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Der Freistaat will Spitze in Deutschland sein - auch beim Abschieben. "Bayern ist Vorreiter im Bereich der Rückführungen", heißt es im Koalitionsvertrag von CSU und Freien Wählern vom Herbst. "Für rechtskräftig abgelehnte Asylbewerber müssen Rückkehr oder Rückführung konsequent und zeitnah durchgesetzt werden." Zugleich verspricht die Regierungskoalition aber auch: "Wir werden auf Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber dann verzichten, wenn ein fester Arbeitsplatz oder ein Ausbildungsvertrag besteht und keine Straftaten oder Gefährdungslagen vorliegen."
Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger (Freie Wähler) bekräftigt auf BR24-Anfrage: "Wenn feste Arbeitsverhältnisse vorliegen und sich die Person nichts hat zuschulden kommen lassen, werden sie in der Regel nicht abgeschoben. Sie müssen eben in diesen Fällen zur Ausländerbehörde gehen und wenn der Arbeitgeber den Sachverhalt bestätigt, wird normalerweise nicht abgeschoben." Das bayerische Innenministerium dagegen teilt mit, bei ausreisepflichtigen abgelehnten Asylbewerbern stehe nicht die Integration in den Arbeitsmarkt im Vordergrund, sondern das Ende ihres Aufenthalts in Deutschland.
BR-Recherchen zeigen in der Tat, dass ein fester Job in Bayern keineswegs vor einer Abschiebung schützt. Fachanwälte, Flüchtlingshelfer, Arbeitgeber sowie die Landesverbände der Caritas und Diakonie berichten übereinstimmend: An der gängigen Praxis der bayerischen Ausländerbehörden, Flüchtlinge trotz Arbeit abzuschieben, habe sich nichts geändert.
Grüne fordern Weisung des Innenministeriums
Ähnlich äußert sich auch die Vorsitzende des Ausschusses für Eingaben und Beschwerden des Bayerischen Landtags, die Grünen-Abgeordnete Gülseren Demirel: Die Absichtserklärung aus dem Koalitionsvertrag werde nicht umgesetzt. "Im Grunde kann man sagen: alles beim Alten." Es fehle nach wie vor eine klare Ansage des bayerischen Innenministeriums an die Ausländerbehörden. Das habe zur Folge, dass in vergleichbaren Fällen vor Ort zuweilen völlig unterschiedlich entschieden werde.
Auch SPD-Landeschef Florian von Brunn kritisiert es als "grundfalsch", geflüchtete Menschen abzuschieben, die hier arbeiteten. "Weil sie sich integrieren, weil sie selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen und weil sie Teil unserer Gesellschaft sind." Zugleich sei es wirtschaftspolitisch dumm: "Weil unsere Wirtschaft in Bayern händeringend Arbeitskräfte sucht und wir jeden brauchen, der anpackt." Und nebenbei sei es noch ein Bruch des Versprechens aus dem Koalitionsvertrag von CSU und Freien Wählern.
"Abschiebung im Mittelpunkt"
Bricht Schwarz-Orange tatsächlich ein Versprechen? Das bayerische Innenministerium widerspricht und betont, die entsprechenden Aussagen des Koalitionsvertrags dürften "nicht losgelöst für sich" betrachtet werden, sondern seien "im Kontext des Gesamtwerks" zu sehen. "Für abgelehnte Asylbewerber steht regelmäßig die Erfüllung der Ausreisepflicht und - wenn sie ihrer Verpflichtung nicht nachkommen - die Durchsetzung im Wege der Abschiebung im Mittelpunkt."
Das Ministerium beruft sich in diesem Zusammenhang auf die "bundesgesetzliche Rechtslage". Die bayerischen Ausländerbehörden seien an die asylrechtlichen Entscheidungen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge gebunden. Zugleich versichert das Ministerium, Bayern mache "umfassend Gebrauch" von beschäftigungsrechtlichen Ausnahmen, insbesondere der Ausbildungs- und Beschäftigungsduldung.
Ähnlich äußert sich auch Innenminister Joachim Herrmann (CSU) in einem Schreiben an Demirel: "Gerade im Bereich des Ausländerrechts haben wir eine klare bundesgesetzliche Rechtslage, die von unseren Behörden zu achten und zu beachten ist." Der konkrete Einzelfall werde aber nicht außer Acht gelassen: "Es werden verantwortungsvolle, pragmatische Einzelfallentscheidungen in geeigneten Fällen getroffen."
Bundesministerium: Arbeit schützt nicht vor Abschiebung
Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums teilt auf BR24-Anfrage mit, ein Arbeitsvertrag schütze nicht vor einer Abschiebung. Etwas anderes gelte nur, wenn die Betreffenden die Voraussetzung für eine Ausbildungs- oder eine Beschäftigungsduldung erfüllen. "Mit diesen speziellen Duldungen haben vollziehbar Ausreisepflichtige die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen in einen regulären Aufenthaltsstatus zu wechseln."
Die Hürden für eine 30-monatige Beschäftigungsduldung wurden zwar zuletzt etwas gesenkt, dennoch müssen mehrere Bedingungen erfüllt werden. So müssen die Bewerber unter anderem seit mindestens zwölf Monaten sozialversicherungspflichtig beschäftigt sein - mit mindestens 20 Stunden pro Woche. Sie müssen genauso lang ihren Lebensunterhalt selbst gesichert haben und über grundlegende Deutschkenntnisse verfügen. Darüber hinaus muss ihre Identität geklärt sein - oder sie müssen alle zumutbaren Maßnahmen zur Identitätsklärung ergriffen haben.
Streibl zeigt auf bayerisches Innenministerium
Der bayerische Freie-Wähler-Fraktionschef Florian Streibl verweist einerseits zwar ebenfalls auf den Bund, räumt aber auch Verbesserungsbedarf im Freistaat ein. Bayern mache zwar - auf "Druck der Freien Wähler" - von beschäftigungsrechtlichen Ausnahmen Gebrauch, sagt er. "Wir bedauern, dass dennoch weiterhin Menschen abgeschoben werden, die sowohl eine Arbeit haben als auch integriert sind."
Streibl betont, die Freien Wähler hätten dazu bereits wiederholt Gespräche mit dem bayerischen Innenminister geführt. "Diese Gespräche werden wir fortsetzen." Die Verwaltungspraxis müsse im Sinne des Koalitionsvertrags gelebt werden. Auch abgelehnte Asylbewerber könnten für die Wirtschaft eine große Chance sein. Für Streibl steht fest: "Wir dürfen nicht die Falschen abschieben!"
Im Audio: Restriktive Flüchtlingspolitik in Bayern
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