Thomas Dauenhauer steht mit seinem Sohn Kilian in der Backstube im unterfränkischen Dettelbach – obwohl Sonntag ist. Der Unternehmer Dauenhauer betreibt eine Konditorei, zwei Hotels und ein Restaurant. Dass die Mehrwertsteuer in der Gastronomie von sieben Prozent wieder auf 19 Prozent gestiegen ist, ärgert Dauenhauer zwar, doch das ist längst nicht das einzige: "Ich habe jetzt in meinem Urlaub die letzten drei Tage nur dort hinten in meinem Büro gesessen und habe das aufgearbeitet, was über Weihnachten, Silvester liegengeblieben ist an bürokratischen Arbeiten. Es ist Wahnsinn!"
Bei Dauenhauer hat sich etwas aufgestaut, darum will er noch in derselben Nacht nach Berlin aufbrechen. Dauenhauer will – wie viele Kolleginnen und Kollegen aus demselben Gewerbe – beim großen Finale der Bauernproteste Anfang dieser Woche dabei sein.
Grünen-Chefin Lang: Verhandlungsgrundlage der Landwirte stärken
Die breite Unterstützung der Bauernproteste hat für Grünen-Chefin Ricarda Lang vor allem die "riesige Anerkennung" für ihre Arbeit gezeigt. Lang will die Verhandlungsgrundlage der Landwirte stärken, erklärt sie im BR-Politikmagazin Kontrovers: "Es kann nicht sein, dass Handelsketten hier in Deutschland unsere Landwirte einfach abzocken können. Wir müssen dafür sorgen, dass sie auf Augenhöhe verhandeln können, Preise auch im Vorhinein festlegen können und so auch tatsächlich faire Preise für ihre Lebensmittel und damit auch für ihre harte Arbeit erzielen können."
Es brauche ein neues Gerechtigkeitsversprechen für die Mitte der Gesellschaft, glaubt die Grünen-Chefin: "Also [für] die Menschen, die morgens aufstehen, die hart arbeiten, die sich aber trotzdem oft ihre Miete nicht leisten können, geschweige denn, wenn man vielleicht ein kleines Häuschen bauen will, um mit seiner Familie dort zu leben. Für diese Menschen brauchen wir mehr Gerechtigkeit."
Im Video: Kontrovers-Interview mit Grünen-Chefin Ricarda Lang
Solidarisierung berufsgruppenübergreifend
Doch die Landwirte sind längst nicht allein mit ihrem Unmut – das zeigt der Zuspruch für ihre Proteste aus unterschiedlichen Berufsgruppen. Spediteurin Christina Scheib etwa sieht am vergangenen Freitag bei der Demonstration der Transportbranche auf der Münchner Theresienwiese viele Gemeinsamkeiten mit den Landwirten:
"Im Endeffekt sind wir eins und haben fast die gleichen Probleme. Die Bauern bringen auch das alltägliche Essen, das wir brauchen: Butter, Milch, alles Mögliche. Also genauso wie wir auch. Ich finde das super, dass wir einen riesigen Zusammenhalt haben mit den Bauern, dass wir einfach gehört werden und zusammen sind wir stark." Christian Scheib, Spediteurin
Doch was bewegt die Menschen aus der Gastronomie, dem Handwerk, dem Speditionswesen, sich den Landwirten bei ihren Protesten anzuschließen?
Jeder, der sich am Montag auf den Weg nach Berlin macht, hat anscheinend eigene Forderungen seiner jeweiligen Branche im Gepäck. Für Beschäftigte des Transportwesens etwa geht es um Protest gegen Mauterhöhung, CO₂-Bepreisung und hohe Spritpreise. Die Wirte hingegen wollen ihre sieben Prozent Mehrwertsteuer zurück. Die Kritik von Dauenhauer und anderen Kolleginnen und Kollegen aus dem Bereich des Hotel- und Gaststättenwesens an der Ampelregierung in Berlin ist klar: zu viele überraschende Maßnahmen, zu wenig Verlässlichkeit. Gespannt ist Dauenhauer vor allem auf einen Redner: Auf der Demo wird Finanzminister Christian Lindner (FDP) auftreten.
