Ein Kind sitzt im Kinderzimmer auf dem Bett.
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Familie

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Missbrauchsopfer: Stadt München zahlt 35 Millionen Euro

Die Stadt München will 35 Millionen Euro für Betroffene von Missbrauch in Kinderheimen und Pflegefamilien bereitstellen. Damit soll Verantwortung für das Versagen des Stadtjugendamtes übernommen werden. Der Schritt ist bundesweit einzigartig.

Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten aus Oberbayern am .

München stellt 35 Millionen Euro für Menschen zur Verfügung, die in städtischen Kinderheimen, Pflege- oder Adoptivfamilien Opfer von Missbrauch wurden. Das hat der zuständige Stadtratsausschuss einstimmig beschlossen, wie das Sozialreferat mitteilte.

"Wir hoffen mit der Auszahlung der Anerkennungsleistungen an Betroffene von Gewalt und Missbrauch in ihrer Kindheit nicht nur eine finanzielle Erleichterung im Leben der Betroffenen zu erreichen." Verena Dietl, dritte Münchner Bürgermeisterin

Die Schicksale der Opfer müssten auch in der Öffentlichkeit wahrgenommen und von ihr anerkannt werden, so Dietl.

Missbrauchsbeauftragte: "Deutschlandweit einmalig"

Nach Angaben der Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Kerstin Claus, ist die Entscheidung der bayerischen Landeshauptstadt deutschlandweit einmalig. Zum ersten Mal erkenne eine Kommune das Leid Betroffener durch Gewalt, Missbrauch und Vernachlässigung in Heimerziehung, Pflege- und Adoptivfamilien an und stelle zudem einen stattlichen Betrag für Hilfe bereit, sagte sie und weiter: "Diesem Beispiel sollten andere Kommunen folgen und ebenfalls Verantwortung übernehmen. 35 Millionen Euro sind für Betroffene eine wichtige Unterstützung."

Stadtratsausschuss übernimmt Vorschlag der unabhängigen Kommission

Eine 2021 eingerichtete, unabhängige Kommission zur Aufarbeitung der Geschehnisse in den Heimen, Pflege- und Adoptivfamilien hatte ein Konzept und ein Verfahren zur Auszahlung von Anerkennungsleistungen an Betroffene erarbeitet, das nun vom Stadtratsausschuss verabschiedet wurde. Der veranschlagte Mittelbedarf für die Anerkennungsleistungen beläuft sich insgesamt auf 35 Millionen Euro. 

Denn die Expertenkommission rechnet mit rund 250 Anträgen auf Anerkennungsleistungen, 165 liegen nach Angaben des Sozialreferates schon vor. 15 Millionen Euro sollen noch in diesem Jahr abgerufen werden, 20 im Jahr 2025. Gedacht ist das Geld für Betroffene aus den Jahren 1945 bis etwa 1999. Viele von ihnen leiden bis heute unter den Gewalt- und Missbrauchserfahrungen.

Pauschale Beurteilung kaum möglich

Ignaz Raab, der Vorsitzende der Kommission, sagte, ein Prüfgremium solle über die Anträge entscheiden, "da eine rein pauschale Beurteilung von Missbrauchs- und Gewalterfahrungen nie den individuellen Schicksalen von Betroffenen gerecht werden kann". Die Kriterien sollen "nicht an die Öffentlichkeit weitergegeben werden".

Der Vorsitzende des Betroffenenbeirates, Benno Oberleitner, betonte: "Eine Gerechtigkeit können wir leider unmöglich erreichen, aber die Anerkennungsleistungen sollen für Betroffene ein spürbarer Betrag und auch ein Schuldeingeständnis von Seiten der Täterorganisation sein."

Schon Millionen für Soforthilfen bereitgestellt

Seit drei Jahren können Betroffene bereits Soforthilfe beantragen und nach eigenem Ermessen verwenden. Bis zum Frühling sind fast 150 Anträge eingegangen. An die 4,3 Millionen Euro hat der Stadtrat dafür genehmigt. Die Anerkennungsleistungen richten sich - ebenso wie diese Soforthilfen - an Betroffene, die vom Stadtjugendamt in Heimen, Pflege- oder Adoptivfamilien untergebracht wurden und dort Gewalt erfahren haben, unter der sie heute noch leiden.

"Es besteht akuter Handlungs- und Aufarbeitungsbedarf"

Die Missbrauchsbeauftragte Claus nannte den Münchner Beschluss "ein starkes Zeichen". "Wir wissen aus den Berichten von Betroffenen, die bei der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs eingegangen sind, wie viel Gewalt in der Heimerziehung sowohl in der BRD als auch in der DDR ausgeübt wurde. Hier besteht weiterhin akuter Handlungs- und Aufarbeitungsbedarf", sagte sie.

Mit Informationen von dpa und KNA.

Im Video: Missbrauch in Heimen - München zahlt Entschädigung

Schmiedeeisernes Tor zu einem Kinderheim
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Missbrauch in Heimen: München zahlt Entschädigung

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