Der bayerische Ministerpräsident hatte hohe Erwartungen geweckt: Einen "Klimaruck" forderte Markus Söder (CSU) angesichts der Überschwemmungen in Teilen Deutschlands in den vergangenen Tagen. Für Bayern kündigte er mit das modernste Klimaschutzgesetz in der Bundesrepublik an - mit "den ehrgeizigsten Zielen". Zumindest nach Meinung der Opposition blieb Söders Regierungserklärung im Bayerischen Landtag zum Klimaschutz aber weit hinter den Erwartungen zurück. Auch mehrere Verbände kritisieren die Rede.
Grüne kritisieren "PR-Sprech"
Er habe wenig Neues gehört, kritisierte Bayerns Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann in der Aussprache über Söders Regierungserklärung. Söder habe beim Klimaschutz wohl nicht die volle Rückendeckung der Regierungsfraktionen CSU und Freie Wähler. Der Ministerpräsident sei für eine Solarpflicht und gegen Windkraft, bei Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) sei es umgekehrt. Grundsätzlich sei seit Söders Amtsbeginn als Ministerpräsident beim Klimaschutz wenig passiert: "Eine Ankündigung hat die nächste gejagt."
Grünen-Chef Robert Habeck hält Söders Pläne ebenfalls für nicht ausreichend. "In den Zielen ehrgeizig, in den Maßnahmen schlampig beziehungsweise unzureichend", sagte Habeck dem BR. Der Grünen-Vorsitzende kritisierte, dass die Abstandsregeln für Windkraftregeln im Wesentlichen erhalten blieben und es zunächst keine Pflicht für Solaranlagen auf Hausdächern gebe. Wenn Söder Bayern klimaneutral machen wolle, müsse er in Bayern aber den Ausbau der erneuerbaren Energien forcieren, sagte Habeck.
Martin Stümpfig, klimapolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion, nannte Söders Regierungserklärung einen "Klima-Witz" ohne konkrete Maßnahmen. "Windkraft – nein, Solarpflicht – nein, Sanierung Gebäudebestand – nein, Verkehrswende – nein", twitterte Stümpfig. Sein Fazit: Bei Söder, CSU und Freien Wählern habe der Wecker nicht geklingelt. "Dramatisch!" Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Manuela Rottmann äußerte sich auf Twitter genervt: "Gebt mir Bescheid, sobald Markus Söder beim Klimaschutz irgendwas Substanzielles getan hat. Hab keine Zeit und keinen Nerv mehr für seinen PR-Sprech."
CSU weist Kritik zurück
Der CSU-Fraktionsvorsitzende Thomas Kreuzer warf Hartmann im Landtagsplenum vor, bayerische Erfolge beim Klimaschutz zu leugnen. Bayern sei das Ökoland Nummer eins in Deutschland. Die Menschen müssten aber beim Klimaschutz mitgenommen, die heimische Wirtschaft beim klimagerechten Umbau unterstützt werden, mahnte der CSU-Politiker. Die schwarz-orange Koalition setze auf einen Dreiklang aus Klimaschutz, Wirtschaftlichkeit und sozialer Verträglichkeit.
Söder will Milliardenausgaben für Klimaschutz
Söder hatte in seiner Regierungserklärung betont, Bayern liege beim Klimaschutz im Vergleich mit allen anderen Bundesländern "sehr gut im Rennen", die Dynamik der Entwicklung mache es allerdings nötig, mehr zu machen. Der Klimawandel, der sich in den Alpen besonders deutlich zeige, lasse sich aber nicht nur mit einer Maßnahme bekämpfen, nötig sei vielmehr ein ganzheitlicher Ansatz. Daher lege die Staatsregierung ein "ambitioniertes Klimaprogramm" mit insgesamt 50 Maßnahmen vor - und dem Ziel, den Freistaat bis 2040 klimaneutral zu machen. Im nächsten Jahr werde Bayern dafür eine Milliarde Euro ausgeben, hochgerechnet bis 2040 insgesamt 22 Milliarden Euro.
Söder kündigte unter anderem einen deutlichen Ausbau der Geothermie-Nutzung, der Elektromobilität und des öffentlichen Nahverkehrs, die Renaturierung von Mooren und die weitere Aufforstung von Wäldern an. An der umstrittenen 10H-Regel, die den Mindestabstand neuer Windräder zu einer Ortschaft definiert, hält die Staatsregierung fest, will aber mehr Ausnahmen zulassen. Die schon länger angekündigte Photovoltaik-Pflicht auf Neubauten kommt vorerst nicht, stattdessen will Söder sich auf Bundesebene dafür stark machen.
