Industrieanlage des Rohrdorfer Zementwerkes von Außen.
Bildrechte: BR/Simon Plentinger
Audiobeitrag

Im Rohrdorfer Zementwerk wird derzeit die CO2-Abscheidung erprobt.

Audiobeitrag
> Wissen >

Debatte um CCS: CO2 in den Boden und Klima gerettet?

Debatte um CCS: CO2 in den Boden und Klima gerettet?

Deutschland soll bis 2045 Treibhausgasneutral sein. Als Baustein dafür wird immer häufiger die CO2-Speicherung unter der Erde diskutiert. Doch die birgt Risiken und ist hierzulande bislang verboten. Doch bald könnte Bewegung in die Debatte kommen.

Über dieses Thema berichtet: Notizbuch am .

Das Rohrdorfer Zementwerk im Landkreis Rosenheim testet derzeit eine Technik, die entscheidend sein könnte für das Ziel Klimaneutralität. Bei der Zementherstellung wird CO2 freigesetzt. Der Kohlenstoff kommt dabei aus dem Ausgangsmaterial, dem Kalkstein. Die Folge: Diese CO2-Emissionen lassen sich nur schwer vermeiden, solange Zement zum Bauen gebraucht wird. Selbst wenn das Kraftwerk irgendwann komplett mit erneuerbarer Energie betrieben wird, wird weiterhin CO2 aus dem Kalk frei.

CO2-Abscheidung vervielfacht den Energiebedarf

Darum testen Helmut Leibinger und sein Team bei Rohrdorfer, mit welchem Verfahren sich das CO2 am effektivsten aus dem Rauchgas abscheiden lässt. Kopfzerbrechen bereitet ihm vor allem der hohe Energiebedarf der CO2-Abscheidung. Eine Anlage im industriellen Maßstab würde den Energiebedarf des Kraftwerks verdreifachen. "Diesen Strom müssen wir nicht nur haben, sondern wir brauchen ihn auch als grünen Strom", sagt Leibinger. Strom also, der ausschließlich aus regenerativen Energien gewonnen wurde und nicht aus fossilen Quellen wie Kohle oder Gas. Nur dann sei unterm Strich in Sachen CO2 etwas gewonnen. Dazu kommt: So eine Anlage würde laut dem Rohrdorfer Zementwerk noch einmal so viel Kosten wie das ganze Werk.

Unterirdische Speicher in Deutschland denkbar

Dazu kommt die Frage: Wohin mit dem abgeschiedenen CO2? Eine Möglichkeit wäre, es unter der Erde zu speichern. Zum Beispiel in erschöpften Erdgas- oder Erdöllagerstätten oder in porösem Gestein in über 800 Metern Tiefe. Die Technik wird als Carbon Capture and Storage (CCS) bezeichnet. Auch in Deutschland gibt es erschöpfte Erdgasvorkommen – vor allem in Niedersachsen. Und es gibt geeignete, mit Salzwasser gefüllte Gesteinsschichten vor allem unter der deutschen Nordsee, in Norddeutschland – aber auch in Bayern, südlich der Donau.

CO2-Austritte und Giftstoffe im Grundwasser?

Doch die CO2-Speicherung ist in Deutschland bisher verboten und nur zu Forschungszwecken erlaubt. Denn es gibt durchaus ernstzunehmende Risiken. "Es ist ja kein luftleerer Raum. Da sind keine leeren Höhlen, die darauf warten, mit CO2 gefüllt zu werden", erklärt Bronkalla vom Umweltbundesamt. Es sind poröse Gesteinsschichten wie Sandstein, in deren Poren Wasser lagert.

Die Sorge ist: Wenn CO2 dort hinein verpresst wird, könnte das Wasser verdrängt werden und dabei Giftstoffe wie etwa Schwermetalle aus dem Gestein lösen. Die könnten dann ins Grundwasser gelangen. Oder aber das CO2 tritt wieder aus. Insbesondere Offshore - also vor der Küste - könnte das zum Problem werden: "Bei Austreten von CO2 kann zur Versauerung des Meeres kommen in dem Bereich, wobei die Auswirkungen auf die Meeressäugetiere oder die Ökosysteme noch gar nicht klar sind", sagt Bronkalla.

