Ein SEK-Polizist steht im Rahmen einer Übung neben einem Einsatzfahrzeug der Polizei
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Ein SEK-Polizist steht im Rahmen einer Übung neben einem Einsatzfahrzeug der Polizei (Symbolbild)

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Verfassungsschutz: Terrorgefahr so hoch wie lange nicht

Verfassungsschutz: Terrorgefahr so hoch wie lange nicht

Die Eskalation in Nahost hat auch in Deutschland Auswirkungen. Extremisten unterschiedlicher Couleur nutzen die Lage für ihre Zwecke. Laut dem Verfassungsschutz besteht deshalb derzeit eine erhöhte Gefahr durch Anschläge.

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Der terroristische Angriff der Hamas in Israel und die israelische Offensive im Gazastreifen haben die Terrorgefahr in Deutschland nach Einschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz erheblich erhöht. Die größte Gefahr geht demnach hierzulande allerdings nicht von Anhängern der Hamas oder der pro-iranischen Hisbollah aus, die sich mit öffentlichen Äußerungen zurückhalten.

Vielmehr gelingt es anscheinend Terrorgruppen wie Al-Qaida oder dem Islamischen Staat (IS) wieder vermehrt, vorwiegend junge Menschen für sich zu gewinnen, indem sie die Opfer israelischer Bombardierungen im Gazastreifen und die humanitäre Notlage in dem palästinensischen Gebiet als Teil einer vermeintlich anti-muslimischen westlichen Strategie darstellen.

Erst am Dienstag nahm die Polizei in Nordrhein-Westfalen und Brandenburg zwei Jugendliche fest, die sich nach Angaben aus Sicherheitskreisen zu möglichen Anschlagsplänen ausgetauscht und dafür auch schon ein Ziel ausgewählt haben sollen.

Zahl politisch motivierter Straftaten hat 2022 erneut stark zugenommen

Den Inlandsgeheimdienst trifft diese Entwicklung in einer Zeit, in der die Behörde nach eigenem Bekunden auch auf anderen Gebieten schon stark gefordert ist. Die Zahl der politisch motivierten Straftaten hatte im vergangenen Jahr zum vierten Mal in Folge zugenommen und damit einen neuen Rekord erreicht.

Razzien und Festnahmen im Milieu der sogenannten Reichsbürger sowie Durchsuchungen bei gewaltbereiten Rechtsextremisten sind nur zwei Beispiele dafür, was die Verfassungsschützer und die Staatsschutz-Abteilungen der Polizei zurzeit sonst noch beschäftigt.

"Gefahr ist so hoch wie seit langem nicht mehr"

"Wir sind aktuell durch parallele Krisen mit einer komplexen und angespannten Bedrohungslage konfrontiert, die durch die barbarischen Verbrechen der Hamas noch verstärkt wird", sagt der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang.

"Das Gefahrenpotenzial für mögliche Terroranschläge gegen jüdische und israelische Personen und Einrichtungen sowie gegen 'den Westen' insgesamt ist in der Folge deutlich angestiegen", heißt es in einer am Mittwoch veröffentlichten aktuellen Einschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Unter Dschihadisten beobachtet der Inlandsnachrichtendienst nach eigenen Angaben Aufrufe zu Attentaten und ein "Andocken" der Terrorgruppen Al-Qaida und Islamischer Staat (IS) an den Nahost-Konflikt.

Haldenwang sieht hier unter anderem das Risiko einer Radikalisierung von allein handelnden Tätern, die sogenannte weiche Ziele mit einfachen Tatmitteln angreifen. Er betont: "Die Gefahr ist real und so hoch wie seit langem nicht mehr."

Gestiegene Polemik mit antisemitischen Bezügen

Über das dschihadistische Spektrum hinaus sei zudem eine gestiegene Polemik zu beobachten, die die Muslime und die Palästinenser als Opfer des Westens darstellt und in Teilen deutlich antisemitische Beiträge beinhaltet, analysiert der Verfassungsschutz.

Anhänger der palästinensischen Hamas und der libanesischen Hisbollah hielten sich zurück und tauchten auch bei propalästinensischen Demonstrationen nicht als Gruppe auf, "da sie sich einem deutlichen staatlichen Verfolgungsdruck ausgesetzt sehen". Für beide Gruppierungen gilt in Deutschland ein Betätigungsverbot.

Wen der Verfassungsschutz im Fokus sieht

Als "Scharfmacher und Mobilisierungstreiber" in der aktuellen Lage sieht der Verfassungsschutz neben Islamisten auch palästinensische Extremisten, türkische Rechtsextremisten sowie deutsche und türkische Linksextremisten.

Die Mehrheit der Teilnehmer propalästinensischer Demonstrationen seien zwar keine Extremisten. Es gelinge Extremisten aber immer wieder, bei solchen Veranstaltungen Hassbotschaften zu verbreiten und für eine Eskalation zu sorgen. Deutsche Rechtsextremisten nutzten die Situation ihrerseits zur Agitation gegen Muslime und Migranten. Unter deutschen Linksextremisten würden teils proisraelische, teils propalästinensische Positionen vertreten.

Haldenwang: Ausländische staatliche Akteure nutzen Lage für sich

"Verschärft wird die Situation durch ausländische staatliche Akteure, die diese Stimmungslage für sich ausnutzen oder gar zu verstärken suchen", sagt Haldenwang. Konkrete Staaten nennt er nicht. Es geht hier wohl in erster Linie um Propaganda und um eine Verstärkung von Stimmungen, die für Unruhe in der Gesellschaft sorgen.

In Frankreich werfen etwa Ermittler Russland vor, hinter dem massenhaften Besprühen von Pariser Gebäuden mit Davidsternen im Oktober zu stecken. Ein nach der Sprühaktion in Paris und Umlandgemeinden festgenommenes Paar aus Moldau hatte nach Angaben der Pariser Staatsanwaltschaft angegeben, die Davidsterne im Auftrag einer dritten Person gegen Geld auf die Wände gesprüht zu haben. Auf ihrem Telefon stießen die Fahnder auf einen Austausch in russischer Sprache.

Gefahr durch "emotionalisierte Einzelpersonen"

Auch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz hat vor dem aktuellen Hintergrund seine Aufklärungsarbeit intensiviert. Das teilte die Behörde auf BR-Anfrage mit. Man habe bereits vor dem terroristischen Angriff der Hamas auf israelisches Staatsgebiet für Bayern eine hohe abstrakte Gefährdungslage bezüglich islamistischer Attentate festgestellt, heißt es in der Stellungnahme.

Die aktuellen Entwicklungen in Nahen Osten könnten die Sicherheitslage weiter verschärfen. "Insbesondere gehen nach hiesiger Einschätzung erhöhte Gefahren von emotionalisierten Einzelpersonen aus", warnt LfV-Präsident Burkhard Körner.

Beim Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz wurde nach eigenen Angaben unmittelbar nach dem Terrorangriff am 7. Oktober eine Sonderarbeitsgruppe eingerichtet, die seitdem im engen Austausch mit anderen Sicherheitsbehörden steht. Der Fokus liege dabei auf dem Schutz jüdischer Bürgerinnen und Bürger sowie israelischer und jüdischer Einrichtungen.

Mit Informationen von dpa

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