SPD fordert Wärme- und Verkehrswende
Auch SPD-Fraktionschef Florian von Brunn zeigte sich enttäuscht. "Ich fand es zu wenig, was Sie uns gesagt haben", betonte er. Wenn Söder eine Milliarde Euro pro Jahr für den Klimaschutz ankündige, seien das "Peanuts" im Vergleich zu den "Steuergeschenken", die die Union laut ihrem Wahlprogramm für Konzerne plane. Es müssten stattdessen jedes Jahr mehrere Milliarden in den Klimaschutz investiert werden. Zwei Milliarden wären laut von Brunn ein guter Anfang, mittelfristig wären eher fünf Milliarden nötig.
Söder rede mehr, statt zu handeln, kritisierte von Brunn. "Absichtserklärungen retten noch nicht das Klima." Mit Blick auf die 10H-Regelung verlangte der SPD-Politiker, der klimafeindliche Windkraft-Stopp müsse endlich aufgehoben werden. Nötig sei auch eine ambitionierte Wärmewende für einen Ausbau der Geothermie. Das größte Klimaproblem habe Bayern aber im Verkehrssektor. "Bayern hinkt unter dem Ministerpräsidenten Söder beim klimafreundlichen Verkehr weit hinterher." Eine echte Mobilitätswende müsse angepackt werden: massive Investitionen in den Ausbau des öffentlichen Verkehrs, der E-Lade-Struktur und des Carsharings.
AfD warnt vor "Totalumbau" der Gesellschaft
Die bayerische AfD-Fraktionschefin Katrin Ebner-Steiner kritisierte, dass Söder und andere Politiker die jüngsten Hochwasser-Katastrophen für ihre Politik missbrauchen würden. Sie warnte vor einem "Totalumbau" von Gesellschaft und Wirtschaft. Die AfD-Politikerin plädierte in der Energiepolitik für eine Rückkehr zur Atomkraft – mit "modernsten Kernkraftreaktoren“. Ebner-Steiner sprach sich auch für mehr Methanol-betriebene Mobilität aus.
Der AfD-Abgeordnete Andreas Winhart beklagte, Söder sei auf der "gleichen Spur Richtung Klima-Irrsinn" wie die Grünen: "Zahlreiche Maßnahmen und Millionen für den Kampf gegen das Klima. Alles auf Kosten der bayerischen Wirtschaft und mit dem Geld der Steuerzahler", twitterte er.
FDP: Reine Symbolpolitik
Auch von der FDP kommt deutliche Kritik an Söders Ankündigungen. "Die deutsche Klimapolitik ist kleinteilig, teuer und ineffizient", kritisierte der bayerische FDP-Fraktionschef Martin Hagen. Söder sei auf einem Irrweg: "Ein Bundesland im Alleingang bis 2040 klimaneutral zu machen ist reine Symbolpolitik ohne jeden Effekt auf das globale Klima." Hagen und die FDP fordern stattdessen, den europäischen Emissionshandeln mit CO2-Zertifikaten und festem Limit auszuweiten. Ein marktwirtschaftlicher Mechanismus sei für den Klimaschutz besser als Subventionen und Verbote.
Der klimapolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, Christoph Skutella, sprach von einer "Blamage“ für die Staatsregierung. Es sei peinlich, "wenn sich ihr Ministerpräsident heute zur Klimapolitik äußert und das für Ende Mai angekündigte Klimaschutzgesetz nicht in seinen Händen hält", erklärte er. Bayern sei nur bei den Widersprüchen spitze, sagte Skutella – auch mit Blick auf Meinungsverschiedenheiten zwischen Ministerpräsident Söder und Wirtschaftsminister Aiwanger in Sachen Windkraft, Solarpflicht und Stromtrassen.
Freie Wähler loben Söders Klima-Pläne
Dagegen lobte Freie-Wähler-Fraktionschef Florian Streibl die Regierungserklärung von Ministerpräsident und Koalitionspartner Söder. Er verwies auf zwei Milliarden Euro, die etwa in den Hochwasserschutz investiert würden. Streibl wurde aber auch grundsätzlich: Die Welt sei ein "gemeinsames Haus", alle trügen Verantwortung. "Wir werden dem Klimawandel nicht mit ein paar kosmetischen Aktionen an Freitagvormittagen begegnen können", betonte er. Beim Klimaschutz dürfe es keine politischen Grenzen geben. "Wir müssen neue, starke Fäden in dieses Netz des Lebens schlagen."
