Im Prozess um einen tödlichen Raserunfall in München ist der Angeklagte wegen Mordes und vierfachen Mordversuchs zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Das verkündete das Landgericht München I am Dienstagnachmittag. Außerdem wurde die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet.
Der tödliche Raserunfall in München-Laim hatte Ende 2019 deutschlandweit für Aufsehen und Trauer gesorgt. Seit Mitte Januar musste sich der 36-jährige Fahrer aus dem Oberland deshalb vor Gericht verantworten.
Mit 120 durch die Stadt - 14-Jähriger stirbt
Am 15. November 2019 war der Mann um kurz vor Mitternacht auf der Flucht vor einer Polizei¬kontrolle auf der Gegenfahrbahn durch die Stadt gerast. Laut Polizei ignorierte er mehrere rote Ampeln und erfasste dabei - nach Angaben der Staatsanwaltschaft mit 120 Kilometern in der Stunde - zwei 14 und 16 Jahre alte Jugendliche, die gerade die Straße überquerten. Der 14-Jährige starb, die 16-Jährige wurde schwer verletzt.
Die Vorsitzende Richterin Elisabeth Ehrl sprach von einem tragischen Abend, traumatischen Erlebnissen und "Sekunden oder Zehntelsekunden, die über Leben und Tod entschieden". Der Angeklagte nahm das Urteil regungslos und mit gesenktem Blick entgegen.
Richterin: "Kamikaze-ähnliches Verhalten"
Die immer kleiner werdende "Chance auf eine glückliche Flucht" sei ihm wichtiger gewesen als ein Menschenleben, "wichtiger sogar als sein eigenes, sicheres Überleben", so Richterin Ehrl. Sie spricht von "Kamikaze-ähnlichem Verhalten". Der Angeklagte habe gedacht: "Ich will hier weg, koste es, was es wolle".
Gericht sieht Tötungsvorsatz bestätigt
Da der Angeklagte nach Überzeugung des Gerichts der drohenden Polizeikontrolle um jeden Preis entkommen wollte, fasste er den Entschluss sein Auto auf die Gegenfahrbahn zu lenken. Die entgegenkommenden Fahrzeuge sollten eine Verfolgung des 36 jährigen BMW-Fahrers durch die Polizei erschweren. Der Angeklagte wusste aber nach Ansicht der Richter, dass er mit diesem Verhalten Menschenleben gefährden würde, zumal er an einem Freitagabend auf einer belebten Straße unterwegs war und es viele Anzeichen für Fußgänger gab.
Zwei Mordmerkmale erkennbar
Mit einem Auto in einer Stadt wie München bewusst auf der Gegenfahrbahn mit über 120 km/h entlang zu rasen, werteten die Richter am Landgericht München 1 als gemeingefährlich. Zudem kommt noch das Mordmerkmal der Heimtücke. Als die zwei Jugendlichen die Fürstenrieder-Straße zu Fuß überquerten, konnten sie nach Überzeugung der Richter nicht ahnen, dass sie von einem Geisterfahrer überrascht werden würden. Als der BMW-Fahrer mit geschätzten 122 km/h in die beiden Schüler raste, hatte der getötete 14 jährige Junge keine Chance, diesen Aufprall zu überleben. Beide Jugendlichen waren arg- und wehrlos. Dem Vorwurf der Staatsanwaltschaft, der Angeklagte habe aus niedrigen Beweggründen und aus Verdunkelungsabsicht gehandelt, folgte das Gericht jedoch nicht.
Staatsanwältin wirft Angeklagtem "krasses Eigeninteresse" vor
Auch die Staatsanwaltschaft hatte im Verlauf des Prozesses eine lebenslange Freiheitsstrafe gefordert. Sie wirft dem Angeklagten Mord und mehrere Mordversuche vor. "Dass bei seiner Fahrweise das von ihm gelenkte Fahrzeug eine nicht vorhersehbare Anzahl von Menschen töten könnte, nahm er billigend in Kauf", sagte die Staatsanwältin bei der Verlesung der Anklage.
"Durch dieses Vorgehen stellte er seine Interessen - nämlich eine erneute Inhaftierung unter allen Umständen zu vermeiden - in krasser Eigensucht über das Lebensrecht anderer Verkehrsteilnehmer."
Scharfe Kritik am Prozessablauf seitens der Verteidigung
Die Verteidigung machte nach dem Urteil deutlich, dass sie in Revision gehen will. Die beiden Anwälte hatten bereits während des Prozesses deutlich gemacht, dass sie die Anklage und Verurteilung wegen Mordes für überzogen halten. Nach ihrer Ansicht handelte sich bei der Tat um ein illegalen Autorennens mit tödlichem Ausgang. Damit hätte die Höchststrafe bei zehn Jahren gelegen. Konkrete Anträge wurden allerdings nicht gestellt.
"Es handelt sich hier um eine Mordanklage, die vor vier oder fünf Jahren wohl nicht erhoben worden wäre", hatte die Anwältin bereits zum Prozessauftakt geäußert. "Wie kommt man dazu, davon auszugehen, dass unser Mandant vorsätzlich Personen ermorden wollte?" Sie erhebt auch Vorwürfe gegen die Polizisten, die den Angeklagten verfolgten, nachdem er sich der Kontrolle entzogen hatte. Man müsse sich "mit der Frage auseinandersetzen, ob die Reaktion der Polizei okay war", sagt sie. "Macht es im Hinblick auf die Gefährdungslage vielleicht gar keinen Unterschied, ob ich der Flüchtende oder Verfolgende bin?"
In ihrem Plädoyer hatte die Anwältin des 36-Jährigen auch den Ablauf des Prozesses scharf kritisiert. Ihr Mandant habe keine echte Chance gehabt. Die Beweisaufnahme sei zum Teil abenteuerlich gewesen. Unter anderem hatte die Rechtsanwältin kritisiert, dass ein Großteil der Zeugenaussagen zu subjektiv gewesen sei, um sich als Grundlage für ein Urteil zu eignen.
Angeklagter: Bereue jeden Tag
Der geständige Angeklagte aus dem Tölzer Land war der Verhandlung und dem heutigen Urteil reglos gefolgt, den Blick hatte er meist zu Boden gerichtet. An einem der letzten Prozesstage hatte er bekannt, dass er jeden Tag bereue. Könnte er mit dem getöteten Jungen tauschen, würde er dies tun. Den Angehörigen bot er an, immer für ein Gespräch zur Verfügung zu stehen.
Bereits am ersten Prozesstag hatte der Angeklagte über seine Verteidigung erklären lassen, dass ihm alles "unsagbar leid" tue. Er empfinde "Schock, Schuldgefühle, Selbstmordgedanken". Die Gefahr habe er "vollkommen unter-" und sich selbst überschätzt.
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