Familie Strobl wohnt in Hirschhorn. Das Dorf hat 600 Einwohner und befindet sich im Landkreis Rottal-Inn. Vater Sepp, Mutter Gabi und auch der 18-jährige Sohn Jonas sind überzeugte Autofahrer. Ohne Auto geht auf dem Land nicht viel oder sogar gar nichts, deshalb besitzt jedes Familienmitglied ein eigenes Exemplar. "Das Auto ist ein notwendiges Muss und natürlich auch ein bisschen Luxus. Es gibt einem die Freiheit, dass man wohin fahren kann", erklärt Gabi Strobl. Eine Mischung aus tatsächlichem Nutzen und vermeintlich grenzenloser Freiheit.
Sie fahren Zug, Bus, U-Bahn und Tram? Wo fährt nichts? Was läuft aus dem Takt? Wo funktioniert es gut? Posten Sie Ihre Erlebnisse unten in den Kommentaren - oder schreiben Sie uns eine E-Mail unter community@br24.de.
Gestiegene Kraftstoffpreise
Doch der Preis dafür ist in den vergangenen Monaten in die Höhe geschossen. Die Strobls verfahren jeden Monat 1.514 Kilometer allein an Arbeitswegen. Gemeinsam haben sie für die Kontrovers-Story ausgerechnet, dass ihre drei Autos durchschnittlich zehn Liter auf 100 Kilometern verbrauchen. Bis vor einigen Monaten hat sie das Pendeln 225 Euro an der Zapfsäule gekostet. Jetzt sind es sogar 300 Euro. Und dann kommen noch Besorgungsfahrten und der ein oder andere private Ausflug hinzu.
Nach diesem Kassensturz steht für die Strobls fest, dass sie sich nach Alternativen umschauen wollen. Sie möchten herausfinden, wie alltagstauglich für sie öffentliche Verkehrsmittel sind.
Ohne Auto am Land? Geht nicht!
Schlechte Erreichbarkeit
Verkehrsexperten definieren die Qualität der Erreichbarkeit danach, wie viele öffentliche Verbindungen es in einem Ort gibt. Weniger als 20 Verbindungen pro Tag gelten demnach als schlechte Erreichbarkeit. In Hirschhorn gibt es nur 15 Mal pro Tag die Gelegenheit, den Ort zu verlassen – ein Zustand, der übrigens jeden zweiten Einwohner des Landkreises Rottal-Inn betrifft. Doch die Strobls wollen es jetzt wissen.
Keine Busverbindung
Am nächsten Morgen geht es um 4.40 Uhr für Gabi los. Sie arbeitet in einer Bäckerei. Für den sieben Kilometer langen Weg nach Eggenfelden muss sie aufs Rad steigen, denn zu der frühen Stunde fährt noch kein Bus. Der Radweg ist für Gabi nicht ganz ungefährlich – noch dazu in der Dunkelheit: "Da kommt halt dann die Bundesstraße mit einigen Kreisverkehren. Und dann muss man ein paar Mal die Straße wechseln, das ist nicht so toll." Acht Minuten hätte sie mit dem Auto für ihren Arbeitsweg gebraucht. Mit dem Rad war Gabi 20 Minuten unterwegs. Wäre das Rad für sie also eine Alternative? "Nein, also definitiv nicht. Natürlich würde es im Sommer schon früher heller werden. Aber die Antwort ist definitiv nein."
- Zum Artikel: Ein Haus, eine Familie, vier Autos: ÖPNV-Frust in Niederbayern
Der Heimweg: Eine kleine Weltreise
Um 6 Uhr 15 startet der Familienvater. Sepp Strobl ist Chemiemeister. Er arbeitet im 30 Kilometer entfernten Burgkirchen an der Alz. An der Bushaltestelle würde er um diese Zeit umsonst warten – es gibt keine Verbindung zwischen Hirschhorn und seinem Arbeitsplatz. Deshalb setzt sich Strobl für den Hinweg hinters Steuer seines Autos, obwohl er in seiner Familie eigentlich am ehesten ein Befürworter für den Umstieg auf Bus und Bahn wäre: "Öffentliche Verkehrsmittel wären schon weit günstiger, man käme auch entspannter bei der Arbeit und dann später zu Hause an. Da kann man auch ein bisserl Zeitverlust in Kauf nehmen."
