"Gemeinsamer Geist", "großes Einvernehmen": Der bayerische Ministerpräsident und sein Vize äußerten sich begeistert über die Stimmung in der schwarz-orangen Koalition. Nach den Haushaltsberatungen von CSU und Freien Wählern sprach Markus Söder am Montag von einer "super Klausur". Und laut Hubert Aiwanger war es die bisher harmonischste Haushaltsklausur. So einträchtig das Treffen dem Vernehmen nach tatsächlich war, so sehr mehren sich aktuell aber die Streitthemen zwischen beiden Partnern.
"Jeder steckt seine Reviere ab"
Gleich bei der Abschluss-Pressekonferenz zur Klausur am Montag verärgerte Söder die Freien Wähler mit einer Basta-Ansage: In der Debatte über eine Grundschulreform fuhr er öffentlich der zuständigen Kultusministerin Anna Stolz (FW) in die Parade und tat ihre Äußerungen als "Missverständnis" ab.
Am Dienstag folgte ein Disput zwischen den Ministern Albert Füracker (CSU) und Fabian Mehring (FW) über die Zukunft von Faxgeräten, am Mittwoch ein Scharmützel zwischen beiden Fraktionen über den Führerscheinerwerb auf dem Land. Schon seit Wochen bekunden CSU-Spitzenpolitiker regelmäßig ihren Unmut über Aiwangers "Demo-Hopping" und werfen ihm vor, die Bauern zu umgarnen, statt seine Arbeit als Wirtschaftsminister zu machen.
Wie steht es also um die Stimmung in der selbsternannten "Bayern-Koalition", die gern als harmonisches Gegenstück zur zerstrittenen Ampel gesehen werden möchte? Wie schief hängt der schwarz-orange Haussegen? Gerade bei den Debatten über Faxgeräte und Führerscheine machen Politiker beider Parteien deutlich, dass es um mehr geht als um konkrete Sachfragen. Es gehe um die "Deutungshoheit", sagt FW-Fraktionschef Florian Streibl dem BR, schließlich werbe man um das gleiche Wählerpotenzial. "Jeder steckt so seine Reviere ab - und man legt die Spielregeln für die nächsten fünf Jahre fest. Und da kann es natürlich immer wieder zu so kleinen Scharmützeln kommen."
Der Fax-Streit und die Bürgernähe
Der Fax-Streit mutet zunächst etwas kurios an, bei genauerer Betrachtung aber sagt er eine Menge über das schwarz-orange Verhältnis aus. Als die Freien Wähler nach ihrem starken Landtagswahlergebnis selbstbewusst einen vierten Ministerposten verlangten, erhielten sie das Digitalministerium - nicht gerade das einflussreichste und prestigeträchtigste Haus. Der neue Minister Mehring müht sich seither nach Kräften, sein Ressort in der öffentlichen Wahrnehmung aufzuwerten.
Auf dem Weg in die digitale Zukunft will Mehring unter anderem schnell alle Faxgeräte aus der öffentlichen Verwaltung verbannen. Vor Weihnachten veröffentlichte er eine Pressemitteilung mit dem Titel "Mehring hat das Faxen dicke". Das Fax sei ein Relikt aus einer anderen Zeit, betonte der Minister damals. Es sei sogar gefährlich für die Demokratie, wenn der Eindruck entstehe, der Staat verharre in der Vergangenheit.
Diese Woche verteidigte dann CSU-Minister-Kollege Füracker im BR-Interview das Fax: "Die Faxgeräte haben wir aus einem Grund: Es gibt Menschen, die wollen uns was faxen." Zwar werde das Fax mit der Zeit abgeschafft, aktuell aber gelte, dass Behörden für jeden erreichbar sein müssten. "Das hat auch mit Bürgerservice zu tun", betonte der Finanzminister - und forderte mit dieser Äußerung den Koalitionspartner heraus.
Wer ist näher am Menschen?
Bürgerservice heißt Bürgernähe - und genau in diesem Punkt herrscht schon seit Monaten ein koalitionsinterner Wettstreit. "Näher am Menschen" lautet traditionell das Selbstverständnis der CSU als Volkspartei, seit Monaten aber tourt Aiwanger als Vorkämpfer für den "normalen Bürger" durch den Freistaat und läuft den Christsozialen bei einem Teil der konservativen Wähler den Rang ab.
