Weil die Bundesregierung mittelfristig komplett aus der Subvention von Agrardiesel aussteigen will, um so 485 Millionen Euro im Haushalt einzusparen, sind Anfang des Jahres zehntausende Bauern in ganz Deutschland auf die Straße gegangen. Denn praktisch alle schweren Landmaschinen fahren derzeit mit fossilem Diesel. Alternativen gibt es praktisch nicht. E-Traktoren existieren maximal als Prototypen, ähnlich sieht es bei der Nutzung von grünem Wasserstoff als Antrieb aus. Treibstoffe aus Pflanzenöl galten lange Zeit als Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion und sollten deshalb bis 2030 schrittweise ganz verboten werden.
Weg vom "Teller vor Tank" Prinzip?
Bundesumweltministerin Steffi Lemke propagierte wie ihr Kollege im Landwirtschaftsministerium, Cem Özdemir (beide Grüne) nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges und der plötzlichen Getreideknappheit noch das Prinzip "Teller vor Tank". Im Nachklang der Agrardiesel-Diesel-Diskussion und der Schlepper-Demos scheint ein politischer Salto rückwärts – sprich eine steuerliche Begünstigung – jetzt aber wieder möglich. Ein Sprecher der Umweltministerin sagte:Bndesregierung prüft derzeit verschiedene Möglichkeiten, um den Umstieg der Landwirtschaft auf klimafreundliche Antriebe und Kraftstoffe zu unterstützen."""
Vid : Teller oder Tank? Rapsöl als Alternative für den Agrar Diesel?
Pflanzenöl seit 25 Jahren in allen Tanks
Familie Reuß aus Werneck bewirtschaftet ihren 150-Hektar-Hof seit 25 Jahren nur mit reinem Pflanzenöl in vier Traktoren und einem Mähdrescher. Der älteste, 1998 auf das zähflüssige Rapsöl umgerüstete John Deere hat stolze 10.000 Betriebsstunden auf dem Tachometer und startet an einem kalten Januarmorgen problemlos, wenngleich mit lautem Knattern. Ganz anders der neue 230-PS-Schlepper namens "ResiTrac", den Adrian Reuß seit sechs Monaten für den Hersteller auf Alltagstauglichkeit testet: Er unterscheidet sich weder beim Kaltstart noch beim harten Einsatz im Feld von einem herkömmlichen Dieselmodell.
"Resi" steht für "Resilient Food Production with Green Tractors" – ein Forschungsprojekt von John Deere, an dem auch der Freistaat Bayern mit dem Technologie- und Förderzentrum (TFZ) in Straubing beteiligt ist. Außerdem läuft ein "Resi-Trac" inzwischen auch auf einem Bayerischen Staatsgut. John Deere will diesen modernen Ackergiganten nach abgeschlossen Tests in Serie fertigen. Er ist bei der Kraftstoff-Steuerung auf den Betrieb mit reinem Pflanzenöl angepasst und erfüllt die aktuell strengste Abgasnorm Fünf.
Ohne Energiesteuer rund 1,10 Euro pro Liter
Für ältere Traktormodelle sind Nachrüstlösungen möglich – wenn Landwirte solche Rapsöltraktoren bei den Herstellern nachfragen. Dass sich der Wind in der Politik gerade wieder dreht, das freut Rainer Reuß, den Senior-Landwirt auf dem Familienbetrieb in Werneck. Er setzt große Hoffnung in eine Energiewende auf den Bauernhöfen, wenn klimafreundliche Pflanzenöltreibstoffe steuerlich begünstigt werden. Anders als Landwirte, die fossilen Diesel tanken, bekommt Familie Reuß seit 2022 nämlich keine Energiesteuer mehr rückerstattet.
