weber unmissverständlich deutlich. In einem Gastbeitrag für den "Münchner Merkur" legte er einen Fünf-Punkte-Plan für die Christsozialen vor, in dem er eindringlich warnt: "Die Einzigartigkeit der CSU als die Volkspartei Bayerns ist in Gefahr." Schon allein die Veröffentlichung des Papiers lässt sich als deutliche Kritik an Söders Linie deuten, jeder der fünf inhaltlichen Punkte sowieso.
Deutliche Worte von CSU-Vize Weber
Weber kritisiert unter anderem Söders frühzeitige Festlegung im Wahlkampf auf eine Fortsetzung der Koalition mit den Freien Wählern. "Die CSU hat in Bayern nie Koalitionswahlkämpfe geführt, sondern immer einen selbstständigen 'Wir sind Bayern'-Wahlkampf." Klar an die Adresse Söders geht auch Webers Forderung nach "mehr personeller Breite" sowie nach "programmatischer Tiefe" und "Ideen für morgen". Darüber hinaus mahnt der CSU-Vize mehr Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit an und warnt vor einer Strategie des "Weiter so".
Zwar stellt Weber die Führungsposition Söders in seinem Gastbeitrag nirgends infrage und bezeichnet ihn in einem Nebensatz auch als starken Parteivorsitzenden. Und doch lassen sich aus seinen Zeilen mehrere schwere Vorwürfe gegen Söder herauslesen: strategische Fehler im Wahlkampf, mangelnde programmatische Tiefe, zu starke Fixierung auf sich selbst, eine zu kurzatmige und zu wenig verlässliche Politik, fehlende langfristige Visionen. Am Sonntag bekräftigte auch Ex-CSU-Chef Huber seine Kritik. Er persönlich habe die frühe Festlegung auf die Freien Wähler als Koalitionspartner politisch und strategisch für "problematisch" gehalten, sagte er im BR Fernsehen.
Alois Glück fordert "einiges an Bewegung" in der CSU
Zu einer ähnlichen Analyse wie CSU-Vize Weber kommt auch der ehemalige CSU-Fraktionschef und frühere Landtagspräsident Alois Glück: Die Partei sei ausschließlich auf Markus Söder ausgerichtet, sagte er dem BR. Das halte er für falsch. Die CSU müsse sich breiter aufstellen, was Persönlichkeiten und was Themen angehe.
Mit Blick auf die Bundestagswahl zeigt Glück sich besorgt. Er frage sich, wer die CSU verkörpere - es dürfe keine Ein-Mann-Show werden. Deshalb fordert er "einiges an Bewegung innerhalb der CSU".
Unmut bei Kommunalpolitikern
Wer sich in den sozialen Netzwerken umschaut, findet auch kritische Stimmen von CSU-Kommunalpolitikern. Der Münchner CSU-Stadtrat Winfried Kaum mahnte: "Ritualisiertes Schönreden des schlechtesten Wahlergebnisses seit über 70 Jahren ist hier völlig unangebracht." Die CSU-Basis erwarte "wirksame inhaltliche und personelle Maßnahmen". Kaum sieht die "Zeit für einen neuen Parteivorsitzenden" gekommen. Der CSU-Ortsvorsitzende von Langenbach (Kreis Freising), Thomas Holst, betont auf Facebook: "Wir sind Volkspartei und nicht der Markus-Söder-Fanclub."
Der Kreisvorsitzende der Jungen Union München-Nord, Alexander Rulitschka, kritisierte einen "sehr Inhalte-schwachen Wahlkampf" der CSU und beklagte zudem einen Mangel an Glaubwürdigkeit. Schon länger ein Söder-Kritiker ist der ehemalige Passauer CSU-Kreisvorsitzende Holm Putzke. Er sieht die Partei in einer desolaten Lage: Es brauche nicht nur eine neue CSU, sondern auch einen neuen Parteivorsitzenden.
Drei Tiefpunkte in Folge
In seinem Fünf-Punkte-Papier verweist CSU-Vize Weber auf die Europawahl im nächsten Jahr: "Dort sind die Rahmenbedingungen aus vielen Gründen noch mal ungleich schwerer als bei der Landtagswahl. Es wird schwer, den Trend nach unten zu stoppen." Tatsache ist, dass es für die CSU unter Söder nun schon drei Wahlen in Folge abwärts ging: Bei den Kommunalwahlen 2020 musste die Partei ihr schlechtestes landesweites Ergebnis seit 1952 hinnehmen, bei der Bundestagswahl 2021 folgte der historische Absturz auf 31,7 Prozent, bei der Landtagswahl jetzt das schlechteste Resultat seit 73 Jahren.
Dabei hatten die Christsozialen Söder Anfang 2019 in der Hoffnung zum Parteivorsitzenden gewählt, dass er die CSU wieder zu alter Stärke führen könnte. Dass er im Gegensatz zu Horst Seehofer 2018 aktuell keine Revolte fürchten muss, hat mehrere Gründe. Zum einen liegt das Landtagswahlergebnis doch recht nah am Resultat von 2018. Zum anderen gibt es aktuell niemanden, der einen Sturz Söders aktiv betreiben würde. Viele Schlüsselpositionen in der Partei und der Staatsregierung hat der CSU-Chef mit seinen Vertrauten besetzt. Und es weckt derzeit auch niemand in der CSU die Erwartung, es besser zu machen.
Die kritischen Stimmen in der Partei aber zeigen: Auch die Geduld der CSU mit Söder könnte Grenzen haben, sollten weitere Wahlpleiten folgen. Die Landtagswahl hatte er einst selbst als "Schicksalswahl" bezeichnet. Nach drei schwachen Wahlergebnissen in Folge könnte für Söder auch jede weitere Wahl zur Schicksalswahl werden.
Im Video: Erwin Huber über die CSU-Wahlkampfstrategie
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