Um 16 Uhr verlässt Strobl dann das Werksgelände wie gewohnt und versucht diesmal mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Hause zu kommen. Der Zug kommt pünktlich, und auch die Anschluss-Verbindung mit dem Bus klappt. Doch die Wartezeiten machen aus dem Heimweg eine ausgewachsene Reise. Zurück in Hirschhorn ist Strobl etwas ratlos: "Wir sind jetzt zweieinviertel Stunden unterwegs, das ist schon gewaltig. Und ich bin noch nicht mal daheim."
Zwei Stunden und 25 Minuten hat Sepp Strobl insgesamt gebraucht. Mit dem Auto wären es gerade einmal 25 Minuten gewesen. Sohn Jonas könnte auf öffentliche Verkehrsmittel übrigens komplett verzichten. Bis zu seiner Arbeit sind es nur wenige hundert Meter Fußmarsch.
Acht Verbindungen zum Einkaufen pro Tag
In Bayern wohnt fast jeder fünfte Bürger so, dass er mit Bus und Bahn laut Verkehrsexperten schlecht zu erreichen ist. Damit belegt der Freistaat im Vergleich zu anderen Bundesländern den vorletzten Platz. Und Bayern hält einen weiteren Rekord: Die fünf Landkreise, die bundesweit am allerschlechtesten erreichbar sind, liegen alle im Freistaat. Auch Rottal-Inn, wo die Strobls wohnen, gehört dazu.
Neuer Tag, neuer Versuch: Sepp und Gabi müssen zum Einkaufen. Auch dafür wollen sie das Auto stehenlassen und mit dem Bus zur fünf Kilometer entfernten Einkaufsmall fahren. Gerade einmal acht Verbindungen gibt es pro Tag dorthin. Das erfordert eine genaue Planung. Die Fahrt selbst dauert dann nur neun Minuten. Nach dem einstündigen Einkauf im Supermarkt will das Ehepaar dann wieder nach Hause kommen – und zwar so schnell wie möglich. Doch dieser Plan scheint nicht aufzugehen: "Das wird jetzt wirklich zum Problem, weil wir verderbliche Ware eingekauft haben. Butter zum Beispiel. Und jetzt scheint die Sonne. Und wir müssen noch einmal 20 Minuten warten. Also, ich hoffe, dass die Lebensmittel nicht kaputt sind, bis wir daheim sind."
Die Strobls sind für ihren Einkauf insgesamt dreieinviertel Stunden unterwegs. Mit dem Auto wären sie zwei Stunden früher wieder zu Hause gewesen.
Man bräuchte unendlich viel Geduld
Das Fazit beim Realitätscheck fällt ernüchternd aus: Für alle Wege haben die Strobls dreieinhalbmal so lange gebraucht wie mit dem Auto. Und dabei waren die Ticketpreise ähnlich hoch wie die Spritkosten für die Strecken. Kontrovers will von der Familie wissen, ab welchem Spritpreis es sich für sie lohnen würde, das Auto in Zukunft öfter stehen zu lassen. Für Familienvater Strobl liegt die Schmerzgrenze an der Zapfsäule eigentlich ganz klar bei 2,50 Euro.
Und dann? "Wenn man kalkuliert, was die öffentlichen Verkehrsmittel kosten, dann sind sie günstiger. Und ich würde sie natürlich auch nutzen. Aber diese Lösung ist bei uns einfach nicht gegeben." Für die Strobls steht fest: In Hirschhorn ohne Auto zu leben ist möglich, aber mühsam - und man braucht unendlich viel Geduld. Und damit sind sie nicht allein.
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