Sie ist das Symboltier der Alpen schlechthin: die Gams. Ihr Lebensraum wird einerseits durch Siedlungen und Infrastruktur am Berg eingeschränkt, andererseits auch durch zahlreiche Wintersportarten. Und zwar sowohl in Bayern als auch in Tirol. Für Bezirksjägermeister Martin Hosp aus Reutte befindet sich die Gams in einer Sandwichposition. "Von unten kommen die Naturnutzer, dann flüchten die Tiere in den höher gelegenen Wald und richten dort Schäden an. Um den Forst zu schützen, soll die Gams dann geschossen werden. Wo soll sie hin?" Zwar gilt auf österreichischer Seite seit Mitte Dezember die Schonzeit, dennoch zählt der Jäger immer weniger Tiere. In den vergangenen 20 Jahren sind die Bestände laut Hosp im Revier Reutte um 60 Prozent zurückgegangen.
In Bayern sieht eine Untersuchung der Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft zwar keinen Rückgang der Zahlen im Karwendel und Chiemgau, dennoch entschied das Bundesverwaltungsgericht im vergangenen November, dass der Gams eine Schonzeit eingeräumt werden muss. Ein Urteil allerdings, um das es Streit gibt. Kurz darauf hob die Regierung von Oberbayern diese Schonzeit per Verordnung wieder auf. Die jetzt aber (am 10.01.) wiederum, nach einem Eilantrag des bayerischen Jagdverbands, vom Verwaltungsgerichtshof in München vorläufig kassiert wurde. Auch Tierschützer hatte eine neue Klage gegen die Aussetzung der Schonzeit angekündigt.
Klimakrise belastet die Tiere zusätzlich
Neben menschlichen Einflüssen wirkt sich auch die Klimakrise negativ auf den Bestand des Gamswildes aus. Aufgrund der höheren Temperaturen hat die Nahrung der Tiere, die sogenannte Äsung, im Spätsommer und Herbst einen geringeren Nährstoffgehalt. Dadurch können sich die Tiere weniger Vorräte für den Winter anfressen und gehen geschwächt in die kalte Jahreszeit. Auch der Parasitenbefall nimmt zu, neue Krankheitserreger machen den Tieren zu schaffen. Und obwohl die Winter tendenziell wärmer werden, nehmen extreme Wetterlagen mit geballtem Niederschlag zu – für die Tiere eine weitere Herausforderung.
Flucht erfordert hohen Energieaufwand
Da die Tiere schwächer in den Winter starten, können Störungen durch Menschen gravierende Folgen haben. Gamswild und andere Wildtiere fahren in der kalten Jahreszeit ihren Energieverbrauch drastisch herunter. "Im Winter lebt die Gams im Energiesparmodus, die Körpertemperatur sinkt, der Magen zieht sich zusammen. Wenn sie nun gestört wird, muss sie den Motor hochfahren und viel Energie für die Flucht aufwenden", so Jäger Martin Hosp. Jede Flucht koste wertvolle Reserven, wiederholte Störungen könnten tödlich enden. Das gelte nicht nur für Gamswild, sondern auch für andere Wildarten wie Schneehasen oder Birkhühner.
Schutzgebiete respektieren, Dämmerung meiden
Wintersportler können ihren Teil dazu beitragen, der Gams das Überleben leichter zu machen. Planung und Respekt sind laut Hosp dabei die wichtigsten Grundsätze. Touren sollten vorausschauend geplant und Beschilderungen beachtet werden.
Es gibt in Deutschland zwei verschiedene Arten von Sperrzonen: Wildschutzgebiete werden von den Jagdbehörden ausgewiesen, ein Betreten kann behördlich verboten werden, Vergehen können mit bis zu 5.000 Euro Strafe geahndet werden. Wald-Wild-Schongebiete basieren hingegen auf Freiwilligkeit. Es handelt sich um ein Konzept des Deutschen Alpenvereins zur Besucherlenkung.
Die Gebiete sind sowohl vor Ort als auch auf Karten oder in digitalen Planungsportalen verzeichnet, sodass sich Touren schon zu Hause wildtierfreundlich planen lassen. Auch Wildfütterungen sollten großräumig gemieden werden, um die Tiere nicht beim Fressen zu stören.
Hunde an die Leine
Falls ein Hund mit dabei ist, sollte er unbedingt angeleint sein, denn wildernde Hunde sind einer der größten Stressfaktoren für Wildtiere. Da die Hauptaktivitätszeit des Wilds in der Dämmerung, morgens und abends liegt, sollten Touren möglichst außerhalb dieser Zeiten durchgeführt werden. Falls sich das nicht vermeiden lässt, dann sollte zumindest unnötiger Lärm und Licht vermieden werden. Sollte es dennoch zu einer Begegnung mit Wildtieren kommen, dann empfiehlt Jäger Hosp: "Ich muss mir bewusst sein, dass ich im Wohnzimmer des Wildes bin. Und vielleicht drehe ich dann einfach um und gehe woanders lang."
Nach Veröffentlichung des Artikels haben wir noch die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes in München ergänzt, der am 10.01. die Aussetzung der Schonzeit für die Gams vorläufig kassiert hat.
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