Der Plenarsaal des sächsischen Landtags.
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Wie viele Abgeordnete jeder Partei zukünftig im Plenarsaal des sächsischen Landtags Platz nehmen, entschied sich bei der Wahl am 1. September.

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Das Wahlergebnis in Sachsen wurde nicht manipuliert

Das Wahlergebnis in Sachsen wurde nicht manipuliert

Bei der Landtagswahl in Sachsen führte ein Softwarefehler zu einer falschen Sitzverteilung. User im Netz spekulieren, die bayerische AfD spricht von "nachgebesserten" Ergebnissen. Experten halten das aber für ausgeschlossen. Ein #Faktenfuchs.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Darum geht’s:

  • Nach der sächsischen Landtagswahl vom 1. September 2024 verkündete der Wahlleiter ein vorläufiges Ergebnis mit einer fehlerhaften Sitzverteilung: Ein Softwarefehler sei schuld. Genauere Details nannte er aus "Gründen der Informationssicherheit" nicht.
  • User im Netz spekulieren über eine Manipulation des Wahlergebnisses. Experten halten einen Softwarefehler für plausibel und können sich verschiedene Ursachen vorstellen.
  • Die Mandate im Landtag werden nach einem transparenten mathematischen Verfahren zugeteilt. Eine gezielte Manipulation schließen Experten daher aus.

Für kurze Zeit sah es so aus, als hätte die AfD in Sachsen mehr als ein Drittel der Sitze im Landtag geholt. Kurz vor 1 Uhr am Montag, 2. September, veröffentlichte der sächsische Landeswahlleiter ein vorläufiges Ergebnis der Landtagswahl. Danach hätte die AfD 41 der 120 Mandate im neuen sächsischen Landesparlament bekommen. Sie hätte damit eine sogenannte Sperrminorität innegehabt, mit der sie zum Beispiel die Ernennung von Verfassungsrichtern hätte blockieren können. Dafür ist eine Zweidrittel-Mehrheit notwendig. Ein Drittel der Sitze plus ein Mandat (also exakt 41) hätte also für eine Sperrminorität ausgereicht.

Schnell gab es Zweifel an diesem vorläufigen Ergebnis. Der Blog "wahlrecht.de" kam nach eigenen Berechnungen zu einer anderen Sitzverteilung. Am nächsten Morgen musste der Landeswahlleiter die Sitzverteilung korrigieren – die Stimmenverteilung blieb gleich. Nach der korrigierten Zuteilung bekam die AfD nicht mehr 41 Sitze, sondern 40 - und damit doch keine Sperrminorität. Auch die CDU bekam nun einen Sitz weniger, dafür Grüne und SPD je einen mehr.

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Bei der Landtagswahl in Sachsen kam die AfD auf ein Drittel der Sitze. Mit einem Sitz mehr hätte sie eine Sperrminorität erreicht.

Der Landeswahlleiter teilte als Grund für das ursprünglich falsche Ergebnis in einer Pressemitteilung am Montag mit: Es habe einen Softwarefehler gegeben. Im Netz verbreitete sich die Spekulation, es handle sich um Wahlmanipulation. Der bayerische Landesverband der Kleinpartei "dieBasis" nannte den Fehler einen "Kunstgriff" und schrieb auf Facebook: "Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. So ein kleiner "Softwarefehler" kann schon mal passieren in einer Bananenrepublik." Die bayerische AfD schrieb auf Instagram, das Wahlergebnis sei "nachgebessert" worden, um "bestimmten Parteien die Regierung zu sichern".

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Die Landtagsfraktion der AfD und die Kleinpartei "die Basis" beteiligten sich an Spekulationen im Netz. Doch die sind falsch.

Der Reihe nach: An der Stimmenverteilung änderte sich nichts. Anhand dieser bestimmt der Wahlleiter die Mandatsverteilung. Dabei wendet er ein transparentes mathematisches Verfahren an, das üblicherweise von einer Software durchgeführt wird. Es kann aber auch händisch berechnet werden. Eine Wahlmanipulation bei der Sitzverteilung lässt sich daher ausschließen. Der #Faktenfuchs erklärt das Verfahren und ordnet die Hintergründe ein.

Was war die Erklärung des Wahlleiters?

Am Montagmorgen schrieb der Landeswahlleiter in einer Pressemitteilung: "Aufgrund eines Softwarefehlers wurde heute Nacht eine falsche Sitzzuteilung nach dem vorläufigen Ergebnis veröffentlicht."

Zwei Tage später gab der Landeswahlleiter in einer weiteren Pressemitteilung bekannt, dass der Fehler behoben wurde. Davor sei das Ergebnis bereits händisch nachgerechnet worden, teilte die Pressesprecherin auf #Faktenfuchs-Nachfrage mit. Sie erklärte zudem, dass der Softwarefehler darin bestand, "dass ab der Zuteilung des 117. Sitzes die Sitze nicht mehr dem mathematisch höchsten Teiler zugewiesen wurden." Eine nähere Erklärung dazu, wie die Sitzzuteilung berechnet wird, finden Sie weiter unten im Text.

