Die tödliche Messerattacke von Aschaffenburg könnte eine Zäsur werden – nicht nur für die Migrationspolitik in Deutschland, sondern auch für den Umgang mit psychisch Kranken, die eine Gefahr für Dritte darstellen.
Es gehe ihm explizit nicht darum, alle Menschen mit psychischen Erkrankungen zu stigmatisieren, sagt CSU-Fraktionschef Klaus Holetschek. Das Thema gehöre in die Mitte der Gesellschaft. Es gebe aber Situationen, "wo Straftaten im Spiel sind und auch akute psychotische Störungen in einem Ausmaß, die man nicht laufen lassen kann". Zum Beispiel, wenn eine gefährliche Person aus dem Krankenhaus entlassen werde und ihre Medikamente nicht einnehme oder eine weitere Behandlung verweigere: "Diese Lücke müssen wir schließen – notfalls auch gegen den Willen".
Einweisung von Minderjährigen auch ohne elterliche Zustimmung
Es brauche einen verbesserten Datenaustausch zwischen den Behörden. "Datenschutz darf nicht zum Täterschutz werden", so Holetschek. Personen unter 18 Jahren in akuter psychiatrischer Not sollen auch ohne Zustimmung der Eltern zur diagnostischen Untersuchung in die Klink kommen können. Manche Menschen hätten Angst, dass nun "der gläserne Patient" komme, so Holetschek. Allerdings: "Das ist das nicht das, was wir wollen".
Bei ihren Plänen spricht die CSU von "akuten psychotischen Erkrankungen". Unter einer Psychose verstehen Mediziner eine in vielen Fällen vorübergehende Störung, bei denen Betroffenen die Realität verändert wahrnehmen. Dazu können beispielsweise Halluzinationen oder Wahnvorstellungen gehören.
Zwischen Freiheitsrechten und Sicherheitsinteressen
Die Gewalttat in Aschaffenburg habe gezeigt, dass die aktuellen Regelungen im bayerischen Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz verschärft werden müssten, so CSU-Staatskanzleichef Florian Herrmann. Alle wüssten, "dass es sich dabei um ein hochkomplexes Thema handelt" – einem Spannungsfeld zwischen den hohen Freiheits- und Persönlichkeitsrechten der Betroffenen und den Sicherheitsinteressen der Gesellschaft. Man dürfe die Gefahr nicht bagatellisieren, so Herrmann. "Aber es gibt natürlich auch viele Menschen, die an psychischen Erkrankungen leiden und völlig ungefährlich sind".
Psychiater: Psychisch kranke Menschen sind nicht gefährlicher
Peter Brieger ist Facharzt für Psychiatrie und Ärztlicher Direktor einer Psychiatrischen Klinik in Haar bei München. Der Professor hält eine Gesetzesverschärfung für nicht notwendig. Wenn jemand auffällig werde, müsse er vor allem die entsprechenden Hilfen und Angebote bekommen, so Brieger: "Das funktioniert im Moment nicht gut". Oft gebe es zu lange Wartezeiten. Das sei bei Psychiatern und Psychotherapeutinnen noch schlimmer als in anderen Medizinbereichen, so Brieger. Die Möglichkeit der Zwangsbehandlung gebe es bereits jetzt – "die muss aber richterlich genehmigt werden, das ist ein seltener Aspekt". Außerdem sei sie nicht dauerhaft durchführbar, das habe das Bundesverfassungsgericht kürzlich klargestellt.
Psychisch kranke Menschen sind laut Brieger nicht gefährlicher als die allgemeine Bevölkerung. 30 bis 40 Prozent aller Menschen hätten im Laufe ihres Lebens einmal eine psychische Störung, es gebe jedoch Untergruppen. Junge Männer mit Psychosen und einer möglichen Suchterkrankung hätten ein erhöhtes Risiko. Der Attentäter von Aschaffenburg könnte in diese Gruppe gefallen sein. "Es ist unsere Aufgabe, auch diese Risikogruppe gut zu betreuen", so Brieger.
AfD: Verschärfung könnte "zum Bumerang werden"
Der gesundheitspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Matthias Vogler, nennt die Pläne "vollkommen unverhältnismäßig". Eine Verschärfung könne "zum Bumerang werden", der Staat übergriffig. Vogler sorgt sich, dass ein Arzt sein Attest härter formulieren könnte, weil er Patienten "nicht gut findet" – "dann wird der weggesperrt". Als Beispiele nennt Vogler "Querdenker und Corona-Leugner". Stattdessen müssten Straftäter konsequent abgeschoben werden: "Dann würden solche Sachen nicht passieren."
Grüne: Geflüchtete schon bei Ankunft psychologisch screenen
Die Grünen fordern mehr Therapieplätze für alle in Bayern. Fraktionschefin Katharina Schulze verweist außerdem auf ein Modell aus Baden-Württemberg: "Dort werden Geflüchtete schon bei Ankunft psychologisch gescreent, und dann wird geschaut: Wer hat Unterstützungsbedarf und wer auch nicht?" Schulze plädiert außerdem dazu, eine neue Gefährderkategorie für "gewalttätige und instabile Personen mit einer unklaren Motivlage" einzuführen, damit die Polizei durch- und eingreifen könne.
Um den mutmaßlichen Täter von Aschaffenburg hätten sich verschiedenste Behörden gekümmert, "aber die Kommunikation und der Durchgriff hat gefehlt". Trotzdem warnt Schulze vor Schnellschüssen. Sie habe die Fraktionschefs von CSU, Freie Wähler und SPD in einem Brief dazu eingeladen, gemeinsam an Lösungen zu arbeiten.
Im Video: Debatte um Umgang mit psychisch kranken Straftätern
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