Berlin: Demonstrierende aus ganz Deutschland
Nur wenige Stunden später liegt am Brandenburger Tor ein Hauch von Revolte in der Luft: Aus ganz Deutschland strömen Bauern und Mittelständler nach Berlin, um zu demonstrieren. Während die landwirtschaftlichen Betriebe bereits seit Wochen gegen die Politik der Bundesregierung demonstrieren, weitet sich der Protest erst in diesen Tagen richtig massiv auf andere Berufsstände aus. Ein Grund: Die Bundesregierung muss Geld einsparen, streicht darum Förderungen, Subventionen und Steuererleichterungen.
Die Stimmung auf den Straßen Berlins ist aufgeladen, Christina Scheib fühlt sich gar an die Gelbwestenproteste in Frankreich erinnert und macht sich Sorgen, dass die Stimmung eskalieren könnte. Doch dass so viele in Berlin gegen die Politik der Regierung demonstrieren, dafür sei die Ampel selbst verantwortlich, glaubt Gastronom Thomas Dauenhauer und kritisiert in Kontrovers: "Man hört uns nicht. Es ist eine ganz andere Welt anscheinend, die man hier in Berlin hat, in der Regierung. Unsere Sorgen und Probleme, die wir am Tag im Betrieb haben, bei unseren Mitarbeitern haben, mit unseren Mitarbeitern haben, die sieht man hört man überhaupt nicht."
Enttäuschung der Demonstrierenden nach Lindner-Rede
Während Dauenhauer noch vor wenigen Stunden dem Auftritt von Finanzminister Lindner entgegengefiebert hat, ist er kurz nach dessen Rede enttäuscht: Der Finanzminister bleibt in seiner Rede hart, macht keine weiteren Zugeständnisse. Erst wenige Tage vor der Großdemonstration war die Ampelregierung den Bauern bereits entgegengekommen: Die KfZ-Steuerbefreiung für landwirtschaftliche Fahrzeuge sollte doch nicht abgeschafft werden und die Subventionen für Agrardiesel nicht sofort, sondern über einen Zeitraum von drei Jahren schrittweise gestrichen werden.
Diese Zugeständnisse trägt auch die Vorsitzende der Grünen, Lang, mit, denn: "Das wäre eine Überbelastung gewesen. Das war ein Fehler. Deshalb wurde dieser Fehler korrigiert", sagt sie im Interview mit dem BR-Politikmagazin Kontrovers. Die jetzigen Zugeständnisse: für Lang ein ausgeglichener Kompromiss. Beim Agrardiesel jedoch vollständig vor der Menge der lautstark Demonstrierenden einzuknicken, würde anderen Gruppen ein falsches Signal senden, sagt Lang: "Ich denke an Pflegekräfte. Ich denke an Eltern, dass immer am Ende nur die gehört werden, die am lautesten sind. Ich glaube, wir als Politik müssen den Interessensausgleich schaffen, also Kompromisse, die für alle funktionieren."
Proteste vorbei – oder pausiert?
Dauenhauer zeigt sich am Montag vor dem Brandenburger Tor und nach Lindners Rede enttäuscht: Die Politiker in Berlin hätten "es nach wie vor nicht verstanden. Es ist unglaublich. Kein Schritt zurück." Auch Spediteurin Christina Scheib fühlt sich nach der Lindner-Rede bestärkt: "Natürlich hat er auch Sachen gesagt, die auch richtig sind. Aber man kann der Politik einfach nicht mehr vertrauen." Die Proteste scheinen nur vorübergehend auf Eis gelegt.
Konfrontiert mit dieser Wut auf die Bundesregierung, fordert Grünen-Chefin Lang vor allem ein geschlosseneres Auftreten der Ampel-Koalitionäre: "Ich glaube, wir müssen mehr gemeinsam auftreten, für Kompromisse einstehen und auch darum werben." Zwar schmiede man diese gemeinsam, stehe dafür aber nicht wirklich ein und könne dadurch auch nicht gut kommunizieren und die Menschen davon überzeugen, räumt Lang im Politikmagazin Kontrovers ein.
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