Bisher keine größeren Unfälle bei CO2-Speichern im Ausland

Experten der Bundesanstalt für Rohstoffe und Geowissenschaften haben ermittelt, wo die CO2-Speicherung in Deutschland denkbar wäre. Sie halten die Technik für relativ sicher. Bei bestehenden Speichern im Ausland habe es bisher keine größeren Unfälle gegeben. Außerdem sei die Technik nicht völlig neu, es gebe Erfahrungswerte aus der Erdgasförderung, die übertragbar seien. Trotzdem stehen zum Beispiel für das CO2 aus dem Rohrdorfer Zementwerk in Deutschland bisher keine solchen Speicher zur Verfügung. Das Gas müsste zum Verpressen nach Dänemark oder Norwegen transportiert werden, wo es bereits CO2-Speicher gibt. Dafür bräuchte es aber eine geeignete Infrastruktur, am besten eine CO2-Pipeline. Als Ausweg stellen die Rohrdorfer Zementwerke aus dem abgeschiedenen CO2 momentan Ameisensäure her. Ein Rohstoff, für den es eine Nachfrage gibt. Sie wird als Desinfektions- und Enteisungsmittel genutzt.

CO2 aus der Luft filtern und verpressen?

Ein anderes Konzept ist das sogenannte "Direct Air Carbon Capture and Storage"-Verfahren. Die Idee ist, CO2 aus der Luft zu filtern und dann im Boden zu speichern. Getestet wird das zum Beispiel in Island. Ob sich die Technik aber so weit hochskalieren lässt, dass es das CO2 in der Atmosphäre effektiv reduziert, ist noch fraglich, sagt die Klimaforscherin Julia Pongratz von der LMU München. Die Pilotanlagen seien vom Gesamtumfang her noch denkbar klein im Verhältnis dazu, was gebraucht würde: "Die größte Anlage will auf 4000 Tonnen CO2 pro Jahr kommen. Das würde dann für etwa 500 Deutsche vom CO2-Ausstoß her reichen", so Pongratz. Die Wissenschaftlerin plädiert aber dafür, ein Portfolio unterschiedlicher Verfahren zu erproben, gerade weil noch gar nicht klar sei, welche Technik am Ende einen großen Beitrag leisten kann.

Wird CCS bald in Deutschland erlaubt?

Politisch könnte bald Bewegung in die Debatte kommen. Vor kurzem erst hat die EU-Kommission in ihrem Vorschlag für Klimaziele bis 2040 die CO2-Speicherung als Möglichkeit thematisiert. In Deutschland wird es zeitnah vor allem darum gehen, ob die CO2-Speicherung eine Option für die Industrie wird. Wirtschaftsverbände pochen darauf. Dann stellt sich aber die Frage, wer letztlich welches CO2 in die begrenzten Speicher füllen darf. Die Kraftwerksstrategie der Bundesregierung für wasserstofffähige Erdgas-Reserve-Kraftwerke nennt die Technik als Möglichkeit, um deren Emissionen auszugleichen, bis die Kraftwerke auf Wasserstoff umgestellt werden.

Umweltbundesamt: Nur schwer vermeidbares CO₂ speichern

Leonie Bronkalla vom Umweltbundesamt, sieht das aber kritisch: "Es ist wichtig, dass wir die begrenzten Speicher frei halten für Rest-Emissionen, die wirklich schwer vermeidbar sind und die Speicher nicht jetzt mit CO2 aus fossilen Quellen füllen, das man eigentlich hätte vermeiden können." Dafür würden die denkbaren Speicherkapazitäten auch gar nicht ausreichen. Die CO2-Speicherung sei wenn dann eine ergänzende Option zum Ausgleich von Emissionen, die sich kaum vermeiden lassen. Diese werden nämlich auch nach Herunterfahren aller Emissionen bis Mitte des Jahrhunderts weiter anfallen, zum Beispiel in der Landwirtschaft, bei der Abfallverbrennung oder eben in bestimmten Industrien wie der Zementindustrie.

Wirtschaftsministerium arbeitet an Strategie

Das sehen inzwischen sogar einige Umweltverbände so. Im Januar haben sich der Naturschutzbund NABU und der WWF einem entsprechenden Appell von Wirtschaftsverbänden angeschlossen. Andere Verbände wie Greenpeace, die Deutsche Umwelthilfe oder der Bund Naturschutz halten die CO2-Speicherung für einen Irrweg. Sie befürchten vor allem, dass die Technik vom eigentlichen Ziel, CO2-Emissionen drastisch zu reduzieren, ablenken könnte.

Grünen-Wirtschaftsminister Robert Habeck hat jetzt die politisch die Aufgabe, in dieser Debatte eine Strategie vorzugeben und die Frage der CO2-Speicherung für Deutschland zu regeln. Auf Anfrage teilt sein Wirtschafts- und Klimaschutzministerium mit, dass gerade eine entsprechende "Carbon Management Strategie" erarbeitet wird. Zu den genauen Inhalten und der Frage, wann die Strategie vorgestellt wird, wollte das Ministerium keine Angaben machen.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!