Immer wieder gibt es in Bayern Diskussionen über geplante Flüchtlingsunterkünfte: So war in Rabenstein bei Zwiesel oder in Kelheim in der Oberpfalz der Widerstand der Anwohner groß. Aktuell gibt es in Oberbayern Streit. Zugespitzt hat sich die Situation nun in der Gemeinde Rott am Inn: Seit vier Monaten sieht man sich mit den Plänen des Landratsamtes Rosenheim konfrontiert, im Gewerbegebiet von Rott eine Erstaufnahmeeinrichtung für bis zu 500 Geflüchtete zu errichten. Die Gemeinde lehnte den Bauantrag des Landratsamtes nun ab. Zudem sprach sich der Gemeinderat dafür aus, notfalls gegen die Pläne des Landratsamtes zu klagen. Die Besucher im vollen Sitzungssaal quittierten dies am Montagabend mit Applaus.
"Nein" zur Unterkunft und "Nein" zum Kompromiss
Nicht nur der Bauantrag lag auf dem Tisch der Gemeinderäte, sondern auch ein Kompromissvorschlag seitens des Landratsamtes. Dieser hätte vorgesehen, eine Einrichtung auf Gemeindegrund für nur 250 geflüchtete Menschen zu errichten. Weil sich damit die Flüchtlingszahl halbiert und die Gemeinde mehr die Hand auf der Einrichtung gehabt hätte, erwogen einige Gemeinderäte diesem Alternativvorschlag zuzustimmen.
Letztendlich aber stimmte der Gemeinderat mit elf zu sechs Stimmen dagegen. Es sei besser, das vor Gericht "auszustreiten", meinte etwa ein Gemeinderat. Die Hoffnung, die dabei mitschwingt, ist offenbar, dass Rott am Ende gar keine Sammelunterkunft bekommt.
Landrat: "Chance auf gemeinschaftliche Einigung" vertan
Rosenheims Landrat Otto Lederer (CSU) bedauert das Ergebnis der Abstimmung: "Inmitten der aufgeheizten Diskussion um eine geplante Ankunftseinrichtung wurde damit eine Chance verpasst, die Wogen in Rott zu glätten." Durch die Ablehnung der Alternativlösung sei auch eine außergerichtliche Einigung verhindert worden, so der Landrat in einer Pressemitteilung.
Der Gemeinderat "hat von maximal 100 Geflüchteten gesprochen, die in Rott anstelle einer Ankunftseinrichtung dauerhaft untergebracht werden können. Dies reicht leider nicht, um unser erklärtes Ziel zu erreichen. Nämlich die seit fast einem Jahr belegten Turnhallen in Bruckmühl und Raubling wieder ihrer eigentlichen Bestimmung zurückzuführen und damit Schüler, Eltern, Lehrer und Sportvereine zu entlasten", so Landrat Lederer.
Kapazitäten erschöpft und Finanzlage gefährdet - Rott will klagen
Rott am Inn stellt sich auf den Klageweg ein. Laut einem Münchner Anwalt, der die Gemeinde in dieser Sache berät, gebe es einige Punkte, die vor Gericht gegen eine geplante Sammelunterkunft im Rotter Gewerbegebiet sprechen könnten.
Die Rotter Kläranlage könne beispielsweise kein Abwasser mehr von 500 zusätzlichen Personen aufnehmen und reinigen. Zudem reiche die Kapazität der Trinkwasserbrunnen von Rott nicht mehr aus. Sollte die Sammelunterkunft kommen, könne die Gemeinde aus diesen Gründen auch nicht - wie geplant - Baugebiet im Ortsteil Mailing entwickeln. Weil die Gemeinde dort aber Grund verkaufen wollte, sei die Finanzlage der Gemeinde gefährdet. Das machte Bürgermeister Daniel Wendrock (SPD/Bürger für Rott) deutlich.
Mögliche Quecksilberbelastung in der Gewerbehalle
Ein weiterer Punkt: In der Gewerbehalle seien früher UV-Lampen hergestellt worden, auch unter Einsatz von Quecksilber. Anwalt Jürgen Greß hält es für nötig, eine mögliche Quecksilberbelastung zu untersuchen. Das Landratsamt versichert, bei einer nachgewiesenen Belastung keine Belegung vorzunehmen. Die Behörde stehe mit dem Eigentümer und dem Vorbesitzer der Halle bereits in Kontakt und es würden sicherheitshalber Schadstoffuntersuchungen in Auftrag gegeben. Vorbeifahrende 40-Tonner sieht der Anwalt ebenfalls als Argument gegen die geplante Einrichtung, vor allem wegen Lärm- und Schadstoffbelastung.
Wie aussichtsreich der Klageweg vor Gericht sein könnte, ließ der Anwalt offen. Das Gericht könne auch im Sinne des Landratsamtes urteilen, das sich gezwungen sieht, Unterkünfte für Menschen bereitzustellen, bevor diesen Obdachlosigkeit droht. Hier seien im Gesetz Notstandsregelungen verankert.
