Francesca Albanese ist seit 2022 UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten Gebiete Palästinas. Die italienische Völkerrechtlerin hält weltweit Vorträge zu Themen wie Menschenrechte und Migration. Wegen ihrer scharfen Kritik an der israelischen Regierung und deren Politik steht Albanese aber auch selbst immer wieder in der Kritik. Gegner werfen ihr Antisemitismus vor. Nun sollte Albanese am 16. Februar in einem Hörsaal der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) über "Kolonialismus, Menschenrechte und Internationales Recht" sprechen. Doch die Uni stornierte die Raumzusage.
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Uni befürchtete einen "Meinungskampf"
In einer E-Mail an den Veranstalter, die BR24 vorliegt, heißt es zur Begründung unter anderem: Es sei "ein Meinungskampf zu erwarten", "für den die LMU die Sicherheit nicht gewährleisten kann". Auf Nachfrage von BR24 zu den Gründen für die Absage und den konkreten Befürchtungen antwortete die Universität allgemein: "Die LMU stellt grundsätzlich keine Räumlichkeiten für allgemeinpolitische Veranstaltungen zur Verfügung. Auch ist die beantragte Veranstaltung etwa nicht in eine wissenschaftliche Konferenz eingebunden."
Veranstalter: "Bedrohung für freie Meinungsäußerung"
Organisator der geplanten Veranstaltung war die Decolonial Practices Group (externer Link), ein Netzwerk von etwa 20 Doktoranden und Studierenden. "Diese Entscheidung folgt einem besorgniserregenden Muster in Deutschland, wo Diskussionen über Palästina und Menschenrechte zensiert werden, was eine direkte Bedrohung für die freie Meinungsäußerung und die akademische Freiheit darstellt", heißt es in einem englischsprachigen Statement. "Solche Maßnahmen stehen im Widerspruch zum Auftrag einer öffentlichen Universität."
Petition gestartet "Let Francesca Speak"
Der eigentliche Vortrag von Albanese wäre eher kurz gewesen, sagt eine Studentin, der der Gruppe angehört, im Gespräch mit BR24. Der überwiegende Teil der Veranstaltung hätte aus einem Frage-Antwort-Teil bestanden. "Wir hätten gerne einen wissenschaftlichen Austausch ermöglicht. Ich bin mir sicher, dass das viele interessiert hätte – egal, wie ihre Positionen sind." Aus der Gruppe wollte niemand namentlich genannt werden, auch aus Angst vor Anfeindungen. Inzwischen starteten Studierende und Mitarbeiter der LMU eine Petition mit dem Titel "Let Francesca Speak" ("Lasst Francesca sprechen"/ externer Link).
Albanese hofft auf Sieg der Meinungsfreiheit
Albanese schrieb auf X (externer Link), sie hoffe, dass die LMU ihre Entscheidung überdenken werde. Unterstützung bekommt Albanese aus der Wissenschaft. Drei Professoren, der Musiker Michael Barenboim von der Barenboim-Said-Akademie in Berlin, die Wirtschaftswissenschaftlerin Christine Binzel von der Uni Erlangen-Nürnberg und "Global-Health"-Expertin Hanna Kienzler vom King’s College London nennen in einem Brief an die LMU die "Verhinderung" des Vortrags "zutiefst beunruhigend". Dies sei ein "direkter Affront gegen die Grundsätze der akademischen Freiheit und des demokratischen Engagements". Eine Antwort der LMU bekamen die Professoren bisher nicht.
Die Wissenschaftler verwiesen auch auf die Ende Januar verabschiedete Resolution "Antisemitismus und Israelfeindlichkeit an Schulen und Hochschulen". Nach antisemitischen Vorfällen an deutschen Schulen und Hochschulen hatte sich der Bundestag darin gegen Judenfeindlichkeit im Bildungs- und Wissenschaftsbetrieb positioniert. Während Befürworter den Schritt begrüßten und betonten, dass Bildungseinrichtungen nicht "zu No-Go-Areas für Jüdinnen und Juden" werden sollten, befürchten Kritiker, dass das Papier die Wissenschaftsfreiheit einschränke und Einfallstore für politische Einflussnahme schaffe.
