Die Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD haben begonnen, und die Zeit drängt: Trump, Ukraine, Wirtschaftskrise – die Rufe nach einer Regierung mit Entscheidungsmehrheit im Bundestag sind laut. In 16 Gruppen verhandeln die Parteien ihren Fahrplan für die nächsten Jahre. Aber wie wird hinter verschlossenen Türen gesprochen?
"Manche Methoden, die der liebe Gott nicht so gern sieht"
Erwin Huber war in vielen solcher Runden dabei – und weiß, welche Taktiken es gibt: "Vom Weinen bis zum Schimpfen und auf den Tisch hauen." Der Ex-CSU-Chef hat in den 90ern die schwarz-gelben Koalitionen unter Helmut Kohl mitverhandelt, 2005 die erste Groko unter Neu-Kanzlerin Angela Merkel, und 2008 das Bündnis von CSU und FDP in Bayern.
Er glaube, dass Merz, Klingbeil und Co. gerade "in einem sehr ernsten und sachlichen Ton" verhandeln. Trotzdem gelte grundsätzlich: "Es werden sicherlich auch manche Methoden angewandt, die der liebe Gott nicht so gern sieht. Da wird schon mit allen Haken und Ösen und Tricks gearbeitet", sagt Huber. Am aussichtsreichsten seien Gespräche aber, wenn man mit offenen Karten spiele und klar sage: "Da habe ich Kompromissmöglichkeiten – und da ist eine rote Linie."
Im Video: Koalitionsverhandlungen - Was geschieht hinter den Kulissen?
Verhandlungen im kleinen Kreis, sonst "gehören wir der Katz"
Das sieht Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ähnlich: "Zunächst muss eine klare Forderung von jeder Seite auf dem Tisch liegen. Dann weiß man auch, wie weit jeder zurückgehen muss." Die ehemalige FDP-Justizministerin war bei den Gesprächen von Schwarz-Gelb 2009 in Berlin dabei. Ein Streitpunkt damals: Sicherheit. CDU-Verhandler Wolfgang Schäuble wollte mehr Überwachung, Leutheusser-Schnarrenberger pochte auf Bürgerrechte: "Da ging's richtig hart zur Sache."
Manchmal musste unterbrochen werden: "Bevor wir uns gegenseitig unsere bekannten Positionen an den Kopf werfen, gehen wir erstmal raus." Leutheusser-Schnarrenberger und Schäuble wollten ihr Themenfeld im kleinen Kreis und nicht in großer Runde klären. "Wenn die die Online-Durchsuchung von Computern verhandeln, mit fünf Prozent Steuer mehr oder weniger beim Solidaritätszuschlag, dann gehören wir der Katz. Wir wollten, dass es nicht zum Gegenstand von Deals wird."
Rücksprachen gebe es ständig in die eigene Partei hinein. Referenten schreiben Entwürfe, lösen juristische Knoten. Leutheusser-Schnarrenberger und Schäuble einigten sich. So wurde etwa die Vorratsdatenspeicherung auf schwere Gefahrensituationen beschränkt. Eine gemeinsame Lösung ist das Ziel. "Da muss man Kompromisse finden", sagt Leutheusser-Schnarrenberger. "Da kann sich keine Seite so durchsetzen, wie sie es im Wahlkampf versprochen hat."
Negativbeispiel: Jamaika
Doch das gelingt nicht immer: Anton Hofreiter war für die Grünen bei den Jamaika-Verhandlungen 2017 dabei. "Bei der Verkehrspolitik war es damals eine sehr intensive Debatte, insbesondere zwischen Alexander Dobrindt und mir. Wie soll die Struktur der Bahn sein? Wie viele Milliarden gibt es für was?" Der damalige CSU-Verkehrsminister Dobrindt und Hofreiter fanden zwar zusammen, doch dann wollte FDP-Chef Christian Lindner lieber nicht regieren, "als falsch zu regieren".
"Es war einfach krass", erinnert sich Hofreiter. "Nachdem die zentralen Probleme gelöst waren, sind die aufgestanden und gegangen." Der Abbruch habe sich abgezeichnet, sagt FDP-Politikerin Leutheusser-Schnarrenberger, die selbst damals nicht mitverhandelte: "Dass sich da unglaublich Frust aufgebaut hatte, war ja bekannt." Die Jamaika-Gespräche waren geprägt von zahlreichen Indiskretionen und Durchstechereien. Politiker müssten aber auch "manches durchstehen", sagt Leutheusser-Schnarrenberger. In Österreich hätten ÖVP, SPÖ und NEOS ihre ersten Verhandlungen abgebrochen: "Jetzt bilden sie die Regierung, weil sie gemerkt haben: Es ist so ernst, dass sonst mit der FPÖ und einem Kanzler Kickl die halbe Welt untergeht."
Zwischen dicken Haien und kleinen Fischen
"Ein Politiker ist kein Roboter", sagt Ex-CSU-Chef Huber, "sondern er hängt sich ja oft Jahre rein in eine Sache. Dann loszulassen und Kompromisse zu schließen, ist auch eine schmerzliche Geschichte." Wer setzt sich durch, wer bekommt welche Posten – und wie viel Haifischbecken umgibt die Politik? "Haifische sind eigentlich zahme Tiere gegenüber Politikern", sagt Huber schmunzelnd.
Auch Leutheusser-Schnarrenberger kann dem Bild etwas abgewinnen: Es gebe in der Politik "dicke Haie", die die kleinen Fische gerne beiseitedrängen wollten. Und ja: Auch Intrigen und Abneigungen kämen vor. "Man darf nicht naiv rangehen", sagt die FDP-Politikerin, "dann wird man auch nicht gefressen im Becken."
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