Mehrere Motorradunfälle am Sudelfeld haben die Diskussion um eine mögliche Streckensperrung wieder angeheizt. Vier schwere Unfälle ereigneten sich bereits in dieser Saison. Die Behörden wollen die B 307 zwischen Bayrischzell und Brannenburg seit Jahren für Motorradfahrer sperren lassen. Doch es gibt Hindernisse und Widerstand.
Polizei sucht Kontakt mit Bikern
Mit den Polizeimotorrädern hinauf auf das Sudelfeld: Roman Gold und Jan Zangenfeind von der Autobahnpolizei Holzkirchen sind selbst leidenschaftliche Motorradfahrer. Heute kontrollieren sie diejenigen, deren Hobby sie teilen.
"Wir werden auch heute wieder versuchen, mit den Motorradfahrern ins Gespräch zu kommen und die Situation zu erklären, dass sie sich ihr eigenes Hobby nicht kaputt machen mit ihrer Fahrerei. Wenn hier gesperrt werden muss, aufgrund der hohen Unfallzahlen, ist keinem gedient – weder dem normalen Motorradfahrer noch den sportlichen oder den Rennfahrern", meint Polizeihauptkommissar Zangenfeind. Neben Gesprächen werfen sie auch ein Auge auf die Technik, was vor allem einem jungen Fahrer aus dem Münchner Raum zum Verhängnis werden wird.
Streckensperrung am Sudelfeld in der Diskussion
Seit eine der schönsten Motorradstrecken Bayerns, die Kesselbergstrecke am Kochelsee, täglich zwischen 15 und 22 Uhr für Motorräder gesperrt ist, verlagert sich der Verkehr zunehmend ans Sudelfeld. Das bestätigen Anwohner, die Polizei und Motorradfahrer.
Seit Saisonstart im April gab es vier schwere Unfälle mit Motorradbeteiligung am Sudelfeld, im vergangenen Jahr sogar einen tödlichen. Der Ruf nach einer Streckensperrung für Motorräder ist jüngst wieder lauter geworden. Ein Vorstoß wurde 1985 nach anderthalb Jahren juristisch gekippt, denn die rechtlichen Hürden für Behörden sind hoch, eine einzelne Gruppe aus dem Verkehr auszuschließen.
BR24 vor Ort hat bei den zuständigen Behörden nachgefragt und am Sudelfeld mit Motorradfahrern, Anwohnern und der Polizei gesprochen - und dabei sogar einen Motorradfahrer getroffen, dessen bester Freund erst an Pfingsten einen schweren Motorradunfall am Sudelfeld hatte, mittlerweile aber auf dem Weg der Besserung ist. Was das für den besten Freund verändert: oben im Video.
Hoher Aufwand für Behörden
Ausschlaggebend ist § 45 der Straßenverkehrsordnung: Am Sudelfeld könnte unter Umständen die Sicherheit und Ordnung des Verkehrs so massiv betroffen sein, dass man hier eine entsprechende Anordnung treffen könnte, so die Regierung von Oberbayern. Sie berät die zuständigen Landratsämter Rosenheim und Miesbach.
Für eine Sperrung müssten Gefahren vorliegen, die das übliche Maß erheblich überschreiten. Dies sei im konkreten Fall genau zu prüfen und es gäbe dabei vieles zu beachten: Das Interesse aller Verkehrsteilnehmer sei gegeneinander abzuwägen, alle Maßnahmen müssten verhältnismäßig sein und die Behörde sei verpflichtet, stets das mildeste Mittel zu wählen, um den gewünschten Erfolg zu bekommen. Eine ganze Fahrzeuggruppe auszuschließen sei das schärfste Mittel, dass man sich vorstellen könne, so die Regierung von Oberbayern. Die umfassende und komplexe Prüfung am Sudelfeld laufe noch.
Motorradfahrer sind gegen Streckensperrung
Von einer möglichen Streckensperrung der B 307 zwischen Bayrischzell und Brannenburg zeigen sich die Motorradfahrer wenig begeistert. Gegenüber BR24 vor Ort bekunden alle Fahrer, sehr gerne am Sudelfeld unterwegs zu sein - etwa wegen der Kurven und der schönen Aussicht. Eine Streckensperrung würde das Problem nur verlagern, meinen viele, und man könne nicht alle Motorradfahrer über einen Kamm scheren.
Außerdem habe ein Ausflug hierher auch eine gesellschaftliche Komponente: Man treffe und unterhalte sich. Das sei schon am Kesselberg weggefallen, meint ein Fahrer aus Wolfratshausen. Einen Motorradfahrer aus Brannenburg würde eine Streckensperrung "so richtig sauer" machen. Das sei Diskriminierung, denn schließlich zahle man Kfz-Steuer.
ADAC sieht Streckensperrungen kritisch
Auch der ADAC ist gegen Streckensperrungen: Sie dürften stets nur die Ultima Ratio sein. Man müsse alles tun, um das zu verhindern, findet der verkehrs- und umweltpolitische Sprecher des ADAC, Alexander Kreipl. Es seien einige wenige Motorradfahrer, die sich nicht konform verhalten würden, aber es sei die Mehrheit, die unter einer Streckensperrung leiden würde, so Kreipl. Zudem würde sich der Verkehr letztendlich nur verlagern. Weiter weist der ADAC-Sprecher darauf hin, dass eine Sperrung rechtskonform sein müsse und darin sehe er die größte Hürde.