Mit rund 1,10 Euro veranschlagt Reuß den Grundpreis für einen Liter reines Rapsöl. Hinzu kommen aktuell etwa 47 Cent Energiesteuer und die Mehrwertsteuer. Würde der Staat auf Pflanzenöltreibstoff zumindest die rund 20 Cent Rückerstattung wie für fossilen Diesel einführen, sieht nicht nur Landwirt Reuß die Chance für eine Treibstoffwende auf den Höfen. Auch Edgar Remmele, der seit rund 20 Jahren am Technologie- und Förderzentrum (TFZ) in Straubing forscht, sieht jetzt die Notwendigkeit zu einer Rückbesinnung auf pflanzenbasierte Treibstoffe – auch um die landwirtschaftlichen Fuhrparks schneller klimafreundlich zu machen. Jedes Jahr belasten gut zwei Milliarden Liter fossiler Diesel aus deutschen Landmaschinen das Klima mit Kohlendioxid.
Pflanzen nehmen beim Wachsen CO₂ auf
Beim Rapsöltreibstoff haben die Pflanzen vor der Ernte Kohlendioxid aus der Atmosphäre entnommen. Für einen vollen Teller, sagt Fachmann Remmele, brauche man zuerst einen vollen Tank. Und der müsse künftig klimafreundlicher befüllt werden. Nach seinen Schätzungen werden rund vier Prozent der Agrarflächen benötigt, um die bayerischen Landwirte mit Treibstoff von heimischen Äckern zu versorgen.
Kurze Wege für den Treibstoff
Beim Einsatz von Pflanzenöl gibt es ein weiteres Plus: Familie Reuß presst in der eigenen Ölmühle jeden Tag 2.000 Liter Rapsöl. Das, was übrig bleibt, den sogenannten Rapspresskuchen, verkauft sie als Viehfutter und damit als möglichen Ersatz für importiertes Soja aus Südamerika an Milchbauern; Speiseöl füllt sie in Flaschen ab und verkauft es an Verbraucher im Hofladen. Der Raps stammt von den eigenen Feldern und von Landwirten der Umgebung. Kurze Wege und ein Energiekreislauf wie früher, erklärt Rainer Reuß: Einst hätten Zugtiere wie Ochsen oder Pferde Hafer und anderes hofeigenes Futter als Energie bekommen, heute gehe das mit Pflanzenöl für die Landmaschinen.
Reuß und seine Familie praktizieren das "Hafer-Prinzip 2.0" seit 25 Jahren – es funktioniert. Von einst 600 dezentralen Ölmühlen in Deutschland hat aber nur ein Bruchteil das politische Hin und Her der Politik überlebt, vor allem weil die Bundesregierung den ursprünglich steuerbefreiten Treibstoff ab 2007 besteuert hat. Landwirt Reuß, Edgar Remmele vom TFZ und Ralf Lenge, Pressesprecher des Traktorherstellers John Deere, sind fest davon überzeugt: Wenn sich die politischen Rahmenbedingungen ändern, Planungssicherheit besteht und Pflanzenöltreibstoffe weniger kosten als fossiler Diesel, dann fragen Landwirte auch Pflanzenöltreibstoff und dafür taugliche Landmaschinen nach.
Umwelthilfe: Weg vom Verbrenner-Motor
Die "Deutsche Umwelthilfe e.V." sieht Pflanzenöl-Landmaschinen, die in Serie gehen, dagegen kritisch. Sprecherin Reinhild Benning hält nichts davon, Verbrennungsmotoren länger "am Leben" zu erhalten. Die würden dann, so ihre Argumentation, "wieder viele Jahre auf den Höfen stehen und den Schritt zur Robotik und zu Elektroantrieben verzögern".
Leichte Arbeiten mit Robotern, schwerere Arbeiten mit batterieelektrischem Antrieb und energiesparender Bodenbearbeitung – das wäre für die Landwirtin bei der Deutschen Umwelthilfe in Berlin der richtige Weg. Ihr Argument: Teller vor Tank – schließlich würde die Klimakrise weltweit Lebensmittelernten stärker schwanken lassen. Allein deshalb sei jeder Hektar Land für Lebensmittel wichtiger als für Treibstoffe.
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