Außenministerin Annalena Baerbock und ihr französischer Amtskollege Jean-Noël Barrot sind vom syrischen De-facto-Herrscher Ahmed al-Scharaa empfangen worden. Der Anführer der islamistischen Rebellengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) begrüßte die im Auftrag der EU angereisten Außenminister im früheren Palast des vor rund vier Wochen gestürzten Langzeit-Machthabers Baschar al-Assad in der Hauptstadt Damaskus.
Unter der Führung von al-Scharaas islamistischer Miliz Hajat Tahrir al-Scham (HTS) war am 8. Dezember der langjährige syrische Machthaber Baschar al-Assad gestürzt worden. Auch er hatte seine Gäste stets im Präsidentenpalast empfangen.
Baerbock verspricht Hilfe bei "inklusivem friedlichen Machtübergang"
Für Aufsehen sorgte, dass al-Scharaa der Ministerin den Handschlag verweigerte. Dass al-Scharaa ihr als Frau bei der Begrüßung nicht die Hand reichte, relativierte die Bundesaußenministerin. Auf die Frage einer Journalistin antwortete Baerbock, ihr sei schon bei der Anreise klar gewesen, "dass es hier offensichtlich nicht gewöhnliche Handschläge geben wird". Barrot und sie hätten mit al-Scharaa jedoch ausführlich das Thema Frauenrechte erörtert.
In Syrien brauche es nun "einen politischen Dialog unter Einbeziehung aller ethnischen und religiösen Gruppen, unter Einbeziehung aller Menschen" und damit "auch der Frauen in diesem Land", betonte Baerbock. Alle müssten am Verfassungsprozess und einer zukünftigen Regierung beteiligt werden. Deutschland wolle Syrien helfen bei einem "inklusiven friedlichen Machtübergang, bei der Versöhnung der Gesellschaft, beim Wiederaufbau", erklärte Baerbock.
Die Reise sei "ein klares Signal an die Syrerinnen und Syrer: Ein politischer Neuanfang zwischen Europa und Syrien, zwischen Deutschland und Syrien ist möglich", erklärte Baerbock zu Beginn ihrer Reise. "Mit dieser ausgestreckten Hand, aber auch mit klaren Erwartungen an die neuen Machthaber, reisen wir heute nach Damaskus", erklärte sie.
"Werden HTS an ihren Taten messen"
Deutschland wisse, "wo die HTS ideologisch herkommt, was sie in der Vergangenheit getan hat", erklärte Baerbock mit Blick auf die Islamisten in Syrien. "Wir hören und sehen aber auch den Wunsch nach Mäßigung und nach Verständigung mit anderen wichtigen Akteuren." "Bei aller Skepsis" werde die Bundesregierung "die HTS weiter an ihren Taten messen", kündigte die Außenministerin an.
Sicherheit der Kurden "essenziell"
Eine Rückkehr Syriens in die internationale Gemeinschaft sei "kein Automatismus", mahnte Baerbock. Auch dafür brauche es "einen innersyrischen Prozess, der nicht von außen gestört werden darf", sagte die Ministerin mit Blick auf die Nachbarstaaten Syriens. Diese müssten die territoriale Integrität und Souveränität des Landes achten. "Syrien darf weder erneut zum Spielball fremder Mächte noch zum Experiment radikaler Kräfte" werden. "Essenziell" sei auch die Sicherheit der Kurden, betonte Baerbock. Dafür brauche es ein Ende der Kämpfe im Norden Syriens, verlässliche Sicherheitsgarantien für die Kurden und eine Integration der kurdischen Kräfte in die gesamte syrische Sicherheitsarchitektur.
"Gemeinsam stehen Frankreich und Deutschland an der Seite des syrischen Volkes, in all seiner Vielfalt", erklärte Barrot im Onlinedienst X. Beide Länder wollten "einen friedlichen und anspruchsvollen Übergang im Dienste der Syrer und für die regionale Stabilität unterstützen".
Baerbock und Barrot besuchen berüchtigtes Saidnaja-Gefängnis
Zum Auftakt ihres Besuchs in Syrien besuchten Baerbock und Barrot das Saidnaja-Gefängnis in der Nähe von Damaskus. Bei ihrem Besuch in der unter dem gestürzten Staatschef Assad berüchtigten Haftanstalt wurden die beiden von Vertretern der syrischen Zivilschutzorganisation Weißhelme begleitet. Gemeinsam besichtigten Baerbock und Barrot die unterirdischen Zellen und Kerker, in denen viele Insassen unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten und zu Tode gefoltert wurden.
"Wenn ich heute hier sehe, was die Menschen in dieser Hölle, in diesem Höllengefängnis, durchgemacht haben, dann wird deutlich, wie wichtig Ihre Arbeit war", sagte Baerbock an die Weißhelme gewandt. Deutschland unterstützt die Weißhelme seit 2016. Nun sei es an der internationalen Gemeinschaft zu helfen - "den Menschen, die hier in diesem Höllengefängnis gelitten haben, Gerechtigkeit zu verschaffen", sagte Baerbock weiter.
Laut der Vereinigung der Gefangenen und Vermissten des Saidnaja-Gefängnisses (ADMSP) wurden seit Beginn des syrischen Bürgerkrieges im Jahr 2011 etwa 30.000 Menschen im Saidnaja-Gefängnis inhaftiert. Am Tag des Sturzes von Assad seien mehr als 4.000 Menschen entlassen worden. Viele Häftlinge sind tot oder bleiben vermisst.
Mit Informationen von dpa und AFP
Im Video: Syrer - Bereicherung für deutsche Wirtschaft
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