Das wurde vor der Sperrung am Kesselberg versucht
1978 wurde die Kesselbergstrecke erstmals für Motorräder gesperrt, bergauf, am Wochenende und an Feiertagen. Auf der gesamten Strecke gilt laut dem Landratsamt Bad Tölz-Wolfratshausen Tempo 60 und Überholverbot. Hindernisse am Fahrbahnrand wurden entfernt. Seit 2005 verhindert ein Unterfahrschutz an den Leitplanken, dass Motorradfahrer darunter durchrutschen und sich schwer verletzen können. 2014 werden Rüttelstreifen getestet - ohne Erfolg, die Rüttelstreifen kommen wieder weg. 2016 sollen Leitschwellen besonders gefährliche Kurven entschärfen, doch auch diese Maßnahme führt laut Behörden nicht zu weniger Unfällen.
Deshalb 2023 die Entscheidung: Der Kesselberg wird in der Motorradsaison täglich von 15 bis 22 Uhr für Krafträder gesperrt. Dies gilt testweise für zwei Jahre bis kommenden Oktober. Dann wertet eine Kommission die Unfallstatistik aus. "Ziel ist es, die Zahl schwerer Unfälle zu reduzieren und die Verkehrssicherheit zu erhöhen, nicht die Manifestierung der Sperrung oder anderer Maßnahmen", heißt es aus dem zuständigen Landratsamt Bad Tölz-Wolfratshausen.
Das ist der Stand am Sudelfeld
Für das Sudelfeld sind die Landratsämter Rosenheim und Miesbach zuständig, Rosenheim ist federführend. 1984 und 1985 war der Sudelfeldpass bereits am Wochenende und an Feiertagen für Motorradfahrer gesperrt, das wurde dann aber rechtlich gekippt. Auf der Strecke gelten stellenweise Überholverbote und Geschwindigkeitsbeschränkungen. In einigen Kurven gibt es Rüttelstreifen und Markierungsknöpfe sowie stellenweise Unterfahrschutz an Leitplanken. Das Landratsamt Rosenheim hatte auch schon andere Ideen, um die Unfallzahlen am Sudelfeld zu senken: Abgelehnte Vorschläge waren eigenen Angaben nach etwa feste Blitzer oder eine Einbahnstraßenregelung.
Eine schnelle Lösung oder eine baldige Sperrung der Sudelfeldstraße ist nicht zu erwarten. Eine Arbeitsgruppe tagt regelmäßig, um zu prüfen, ob eine Sperrung überhaupt in Betracht gezogen werden kann. Das Landratsamt Rosenheim sammelt Daten, darunter genaue Verkehrszahlen, Verkehrsarten, Verkehrsrichtungen und Unfallstatistiken. Diese Daten müssten über einen längeren Zeitraum betrachtet werden, damit sie aussagekräftig sind, so das Landratsamt Rosenheim weiter. In der jüngsten Zeit bremsten aber diverse Baustellen die Messungen ein.
Lösungen und Anregungen
Ein entnervter Anwohner beschwert sich am Rande der BR-Dreharbeiten massiv über den Verkehrslärm am Sudelfeld. Autos und Motorräder, die über die Rüttelstreifen fahren, höre er bis zu seiner Alm hinauf. Lauten Verkehr gebe es vom frühen Morgen bis zum späten Abend und geholfen werde einem nicht, schimpft der Anwohner, der sarkastisch "Kiesbett statt Straße" vorschlägt. Auch Ampeln kann er sich vorstellen, um den Verkehr einzubremsen. Ein weiterer Anwohner schlägt eine Gedenkmeile am Straßenrand vor, also eine Fotostrecke von verunglückten Motorradfahrern.
Der Polizeibeamte Jan Zangenfeind bringt legale Rennstrecken ins Spiel, "wo sich die Leute ausleben können". Er kenne Ähnliches aus Österreich, dort seien diese Strecken sehr beliebt. Der ADAC verweist auf diverse Motorradclubs oder Ortsvereine, die mehrtägige Fahrten zu Rennstrecken zum Beispiel nach Tschechien organisieren. Der ADAC selbst könne aus vielerlei Gründen keine Rennstrecke betreiben, heißt es auf BR-Anfrage. Hier bräuchte es vielmehr private Betreiber. Für Zangenfeind ist ausschlaggebend - mit Blick auf das Sudelfeld: "Die Vernunft muss wieder einkehren."
Zurück zur Polizeikontrolle – Weiterfahrt untersagt
Ein junger Mann aus dem Raum München kommt mit abgewetztem Reifenprofil in die Polizeikontrolle am Sudelfeld. Er ist gerade über 2.000 Kilometer in den Urlaub gefahren. Doch nun heißt es absteigen: "So sahen die Reifen beim letzten tödlichen Unfall aus, rundum regnet es, wir können dich so nicht weiterfahren lassen", heißt es von den Beamten. Der Fahrer steigt ab, schiebt sein Motorrad auf den Parkplatz und organisiert eine Abholung. Gemeinsam mit den Polizisten wartet er mehrere Stunden. Als die Beamten Feierabend machen, wartet er noch immer. Jetzt will er es auch durchziehen, meint er, und wirkt dabei nicht einmal genervt: "Ist entschleunigend", sagt er zum Abschied.
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