Kritik von Professoren
Dies sehen auch Barenboim, Binzel und Kienzler so: Mit der Absage "entsteht der Eindruck, dass sich Universitätsleitungen dieser Resolution fügen und sich von nicht-wissenschaftlichen Kriterien, einschließlich politischem Druck, leiten lassen", schreiben sie in ihrem Brief. "Dies wird die Tendenz an deutschen Universitäten, zum israelischen Völkermord an den Palästinensern zu schweigen, verstärken. Es ist schockierend zu sehen, wie deutsche Universitäten sich - der Bundesregierung folgend - von den Menschenrechten und vom internationalen Recht verabschieden."
Matthias Goldmann, Professor für internationales Recht an der EBS Universität Oestrich-Winkel schrieb auf X (externer Link): "Die unsägliche BT-Resolution (Red. Bundestags-Resolution) zur Wissenschaft trägt Früchte. Nicht jede Äußerung von Francesca Albanese muss man teilen oder mögen. Jedoch spricht sie vor allem über Völkerrecht. Rechtliche Debatten müssen auch an der LMU möglich blieben."
Nicht die erste Absage
Man müsse die Absage zusammen mit den vielen anderen Absagen von Vorträgen und Preisverleihungen sowie der "repressiven Atmosphäre" an vielen Universitäten in den letzten 16 Monaten sehen, sagt Binzel von der Uni Erlangen-Nürnberg BR24. "Hinzu kommt, dass deutsche Universitäten zwar unmittelbar die Völkerrechtsverbrechen der Hamas und anderer militanter Gruppen am 7.10.2023 verurteilt haben, zu Israels Völkerrechtsverbrechen bzw. laufenden Genozid jedoch weitestgehend schweigen."
Wissenschaftsministerium: "Entscheidung der LMU war richtig"
Das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst betonte auf BR24-Anfrage: "Die Entscheidung der LMU war richtig." Die Sicherheit und das Wohl der Hochschulfamilie stünden an erster Stelle. Jede und jeder müsse sich an einer Hochschule in Bayern sicher fühlen können. "Ob eine geplante Veranstaltung den Hochschulfrieden und die Sicherheit der Mitglieder der Hochschulfamilie so sehr gefährdet, dass sie abgesagt werden sollte, kann die Hochschulleitung am besten beurteilen." Das Ministerium sei nicht in die Entscheidung der Universität eingebunden gewesen, "trägt sie aber uneingeschränkt mit".
Diese Atmosphäre hat laut Binzel inzwischen auch Auswirkungen auf den Wissenschaftsbetrieb: "In den letzten Monaten haben wir von internationalen Wissenschaftlern gehört, dass Einladungen oder Fellowships von deutschen Universitäten abgesagt wurden. Wir wissen auch von Kolleg:innen, die aufgrund der Situation an den deutschen Universitäten und dem geringen Rückhalt, den sie hier erfahren, bewusst die Entscheidung getroffen haben, an eine Universität ins Ausland zu gehen."
Antisemitismus-Beauftragter: Keine Objektivität erwartbar
Zuspruch für die Entscheidung der LMU kommt auch von dem Antisemitismus-Beauftragten der Bayerischen Staatsregierung, Dr. Ludwig Spaenle. Die Argumentation der Universität sei für ihn "stichhaltig", wie er in einer Pressemitteilung schreibt. Albanese habe sich "mehrfach einseitig zur Lage in Israel und Gaza geäußert" und Israel "wiederholt delegitimiert". Es sei von ihr keine Objektivität zu erwarten, so Spaenle.
Er ergänzte aber: "Das Vorgehen des israelischen Militärs in Gaza muss genau wie das jeder anderen Armee kritisch untersucht werden. Vergehen oder gar Kriegsverbrechen müssen selbstverständlich geahndet werden".
Albanese spricht bei Friedenskonferenz
Nach München kommt Francesca Albanese trotzdem: Sie wird bei der Sicherheitskonferenz (14.-16.2.) erwartet. Am 15. Februar wird die UN-Sonderberichterstatterin bei der parallel stattfindenden Münchner Friedenskonferenz (externer Link) auftreten. Ihr Thema: Wie das Völkerrecht als Grundlage für den Frieden genutzt werden kann.
Mit Informationen von KNA
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