Cannabis-Samen und -Stecklinge neben Tomatenpflanzen und Rosenstöcken? Erhältlich für jeden im Baumarkt oder Gartencenter, auch für Jugendliche? Genau das befürchtet die bayerische Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU), die eine Lücke im umstrittenen Cannabisgesetz des Bundes beklagt. Dieses sehe - außerhalb der geplanten Anbauvereinigungen - keine Regelungen für den Umgang mit sogenanntem Vermehrungsmaterial vor, beklagt Gerlach auf BR-Anfrage. Zum Schutz von Kindern und Jugendlichen müsse die Bundesregierung daher umgehend nachbessern. Zuerst hatte die "Augsburger Allgemeine" darüber berichtet.
Gerlach schlägt nun in einem Brief an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) Alarm: "Es besteht die Gefahr, dass Stecklinge unreglementiert in Baumärkten oder anderen Fachgeschäften angeboten und auf diesem Wege auch von Kindern und Jugendlichen erworben werden."
Samen und Stecklinge gelten nicht als Cannabis
Laut Gesetz ist der Besitz von Cannabis Minderjährigen grundsätzlich verboten. Erwachsene dürfen in Gegenwart von Kindern und Jugendlichen auch kein Cannabis konsumieren. Gerlach verweist darauf, dass es sich laut gesetzlicher Definition bei Vermehrungsmaterial, also Samen und Stecklingen, aber nicht um Cannabis handle. Somit sei Minderjährigen der Umgang mit Stecklingen nicht verboten.
"Allen Beteuerungen der Bundesregierung den Kinder- und Jugendschutz betreffend zum Trotz könnte damit Cannabis über den Weg der Anzucht von Stecklingen in die Hände von Minderjährigen gelangen", warnt die CSU-Politikerin. "Das muss ausgeschlossen werden."
Gerlach wünscht sich Bußgelder
"Nicht nachvollziehbar" ist für die Ministerin zudem, dass das Gesetz für den unerlaubten Umgang mit Cannabis-Samen kein Bußgeld vorsehe. Einzige Ausnahme sei die Einfuhr von Samen aus Nicht-EU-Staaten. "Das bedeutet, dass die Abgabe von Cannabis-Samen an Minderjährige möglicherweise zwar verboten wäre, mit einem Bußgeld oder einer anderen Strafe müsste die abgebende Person aber nicht rechnen." Gleiches gelte auch für den Umgang mit Cannabis-Stecklingen. "Das ist völlig unverantwortlich!" Kinder und Jugendliche müssten besser geschützt werden.
Lauterbachs Ministerium sieht sich nicht zuständig
Obwohl Gerlachs Schreiben an Bundesgesundheitsminister Lauterbach gerichtet war, fühlt sich dessen Haus offenbar nicht zuständig für die Kritik aus Bayern. Auf BR-Anfrage schreibt das Bundesgesundheitsministerium, für Samen und Stecklinge sei das Bundeslandwirtschaftsministerium zuständig.
Dieses wiederum antwortete auf BR-Anfrage, der gewerbliche Handel mit Cannabis-Samen sei nach Paragraf 4, Absatz 1 des Cannabis-Gesetztes sehr wohl "erlaubt, sofern die Samen nicht zum unerlaubten Anbau bestimmt sind". Man könne also Samen kaufen, um sie etwa in einem Cannabis-Club entsprechend der geltenden Vorschriften anzubauen. Oder, um sie zu Forschungszwecken oder als Futtermittel zu nutzen, , so eine Sprecherin des Bundeslandwirtschaftsministeriums.
Verband: Verkauf bis auf weiteres nicht möglich
Der Verband Deutscher Garten-Center (VDG) berichtete schon vor Wochen, dass sich in Märkten Anfragen von Kunden mehrten, ob dort ein Erwerb von Cannabis-Pflanzen oder -Saatgut möglich sei. Aus Sicht des VDG "dürfte für die Garten-Center in Deutschland auf absehbare Zeit nicht ohne weiteres möglich sein, mit Cannabis zu handeln, indem zum Beispiel Cannabispflanzen wie gewöhnliche Zierpflanzen zum Verkauf angeboten werden". Das neue Gesetz habe daran nichts geändert. Erlaubt sei der Verkauf von Zubehör-Artikeln zum Eigenanbau von Cannabis-Pflanzen.
Die meisten deutschen Baumärkte kündigten an, vorerst kein Saatgut für Cannabis-Pflanzen in ihr Sortiment aufzunehmen. Die Ketten Obi, Toom, Hornbach und Bauhaus teilten auf Medienanfragen hin übereinstimmend mit, die Teil-Legalisierung habe keine Auswirkungen auf ihr Sortiment.
Bayern will Cannabis-Konsum erschweren
Gerlach bekräftigt dabei auch ihre grundlegende Kritik an der Cannabis-Liberalisierung. "Das Gesetz ist nicht nur vom ganzen Ansatz her gefährlicher Unfug, sondern hat auch massive handwerkliche Mängel." Die Staatsregierung sucht daher intensiv nach Wegen, den Cannabis-Konsum im Freistaat einzuschränken.
Als erstes Bundesland veröffentlichte Bayern schon vor Wochen einen Bußgeldkatalog für Verstöße gegen das Bundesgesetz: Er sieht Bußgelder bis zu 1.000 Euro vor - bei Wiederholung auch doppelt so viel. Im Englischen Garten, dem Finanz- und dem Hofgarten in München sowie im Hofgarten Bayreuth - allesamt staatliche Parks - wurde der Konsum von Cannabis bereits per Verordnung grundsätzlich verboten.
Zudem brachten die Regierungsfraktionen Mitte Mai ein bayerisches "Cannabisfolgenbegrenzungsgesetz" in den Landtag ein. Es sieht unter anderem ein Cannabis-Rauchverbot in der Außengastronomie sowie auf Volksfesten vor.
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