So dauerte es nicht lange, bis die Freien Wähler auf Fürackers Fax-Aussage reagierten. FW-Digitalisierungsexperte Tobias Beck warf dem CSU-Finanzminister eine "Lobeshymne auf das Faxgerät" und Unkenntnis von Mehrings Plänen vor: "So entsteht der falsche Eindruck, der Finanzminister sei nicht ganz auf der Höhe der Zeit." Für die Bürger bedeute der Fax-Bann keinen Nachteil, sie könnten weiter Faxe an Behörden schicken: "Das Schreiben geht dann dort als digitales Computerfax ein." Das bekräftige auch Minister Mehring auf X. Zugleich geißelte er das Fax als "Dinosaurier des KI-Zeitalters" - Bayern werde dieses "Relikt" ins Museum bringen.
Die CSU-Abgeordnete Kerstin Schreyer will die Fax-Debatte zwar nicht überbewertet sehen, beim Stichwort Bürgernähe aber wird sie deutlich: "Wir sind schon immer nah dran, und das wird sich auch nicht ändern - egal, welche anderen Gruppierungen das auch versuchen."
Der Führerschein und der ländliche Raum
Am Mittwoch folgte der nächste öffentliche Schlagabtausch, dessen Kern der CSU-Abgeordnete Tobias Reiß in einem Satz zusammenfasst: "Das ist der Wettstreit um den ländlichen Raum." Sein Parteifreund Wolfgang Fackler betont im BR-Gespräch: "Sie wissen doch, wie das ist im politischen Geschäft: Säbelrasseln gehört auch dazu." Um im Bild zu bleiben: Im Kampf um Rückhalt bei den Menschen im ländlichen Raum rasseln sowohl CSU als auch Freie Wähler seit Wochen besonders kräftig mit ihren Säbeln.
Die CSU-Fraktion versuchte nun, mit einer neuen Resolution für den ländlichen Raum in die Offensive zu kommen. Eines der zahlreichen Ziele in dem CSU-Papier lautet, die Mobilität auf dem Land zu erleichtern: So sollen in begründeten Ausnahmefällen auch Minderjährige mit dem Auto zur Arbeits- und Ausbildungsstätte fahren dürfen.
FW-Fraktionschef Streibl zeigte sich in einer Pressemitteilung "überrascht" über die CSU-Resolution: Wie der Führerschein mit 16 entstammten auch weitere Punkte in dem Papier dem gemeinsamen Koalitionsvertrag. "Dass die CSU unsere gemeinsame Agenda für den ländlichen Raum jetzt als eigene Ideen verkauft, ist offensichtlich ein Reflex darauf, in der Fläche nicht mehr als Kümmerer wahrgenommen zu werden", stichelte Streibl. CSU-Fraktionschef Klaus Holetschek beklagte daraufhin ein "Geplänkel, das überflüssig ist".
"Wir haben genau bei der CSU hingeschaut"
Streibl warnt einerseits zwar vor einem Dauerwahlkampf in Bayern. Andererseits aber lässt er durchblicken, dass die Freien Wähler sich von der CSU künftig weniger gefallen lassen wollen als in den ersten fünf gemeinsamen Jahren. "Wir haben natürlich genau bei der CSU hingeschaut und haben in diesen fünf Jahren auch gelernt", erläutert er im BR-Gespräch. "Und das, was wir gelernt haben von der CSU, das wenden wir jetzt halt auch an."
Dass Freie-Wähler-Minister von Söder auf Pressekonferenzen erfahren, was sie künftig umzusetzen haben, kennt der kleinere Koalitionspartner schon aus der vergangenen Legislaturperiode. Vor allem Ex-Kultusminister Michael Piazolo (FW) kann davon ein Lied singen, seine Nachfolgerin Stolz bekommt dieses Vorgehen jetzt auch zu spüren. Dieses Mal nehmen es die Freien Wähler aber nicht still hin - sondern stellen sich hinter ihre Ministerin und opponieren gegen den Ministerpräsidenten.
Ob die Scharmützel und Wortgefechte der vergangenen Tage und Wochen vorübergehende Revierkämpfe sind oder angesichts der Europawahl im Juni und der Bundestagswahl 2025 zu einem Dauerzustand werden, bleibt abzuwarten. Aiwanger will es mit seiner Partei unbedingt in den Bundestag schaffen, die CSU fürchtet um den Verlust wertvoller Stimmen an den Koalitionspartner. Zumindest der CSU-Abgeordnete Fackler gibt sich zuversichtlich, dass sich die Wellen wieder legen: Es gebe "solche und solche Tage", sagt er. "Nächste Woche schaut's wieder anders aus."
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