Proteste gegen Flüchtlingsunterkunft auch in Warngau
Ähnlich angespannt ist die Situation im Landkreis Miesbach. Bei einer Bürgerversammlung in der Gemeinde Warngau am Montagabend protestierten viele Einwohner teils scharf gegen eine geplante Flüchtlingsunterkunft. Der große Saal des Gasthofs zur Post war überfüllt, etwa 400 Bürgerinnen und Bürger waren gekommen. Auch vor dem Gasthof war der Andrang groß. Etwa 500 Menschen standen dort, um die Redebeiträge über Lautsprecher zu verfolgen.
Anlass für die Versammlung waren die Pläne des Landratsamtes, in der Gemeinde mit 3.900 Einwohnern eine Asylunterkunft für maximal 504 Menschen einzurichten.
Gemeinderat gegen geplante Flüchtlingsunterkunft: "Völlig überfordert"
Die Geflüchteten sollten in Containern untergebracht werden, die auf dem Gelände der Vivo, des kommunalen Abfallentsorgers, aufgestellt werden. Vivo ist ein Tochterunternehmen des Landkreises, weswegen dieser auf diese Flächen zugreifen kann.
Bürgermeister Klaus Thurnhuber (Freie Wählergemeinschaft) betonte zunächst, dass der Gemeinderat sich einstimmig gegen diese Pläne gestellt habe. Warngau wäre mit dieser großen Zahl von Flüchtlingen völlig überfordert, so Thurnhuber. Es gebe keine Infrastruktur, die das bewältigen könne. "Bei Schule, Sicherheit, Verwaltung sind wir nicht gerüstet für eine solch große Unterkunft." Der Bürgermeister verwies darauf, dass man ja bereits viele Menschen aufgenommen habe und das auch gerne tue, wenn die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibe.
Miesbacher Landrat zwiegespalten
Landrat Olaf von Löwis (CSU) sagte, dass er in dieser Frage zwiegespalten sei: Einerseits sei er ein Politiker, demokratisch gewählt, der die derzeitige Asyl- und Einwanderungspolitik für falsch halte. So müsse das Asylrecht bereits an den Außengrenzen der EU geprüft werden, damit gar nicht erst so viele Menschen ins Land strömten.
Andererseits sei das Landratsamt eine staatliche Behörde, die verpflichtet sei, Gesetze und Anordnungen zu befolgen und umzusetzen. Das Amt müsse die Menschen unterbringen, die nahezu täglich mit Bussen nach Miesbach kämen.
Platz-Probleme: Unterkunft auf Vivo-Gelände als Übergangslösung
Laut von Löwis suche man mit einer Taskforce händeringend nach geeigneten Unterkünften, finde aber kaum noch etwas. Ihm gehe es darum, drei Turnhallen, die seit Jahren mit Flüchtlingen belegt seien, freizubekommen - im Interesse der Kinder, aber auch aus Fürsorge gegenüber den Asylsuchenden. Für eine Übergangslösung von zwei Jahren wolle man deswegen die 500 Menschen in vier zweigeschossigen Containern auf dem Vivo-Gelände beherbergen.
Von Löwis merkte an, dass der Landkreis verpflichtet sei, die allgemeine Zuteilungsquote zu erfüllen. Da liege Miesbach mit etwa 80 Prozent noch weit darunter und im Vergleich der Landkreise im hinteren Feld.
Scharfe Kritik aus der Bürgerschaft: "Massenunterkunft"
Bei den Warngauern stoßen die Pläne auf Kritik: Zahlreiche Bürger und Bürgerinnen äußerten ihre Bedenken. Viele können nicht nachvollziehen, warum das Landratsamt eine "Massenunterkunft" zwischen kleine Dörfer setzen wolle, in denen nur ein paar Dutzend Menschen leben.
Warum die Flüchtlinge nicht gleichmäßig in kleineren Mengen auf viele Orte verteilt werden, war eine häufig gestellte Frage. Von Löwis antwortete, dass er das gerne organisieren würde, es aber aus den Gemeinden im Landkreis keine Angebote für die Unterbringung mehr gebe.
Petition vorgelegt: "Wo bleibt da die Demokratie?"
Viele Bürger äußerten zudem Sicherheitsbedenken. Eltern hätten Angst um ihre Kinder, wenn eine solche Menge junge Männer ganz in der Nähe angesiedelt würde. Mehrere Sprecher fragten nach den Kosten für das Projekt. Von Löwis entgegnete, es sei darüber Stillschweigen vereinbart, weil die nötigen Verträge für Errichtung und Betrieb der Unterkunft mit Privatpersonen und Unternehmen geschlossen würden, die dem Datenschutz unterliegen.
Andere äußerten ihr Unverständnis, dass die klare Haltung des Gemeinderates gegen die Unterkunft offenbar keine Rolle spiele. "Wo bleibt da die Demokratie?", fragt ein junger Warngauer. Eine junge Frau überreichte eine Petition gegen die Flüchtlingsunterkunft, die in kurzer Zeit von 3.973 Warngauern unterschrieben worden sei. Auch wenn das rein rechtlich nichts bringe, sagt sie dazu, zeigten diese Zahlen, dass Warngau geschlossen gegen das Projekt stehe.
Landrat von Löwis sieht derzeit keine Alternative zu dem vorgestellten Plan. Er stehe in der Pflicht, die drei Turnhallen in Miesbach freizubekommen. Bürgermeister Thurnhuber kann sich vorstellen, dass die geplante Unterkunft nach dieser Bürgerversammlung im Landratsamt von den Warngauern noch einmal überdacht werde.
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