Positiv fällt auch das Urteil des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW) in Bayern aus, der Söders "Impuls" zum Klimaschutz lobte. Der Ministerpräsident habe Recht mit der Einschätzung, "das wir am Beginn einer historischen Transformation stehen, an deren Ende ein klimaneutraler europäischer Kontinent stehen muss", sagte Achim von Michel, Politikbeauftragter des BVMW in Bayern. Damit dies gelinge, erwarte der Mittelstand von der europäischen Politik und der Bundesregierung einen verbindlichen Fahrplan, wie dieser Wandel "mittelstandsfreundlich gestaltet werden" könne.
Bauernverband: Flächenverbrauch eindämmen
Der Bayerische Bauernverband begrüßte in einer Mitteilung die angekündigten Programme für Wirtschaftswälder, zur vermehrten Holznutzung im Baubereich sowie zum Erhalt und Aufbau von Humus. "Endlich wurde das von der Staatsregierung aufgegriffen", sagte Verbandspräsident Walter Heidl.
An einigen Stellen aber geht ihm die Regierungserklärung nicht weit genug: "Der anhaltende Verlust von Landwirtschaftsflächen muss dringend eingedämmt werden sowie die Potenziale von Biogasanlagen und Kraftstoffen aus Biomasse für den Klimaschutz und die Energiewende genutzt werden." Der Flächenverbrauch in Bayern müsse auch im Sinne des Hochwasser- und Klimaschutzes dringend eingedämmt werden. Auch beim Thema Photovoltaik gelte es, landwirtschaftliche Flächen zu schonen und zuallererst das Potenzial von Dachflächen zu nutzen.
Bund Naturschutz: 10H-Regelung abschaffen
Kritisch sieht das Festhalten an der 10h-Regel bei der Windkraft auch der Bund Naturschutz (BN) in Bayern. "Nachbesserungen machen diese Gesetzgebung nicht besser", betonte der BN-Vorsitzende Richard Mergner. Die 10H-Regel müsse endlich abgeschafft werden. Grundsätzlich warf Mergner Söder vor, nach wie vor konkrete und schnell wirksame Maßnahmen gegen den Klimawandel schuldig zu bleiben. Lippenbekenntnisse reichten nicht aus.
Ein Dorn im Auge ist dem BN-Vorsitzenden auch Söders Satz, dass Bayern "Autoland" bleibe. Nötig sei vielmehr eine Abkehr vom massiven Straßenbau in Bayern. Von einer grundlegenden Mobilitätwende und der Verringerung von Verkehr insgesamt sei Bayern Lichtjahre entfernt. Als positiv wertete Mergner das Versprechen des CSU-Chefs, auf Bundesebene für eine Solar-Pflicht auf Neubauten zu werben: "Wir nehmen ihn beim Wort."
Fridays for Future: "Danke für nichts"
Die Organisation Umweltinstitut München sieht Söders Ankündigungen sehr kritisch. Söder agiere als "Klimaschutz-Verhinderer", sagt Fabian Holzheid, politischer Geschäftsführer am Umweltinstitut München. "Neben dem Weiterbestehen der 10H-Regel, die den Ausbau der Windkraft in Bayern so gut wie unmöglich macht, stellt sich heute auf einer Regierungspressekonferenz heraus, dass die 2020 offiziell angekündigte Solarpflicht für private Neubauten durch die Staatsregierung wieder kassiert worden ist." Es sei ein "klimapolitischer Skandal, dass bei der CSU Anspruch und Wirklichkeit in einem derart schockierenden Maße auseinanderklaffen".
Auch bei Klima-Aktivisten stießen Söders Ankündigungen auf Kritik. So twitterte etwa der Account "FridaysForFuture München", dass es eine Solarpflicht und die Abschaffung der 10H-Regel brauche."2040 reicht nicht. Wir brauchen Klimaneutralität 2035." Für kommenden Freitag rief der Account später zu einem "Klimastreik" vor der Staatskanzlei auf. Ebenfalls deutlich wurde es auf dem bundesweiten "FridaysForFuture"-Account: "Söder erneuert seine Forderung nach dem Kohleausstieg 2030. Die CSU stützt mit dem Kohlegesetz den Ausstieg 2038 bis heute. In der gleichen Rede hält er am Ausbaustopp für Windkraft fest & zieht die angekündigte Photovoltaik-Pflicht zurück. Danke für nichts."
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