Ein Mann im Rollstuhl ist zur Kontaktstelle der Drogenhilfe Schwaben in Augsburg gekommen. Er will anonym bleiben. Er ist 37 Jahre alt und sitzt im Rollstuhl – die Folge eines toxischen Hirnschadens, wie er sagt. Auslöser sei der Konsum von Heroin gewesen, das ohne sein Wissen das sogenannte "Badesalz" enthielt – eine synthetische Droge. Danach wurde er bewusstlos in einer Straßenbahn gefunden und mehrfach reanimiert, erzählt er. Später habe er drei Monate lang im Koma gelegen. Das Heroin hatte er auf der Straße gekauft.
Zuletzt sieben Todesfälle nach Konsum synthetischer Drogen
Andere sind nach dem Konsum von synthetischen "Forschungschemikalien", zu denen auch "Badesalz" gehört, sogar gestorben. Die Polizei zählt seit September 2024 sieben Fälle in Bayern – darunter ein 17-Jähriger aus Unterfranken. Aber auch in Oberbayern, Schwaben und Oberfranken gab es Todesopfer. Keine der Personen war älter als 38 Jahre.
Ob die "Forschungschemikalien" jeweils auch die Todesursache waren, ist unklar. Die Opfer hatten laut dem bayerischen Landeskriminalamt (LKA) auch andere Stoffe zu sich genommen, wie etwa Amphetamine.
"Forschungschemikalien" sind kein neues Phänomen
Was aber sind "Forschungschemikalien" überhaupt? Darunter versteht man meist Drogen wie synthetische Cathinone, Cannabinoide oder Opioide. Diese werden auch als "Neue psychoaktive Stoffe" (NpS) bezeichnet. Sie wurden oft schon vor Jahrzehnten entwickelt – allerdings nicht für den menschlichen Konsum. Ein neues Phänomen seien die "Forschungschemikalien" nicht, bestätigt auch das LKA auf BR-Anfrage.
Kein rein bayerisches Problem
Sieben Todesfälle in Bayern in den letzten Monaten – sind das vergleichsweise viele oder wenige? Es gibt zumindest Hinweise, dass das Problem "Forschungschemikalien" zunimmt. In der letzten veröffentlichten bayerischen Kriminalstatistik für das ganze Jahr 2023 werden acht Todesfälle durch "NpS" aufgeführt, 2022 waren es noch zwei Todesfälle. Allerdings führten andere Drogen bislang zu deutlich mehr Todesopfern: 2023 starben allein durch Heroin 99 Menschen in Bayern, 33 durch Kokain.
Bayern ist jedenfalls nicht allein betroffen: Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg teilte dem BR mit, auch dort habe es mehrere Todesfälle und medizinische Notfälle gegeben, bei denen ein Zusammenhang mit "Forschungschemikalien" nicht ausgeschlossen werden kann.
Neue psychoaktive Substanzen auch als Beimischung gefährlich
Die Drogenhilfe Schwaben sieht in "Forschungschemikalien" ein großes Problem. Diese seien leicht erhältlich und deutlich billiger, aber auch sehr gefährlich. Viele Menschen wüssten nicht, was sie da konsumierten, so Sozialpädagogin Kati Wimmer.
Auch Nobert Wittmann, geschäftsführender Vorstand bei der Jugend- und Drogenhilfe Mudra e.V. in Nürnberg, geht davon aus, dass synthetische Opioide besonders bei "schlechtem Straßen-Heroin" immer mal wieder beigemischt werden. Man habe aber keine validen Zahlen und Nachweise darüber. Gerade synthetische Opioide, wie etwa Nitazene, seien mit "extremen Risiken verbunden", so Wittmann.
Das bayerische Landeskriminalamt hingegen geht davon aus, dass die Todesopfer die Drogen zuvor vor allem in Online-Shops erworben haben. Die verwendeten Substanzen mit rauschgiftähnlichen Wirkungen unterlägen zum jetzigen Zeitpunkt in Deutschland weder dem Betäubungsmittelgesetz noch dem Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz. Auch die Polizei warnt eindringlich davor [externer Link], "Forschungschemikalien" einzunehmen.
Beratungsstellen fordern Drogenchecks
Laut Nobert Wittmann vom Verein Mudra in Nürnberg ist es angesichts der Lage "dringend geboten", Drogenchecks anzubieten – im ersten Schritt für schwer-opioidabhängige Menschen. Mit diesen könnten sie vor dem Konsum die Drogen auf lebensbedrohliche Beimischungen überprüfen. Wittmann sagt: "Dies hilft Menschenleben retten, aber auch dringend notwendige Ressourcen sparen, zum Beispiel im Bereich der medizinischen Notfall- und Intensivversorgung."
Ob und wie Drogenchecks und Drogenkonsumräume in Nürnberg möglich wären, erforschen aktuell Hochschulen aus der Region. In mehreren anderen Bundesländern sind sie bereits legal, in Bayern noch nicht. Die CSU ist grundsätzlich gegen Drogenchecks und Drogenkonsumräume: um den Drogenkonsum nicht zu fördern und Dealer nicht zu unterstützen.
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