Jutta Söllner ist Rentnerin und plant mit ihrem Mann einen Umbau der eigenen vier Wände. Die 64-Jährige leidet an chronischen Rückenschmerzen und möchte möglichst lange Zeit selbstständig zu Hause leben. "Man muss ans Alter denken", sagt sie. "Wenn man etwas macht, dann soll es auch richtig sein." Deshalb hat sie einen Termin bei Wohnberaterin Tina Bauer gebucht - direkt in der barrierefreien Musterwohnung, die die Leitstelle Pflege für Stadt und Landkreis Hof gerade eröffnet hat.
Schon beim Hausbau an Barrierefreiheit denken
Hier sollten sich aber nicht nur ältere Menschen umschauen, wünscht sich Tina Bauer. Die insgesamt zwei haupt- und vier ehrenamtlichen Wohnberaterinnen und -berater wollen mit dem neuen Angebot auch junge Familien erreichen, damit diese beim Hausbau von Anfang an Barrierefreiheit berücksichtigen. Unfälle und Krankheiten können in jeder Lebensphase den Alltag auf den Kopf stellen, betont Bauer.
Im barrierefreien Bad zeigt sie Jutta Söllner unterschiedliche Hilfsmöglichkeiten – vom Wannenlift über die ebenerdige Dusche bis zu höhenverstellbarer Toilette und Waschbecken. Die Rentnerin ist beeindruckt - gleichzeitig plagen sie Gedanken über hohe Umbaukosten.
Hilfe bei den Zuschuss-Anträgen
Mit 4.000 Euro aufwärts muss man rechnen, das sei eine grobe Schätzung, sagt Tina Bauer. Auch die Finanzierungsdetails gehören zur Wohnberatung. Wichtig sei ein Kostenvoranschlag eines Sanitärfachmanns, den man dann bei der Pflegekasse als sogenannte "wohnumfeldverbessernde Maßnahme" vorlegt, erklärt sie. Dieser müsse unbedingt vor Baubeginn gestellt werden. Solche Umbauten sind übrigens auch in Mietwohnungen möglich, erklärt die Wohnberaterin, die sich auch als Lotsin durch den Zuschuss-Dschungel versteht.
Die Pflegekasse zahle einmalig 4.000 Euro pro Person, erklärt Tina Bauer. Zusätzlich könne man über spezielle Förderprogramme noch zinslose Darlehen beantragen. Und wer keinen Pflegegrad hat, sondern präventiv investieren will, könne sich an die Förderbank KfW wenden. Auch von Stiftungen, den Berufsgenossenschaften oder der Arbeitsagentur sind Finanzspritzen möglich. Von der Krankenkasse werden sogenannte Hilfsmittel bezahlt: Die Wohnberaterin zeigt Jutta Söllner im Schlafzimmer der Musterwohnung ein Bett, das sich elektrisch heben und drehen lässt, und das Aufstehen erleichtert. Und genauso automatisch lassen sich in der Küche nicht nur die Arbeitsplatten in der Höhe verstellen, sondern auch komplette Oberschränke auf Rollstuhl-Niveau senken.
Kleinigkeiten erleichtern den Alltag
Aber es geht nicht nur große Umbaumaßnahmen – auch Kleinigkeiten können den Alltag erleichtern – sei es nun die absenkbare Kleiderstange für den Schrank, der Löffel mit verstärktem Griff für Parkinson-Patienten oder der Klingel-Verstärker für Hörgeschädigte mitsamt Vibrationsalarm. Die barrierefreie Musterwohnung in Hof steckt voller Details für alle Lebenslagen– das war Alexandra Puchta, der Leiterin der "Leitstelle Pflege Hofer Land" wichtig: "Um die Menschen zu überzeugen, dass es Hilfsmöglichkeiten gibt, die den Alltag erleichtern, muss man sie ihnen auch zeigen. Deshalb haben wir hier investiert."
Keine Zuschüsse vom Freistaat für Hofer Musterwohnung
Dafür gab es aber keine Zuschüsse. Das bayerische Sozialministerium hält eine Musterwohnung pro Regierungsbezirk für ausreichend. Von Hof müsste man dafür über eine Stunde bis nach Coburg oder nach Tirschenreuth in der Oberpfalz fahren. Mehr als ein Viertel der Menschen in und um Hof sind mindestens 65 Jahre alt und damit etwas älter als der Bundesdurchschnitt. Deshalb haben Stadt und Landkreis bei Firmen und Stiftungen angeklopft, um die Musterwohnung für rund 100.000 Euro mit den unterschiedlichsten Hilfsmitteln und vielfältiger Technik ausstatten zu können. Jeder darf hier alles ausprobieren. Zusätzlich kommt das Wohnberatungs-Team auch direkt zu den Menschen nach Hause, um ganz individuell auf die Bedürfnisse eingehen zu können.
Wohnberatung vor Ort und digital
Bayernweit gibt es rund 100 Wohnberatungsstellen. Der Freistaat gewährt ihnen als Anschubfinanzierung jeweils 40.000 Euro für zwei Jahre, danach müssen die Kommunen und Landkreise die hauptamtlichen Berater selbst zahlen. Außerdem fördert Bayern nach Angaben des Sozialministeriums das Projekt "Digitale Wohnberatung" und zudem bereits seit 40 Jahren die Beratungsstelle Barrierefreiheit der Bayerischen Architektenkammer mit 18 Standorten.
Die barrierefreie Musterwohnung befindet sich in der Leitstelle Pflege in der Ernst-Reuter-Straße 70 in Hof. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Haus und Hof" des Landkreises Hof lädt die Leitstelle am 10. Juli um 18.30 Uhr zu einer kostenlosen Führung durch die Musterwohnung ein.
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