Die Ukraine und ihre westlichen Verbündeten haben überwiegend gelassen auf die geplante Stationierung russischer Atomwaffen in Belarus reagiert. Die Nato erklärte am Sonntag, die Allianz sehe keinen Handlungsbedarf mit Blick auf die eigenen Nuklearwaffen. Nach der Ankündigung von Kremlchef Wladimir Putin sei man aber wachsam und beobachte die Situation genau. Vom Präsidentenbüros in Kiew hieß es, Putin gebe mit der Ankündigung zu, dass er Angst habe, seinen Krieg gegen die Ukraine zu verlieren. Im Auswärtigen Amt in Berlin war von einem "weiteren Versuch der nuklearen Einschüchterung" die Rede.
Putin hatte am Samstag im Staatsfernsehen angekündigt, taktische Atomwaffen in Belarus zu stationieren - unter anderem mit der Begründung, dass auch die USA solche Waffen bei ihren europäischen Verbündeten vorhielten.
Deutsche Politiker sehen keinen Handlungsbedarf
Auch die Union im Bundestag riet zu Gelassenheit im Umgang mit der russischen Ankündigung. Die Nato sei auf derartige Ankündigungen "längst eingestellt", sagte der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Eine kurzfristige Reaktion halte er deshalb für unnötig. Zur Gelassenheit rief auch der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen auf. Russische Atomwaffen in Belarus bedeuteten "keine zusätzliche Bedrohung für Europa", sagte er der Funke Mediengruppe.
Der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, Anton Hofreiter (Grüne), sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: "Nukleare Drohungen gehören seit Beginn des russischen Angriffskriegs zum Repertoire des Kreml." Handlungsbedarf sieht Hofreiter vielmehr bei weiteren wirtschaftlichen Strafmaßnahmen gegen Putin und dessen Verbündete: "Unsere Aufgabe ist es, weitere Sanktionen auf europäischer Ebene zu erlassen und die Ukraine weiter zu unterstützen", sagte der Grünen-Politiker.
Kiew: Putin hat Belarus als "nukleare Geisel genommen"
Die Ukraine forderte angesichts der Ankündigung von Putin eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats. Die Regierung in Kiew erwarte effektives Handeln von Großbritannien, China, den USA und Frankreich gegen die "nukleare Erpressung des Kremls", auch in ihrer Funktion als ständige Mitglieder des Sicherheitsrates, teilte das ukrainische Außenministerium mit.
Zugleich hieß es, man rechne wegen der angekündigten Stationierung russischer Atomwaffen in Belarus mit einer Destabilisierung des Nachbarlandes. Die Ankündigung des russischen Präsidenten werde das Ausmaß der negativen Wahrnehmung und öffentlichen Ablehnung Russlands und Putins in der belarussischen Gesellschaft maximieren, schrieb der Sekretär das ukrainischen Sicherheits- und Verteidigungsrates, Oleksij Danilow, bei Twitter. Putin habe Belarus als "nukleare Geisel genommen".
USA und Litauen reagieren gelassen - Polen verurteilt Schritt
Auch die US-Regierung erklärte, sie sehe keinen Handlungsbedarf. "Wir haben keine Gründe gesehen, unsere eigene strategische nukleare Haltung anzupassen, noch irgendwelche Hinweise darauf, dass Russland den Einsatz einer Atomwaffe vorbereitet", sagte eine Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrats, Adrienne Watson. Man werde die Folgen von Putins Bekanntgabe im Auge behalten.
Auch Litauens Verteidigungsminister Arvydas Anusauskas reagierte gelassen auf die vom Kreml angekündigte Verlegung russischer Atomwaffen in das benachbarte Belarus. Damit ziele Putin darauf ab, die Länder einzuschüchtern, die die Ukraine unterstützen, schrieb Anusauskas bei Facebook. Nach Ansicht des Ministers des baltischen EU- und Nato-Landes sollte es keine besondere Reaktion auf die russischen Pläne geben.
Polen kritisierte Putins Ankündigung indessen scharf. "Wir verurteilen diese Verstärkung der Bedrohung des Friedens in Europa und der Welt", sagte ein Sprecher des Außenministeriums in Warschau der Agentur PAP zufolge.
ICAN regiert besorgt - Bulgarien fordert Verhandlungen
Weitaus kritischere Töne kamen von Seiten der Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN): Demnach könnte das russische Vorgehen zur Katastrophe führen. Putins Plan sei eine "extrem gefährliche Eskalation", warnte die mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Organisation in Genf.
- Zum Artikel: Putin: Russland setzt Atomwaffen-Kontrollvertrag aus
Auch Bulgariens Vizepräsidentin Ilijana Jotowa äußerte sich mit Sorge angesichts der jüngsten Pläne in Moskau. Die Lage werde "immer gefährlicher und furchterregender", warnte die Politikerin. Deshalb riefen sie und der bulgarische Staatspräsident Rumen Radew immer wieder zu Verhandlungen auf: "Das sind keine leeren Worte", sagte Jotowa. Dies sei der Wunsch Bulgariens, weil mehr Rüstung in allen Ländern zu unvorhersehbaren Entscheidungen führe und nun in der Praxis ein ernsthafter Krieg drohe.
Belarus bittet schon lange um taktische Atomwaffen
In Belarus hatte Machthaber Alexander Lukaschenko, der von Putin abhängig ist, schon vor dem Krieg die Stationierung der Waffen gefordert. Belarus erhielte damit nach der freiwilligen Abgabe seiner Atomwaffen im Anschluss an das Ende der Sowjetunion erstmals seit den 1990ern Jahren wieder nukleare Raketen. Die belarussische Opposition verurteilte hingegen die Unterstützung Lukaschenkos für den russischen Ukraine-Feldzug und kritisierte die Stationierungspläne Putins.
Russland stationiert keine strategischen Atomwaffen in Belarus, die etwa auch die USA erreichen könnten. Die Reichweite sogenannter taktischer Atomwaffen wird mit mehreren Hundert Kilometern angegeben.
Putin will zusätzlich 1.600 Panzer bauen
Putin kündigte in seinem Fernsehauftritt am Samstag auch an, angesichts der westlichen Panzerlieferungen für die Ukraine die eigene Panzerproduktion auszubauen. "Die Gesamtzahl der Panzer der russischen Armee wird die der ukrainischen um das Dreifache übertreffen, sogar um mehr als das Dreifache", sagte er. Während die Ukraine aus dem Westen 420 bis 440 Panzer bekomme, werde Russland 1.600 neue Panzer bauen oder vorhandene Panzer modernisieren.
Ex-Präsident Dmitri Medwedew hatte diese Woche bereits die Produktion von 1.500 Panzern angekündigt. In einer Analyse des US-Instituts für Kriegsstudien (ISW) zweifeln deren Experten dies jedoch an. Demnach kann Russlands einzige Panzerfabrik Uralwagonsawod (UVZ) monatlich nur 20 Panzer produzieren, verliere aber im Krieg in der Ukraine täglich ein Vielfaches davon.
Mit Informationen von dpa, AFP und Reuters
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