Im Tech-Center der Obrist Group in Lindau am Bodensee arbeitet ein kleines Team von Chemikern und Ingenieuren an einem Verfahren, das mit ganz einfachen Methoden - und damit sehr preiswert - CO2 aus der Umgebungsluft herausfiltern soll. Bisher ist dieses Direct Air Capturing (DAC), wie Experten den Prozess bezeichnen, sehr teuer und deshalb das unüberwindbare Nadelöhr bei allen Plänen, mit CO2 aus der Luft und grünem Wasserstoff grüne Kraftstoffe zu produzieren, die sogenannten E-Fuels.
Grüne Kraftstoffe – produziert aus Billig-Komponenten
Das Obrist Team ist überzeugt, dass es einen wirtschaftlich gangbaren Weg gefunden hat. Ihre Pilotanlage liefert bislang sehr gute Ergebnisse. Was auf den ersten Blick auffällt: Im Nebenraum des Tech-Centers ist keine Hochtechnologie aufgebaut. Das DAC-System von Obrist besteht aus Komponenten, die man fast alle billig im Baumarkt bekommt: einem großen Reaktionsbehälter, grünen Plastikrohren, einem kleinen Kunststofftank, einem Ventilator und einer beständig surrenden Pumpe.
Das Gebläse saugt die Raumluft an, die Pumpe lässt Natronlauge zirkulieren. Die reagiert im großen Behälter mit dem eingeleiteten CO2 zu Natriumkarbonat. Einem Salz, das sich am Boden absetzt. Die Luft, die den Tank nach dieser Reaktion wieder verlässt, enthält nur mehr etwa halb so viel Kohlendioxid wie vor dem Ansaugen. Es ist der erste von mehreren Prozessen, an dessen Ende aus dem CO2 und Wasserstoff Methanol entstehen soll.
Idealer Fabrik-Standort: Die Wüste
Voraussetzung dafür, dass dieses grün produziert wird, ist natürlich, nur grünen Strom bei der Herstellung zu verwenden. Den bekommt man am billigsten im Sonnengürtel der Erde, also in den Wüsten. In Namibia beispielsweise im südlichen Afrika, erläutert Johannes Prock, der Technische Leiter des Obrist Teams. Dort sieht der Chemiker einen idealen Standort für eine E-Fuel-Fabrik: "Wir haben deshalb unsere Anlage bewusst einfach gebaut. Das Verfahren muss in Wüsten funktionieren, also robust sein und darf natürlich auch nicht zu viel kosten. Denn wir brauchen ja riesige Fabriken, um entsprechend große Menge CO2 aus der Luft zu gewinnen." Das leuchtet ein.
Wo aber das Wasser in der Wüste herkommen soll, dass Elektrolyseure in Wasserstoff aufspalten müssen, ist auch für viele Experten ein Frage, die sie am Sinn der E-Fuel-Produktion in Wüsten zweifeln lässt. Johannes Prock lächelt. Auch dafür hat sein Team eine Lösung gefunden. "Bei unserem Elektrolyse-Prozess gewinnen wir das Wasser direkt aus der Luft, das geht sogar in der Wüste. So ersparen wir uns die Abhängigkeit von Wasserquellen oder der Entsalzung von Meerwasser, was die Elektrolyse sehr komplex und teuer machen würde."
Obrist will klimapositives Methanol – nicht nur klimaneutrales
Anders als viele Wettbewerber will die Obrist Group nicht nur klimaneutrales, sondern sogar klimapositives Methanol herstellen. Firmengründer Frank Obrist ist schon lange überzeugt: "Null Kohlendioxid reicht nicht mehr aus. Der Klimawandel mit all seinen Extrem-Wetterereignissen findet ja schon auf dem heutigen CO2-Niveau statt. Wir müssen den Mist, den wir die letzten hundert Jahre freigesetzt haben, wieder aus der Atmosphäre herausholen." Mit Mist meint der Unternehmer die durch die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas stetig gewachsenen Mengen des Treibhausgases Kohlendioxid. Nach allgemeiner Auffassung ist es für die Erderwärmung verantwortlich.
Die Vision von Obrist ist: Die Menschheit muss diese Entwicklung zurückdrehen. Dafür sieht er eine Lösung. Ein Teil des aus Luft herausgefilterten Kohlendioxids soll bei der Herstellung in festen Kohlenstoff umgewandelt und so der Atmosphäre dauerhaft entzogen werden.
Energie-Fachmann hält Obrist-Konzept für vielversprechend
Kann das klappen und den Klimawandel abbremsen? Wir bitten Prof. Werner Tillmetz um eine Einschätzung. Er ist ein ausgewiesener Experte auf diesem Gebiet, war lange Zeit Vorstand am Ulmer Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoffforschung. Tillmetz lebt in Lindau, schaut immer wieder mal im Obrist Tech-Center vorbei und weiß, woran das Team arbeitet. Dessen Konzept hält der Chemiker für vielversprechend und realisierbar.
Das Hauptargument aller E-Fuels-Kritiker, die Herstellung der synthetischen Kraftstoffe verbrauche viel mehr Strom als ein batterieelektrisches Auto, sei zwar richtig, bei den Plänen von Obrist aber nicht relevant: "Wenn ich diese Produktion in der Wüste habe, wo ich sehr viel Sonnenschein habe und das sehr sehr billig machen kann, und niemand den Strom brauchen kann, weil das viel zu weit weg ist, dann macht es unglaublich viel Sinn dort den flüssigen Kraftstoff zu produzieren, den nach Deutschland zu transportieren und dann hier zu tanken, wenn man ihn braucht."
Internationale Konzerne schließen Lizenzverträge mit Obrist
Das sehen auch Industrielle Partner so. Die Ideen von Obrist haben zwei internationale Konsortien aus den USA und Namibia beeindruckt. Sie haben vor Kurzem mit der Lindauer Firma Lizenzverträge geschlossen. Wollen deren Patente nutzen und mehr als zehn Milliarden Euro in E-Fuels-Fabriken investieren.
Frank Obrist spricht von einem Meilenstein für sein 60 Personen-Unternehmen: "In Planung sind momentan in Namibia, in Ägypten, in Thailand und vor allem in Amerika die ersten großen Anlagen. Jetzt beginnt die Planungsphase, dann sollen die Fabriken ab 2026 gebaut werden und 2028 sind die ersten hoffentlich fertig. Dann kann die Produktion dieser Kraftstoffe beginnen." Diese könnten auch dem Elektroauto von Obrist zum Durchbruch verhelfen. Fahrbereite Prototypen gibt es schon. Ihre Besonderheit: Sie haben nur einen kleinen und damit billigen Akku. Den Fahrstrom erzeugt ein kleiner Verbrennungsmotor an Bord, spätestens ab dem Jahr 2028 mit dem grünem Methanol aus der Wüste.
Etappenziel fast erreicht
Lange hat Frank Obrist für sein Antriebskonzept Partner aus der Autoindustrie gesucht, um ein Elektroauto in Serie zu bauen, das sich auch ärmere Länder und Menschen leisten können – und zwar weltweit. Jetzt glaubt sich der Unternehmer aus Lindau kurz vor einem wichtigen Etappenziel. Die Verhandlungen mit zwei Herstellern - einem aus Europa und einem aus China - seien weit fortgeschritten. Deren Namen will er erst nennen, wenn die Lizenzverträge unterschrieben sind. Das werde aber, gibt sich Obrist optimistisch, nicht mehr lange dauern.
Im Video: Wie eine Lindauer Firma CO2 aus der Luft filtert
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