Die evangelische Landeskirche hat eine Liste mit allen ihr bisher bekannten Fällen sexualisierter Gewalt seit 1946 an die Generalstaatsanwaltschaft Bamberg übergeben. Enthalten sind nach Angaben der Landeskirche alle 226 Fälle, die an die Forscher der ForuM-Studie gemeldet wurden, außerdem weitere Fälle, die der "Anerkennungskommission zur Gewährung von Leistungen in Anerkennung erlittenen Unrechts an Betroffene sexualisierter Gewalt" vorlagen und alle Meldungen an die landeskirchliche Ansprechstelle seit 2021.
Justizminister: Landeskirche soll alle Personalakten sichten
Bayerns Justizminister Georg Eisenreich erklärte dem BR auf Anfrage, die Generalstaatsanwaltschaft Bamberg werde die von der evangelischen Landeskirche vorgelegte Liste nun prüfen. Unabhängig davon gelte aber: Die Verfasser hätten bei der Vorstellung der ForuM-Studie klargemacht, dass eine umfassende Auswertung der Personalakten Verdachtsfälle zutage fördern könne.
Bisher wurden nur die Disziplinarakten durchgesehen. "Ich fordere die Landeskirche daher auf, dies in die Wege zu leiten. Es ist bereits wertvolle Zeit vergangen", teilte der Justizminister schriftlich mit.
Landeskirche will Personalakten extern überprüfen lassen
Das hat die Landeskirche schon vor Wochen zugesagt und nun noch einmal bestätigt. "Wir packen das Screening aller Personalakten in Bayern jetzt an, sind aber im Gespräch darüber mit anderen Landeskirchen", so Landesbischof Christian Kopp.
Ziel sei nun, dass externe Fachleute alle verfügbaren Personalakten durchsehen. Ein offizieller Beschluss der Kirchenleitung dazu liege allerdings bisher nicht vor. Eine Arbeitsgruppe plane derzeit die Umsetzung des auf zwei Jahre angelegten Akten-Screenings.
Daten müssen für Durchsicht erst digitalisiert werden
Was die Durchsicht der Personalakten schwierig macht: Diese werden nicht etwa in einem zentralen Archiv im Landeskirchenamt gelagert, sondern "dezentral in ganz Bayern", so heißt es aus dem Landeskirchenamt, also etwa bei den zuständigen Dekanaten vor Ort. Zunächst sollen alle diese Personalakten digitalisiert werden, bevor sie dann den externen Experten zur Durchsicht vorgelegt werden können.
Als externe Experten für die Untersuchung brachte der Landesbischof beispielsweise pensionierte Kriminalbeamte oder Staatsanwälte ins Gespräch, die auf Honorarbasis beauftragt werden könnten.
ForuM-Studie hat Missbrauch nur teilweise offengelegt
Ende Januar hatte ein Forschungsverbund im Auftrag der EKD die sogenannte ForuM-Studie über sexualisierte Gewalt im Raum der evangelischen Kirche und der Diakonie veröffentlicht. Die Forscher gehen darin von mindestens 2.225 Missbrauchsbetroffenen und 1.259 mutmaßlichen Tätern im Bereich der evangelischen Kirche in ganz Deutschland aus.
Sie stellten aber zugleich klar, dass dies nur "die Spitze der Spitze des Eisbergs" sei, da für die Auswertung nur diejenigen Akten untersucht worden waren, die Disziplinarverfahren dokumentieren. Hätte man alle Personalakten untersucht, hätten sich sehr wahrscheinlich deutlich mehr Hinweise auf Missbrauch gefunden, so die Forscher.
Mit Material von epd
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
Newsletter abonnieren
Sie interessieren sich für Religion, Glaube, Spiritualität oder ethische Fragen? Dann abonnieren Sie hier den Newsletter der Fachredaktion Religion und Orientierung.