Auf weitere Nachfragen, wie dieser Softwarefehler genau zustande kam, und welche Software verwendet wurde, antwortete die Pressesprecherin lediglich: "Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir aus Gründen der Informationssicherheit keine Einzelheiten zur eingesetzten Software, ihren Funktionen und zu Verfahrensbeteiligten veröffentlichen können".

Warum kann Manipulation trotzdem ausgeschlossen werden?

Trotz dieser Intransparenz ist es ausgeschlossen, dass die neue Sitzzuteilung eine Folge gezielter Manipulation ist. "Ich würde keinen Punkt sehen, an dem man da manipulieren kann", sagt Matthias Cantow, Betreiber des Blogs wahlrecht.de. Denn jeder könne mit den Stimmzahlen und dem gesetzlich festgelegten Verfahren ausrechnen, welche Partei wie viele Mandate erhält. Dieses Verfahren ergibt für die AfD die Anzahl von 40 Sitzen im Landtag.

Damit ist es auch sehr unwahrscheinlich, dass dieser Fehler unentdeckt geblieben wäre. "Wir waren auch nicht die einzigen, die das berechnet haben", so Cantow. Zusätzlich haben auch die Parteien die Möglichkeit, das Wahlergebnis zu überprüfen. Denn sie sind Teil des Wahlausschusses, der die Verteilung der Mandate in einer öffentlichen Sitzung offiziell feststellt. Diese Sitzung findet dieses Jahr am 13. September um 9 Uhr im Statistischen Landesamt Sachsen in Kamenz statt.

Stimmenverteilung korrekt, Mandatsverteilung fehlerhaft berechnet

Klar ist, dass der Fehler zwischen kurz nach Mitternacht und 00:51 auftrat, als das vorläufige Ergebnis verkündet wurde. Laut Medienberichten waren um 00:06 alle Stimmen von den Kommunen gezählt und beim Landeswahlleiter eingegangen. Zu diesem Zeitpunkt kommt die Wahlsoftware bei der Sitzverteilung zum Einsatz – oder mehrere, so Cantow.

Die Wahlsoftware vom Landeswahlleiter führt mindestens zwei Rechnungen durch: 1) Wie viele Stimmen jeder Kandidat und jede Partei für sich gewinnen konnte, und 2) wie viele Sitze die Partei demnach im Landtag erhält.

Bei der ersten Rechnung lief in Sachsen alles glatt. Wie auch der Landeswahlleiter in einer Pressemitteilung drei Tage nach der Wahl noch einmal betonte, waren die aus den Wahlkreisen übermittelten Stimmen korrekt zusammengerechnet worden. (Die Manipulation von mehr als 100 Wahlzetteln zugunsten der Partei "Freie Sachsen", die in verschiedenen Wahlkreisen auffiel, hat keine Auswirkungen auf die Sitzverteilung.) Bei der zweiten Rechnung, der Umrechnung der Stimmen in Sitze, trat jedoch ein Fehler auf. Wie konnte das passieren?

Hintergrund: Wie funktioniert das Rechenverfahren?

Zur Umrechnung der Stimmen in Mandate wird das Höchstzahlverfahren nach Sainte-Laguë, benannt nach dem französischen Mathematiker Jean-André Sainte-Laguë, angewendet. In die Berechnung der Sitze im Landtag fließen die Listenstimmen aller Parteien ein, die mindestens fünf Prozent der Listenstimmen erhalten haben. Dazu kommen die Stimmen der Parteien, die in mindestens zwei Wahlkreisen ein Direktmandat gewonnen haben – und damit über die sogenannte Grundmandatsklausel in den Landtag einziehen. Der Landtag in Sachsen hat insgesamt 120 Sitze.

Einer dieser Sitze geht an die Freien Wähler, weil sie den Wahlkreis Leipzig Land 3 gewonnen haben. Der Kandidat Matthias Berger zieht also sicher in den Landtag ein. Da die Freien Wähler aber nur einen Wahlkreis gewonnen und weniger als fünf Prozent der Zweitstimmen erhalten haben, werden sie bei der Vergabe der restlichen Sitze nach dem Saint-Laguë-Verfahren nicht berücksichtigt. Es bleiben also noch 119 Sitze, die auf die anderen Parteien verteilt werden: CDU, AfD, SPD, Grüne und BSW (die alle mehr als fünf Prozent der Zweitstimmen erhalten haben) sowie die Linke (die zwei Wahlkreise gewonnen hat).

Was ist mit "Softwarefehler" gemeint?

Grundsätzlich halten es die Experten, mit denen der #Faktenfuchs gesprochen hat, für plausibel, dass die ursprünglich fehlerhafte Sitzverteilung auf einen Softwarefehler zurückgeht. Thorsten Schröder ist IT-Sicherheitsexperte und als Netzaktivist im Chaos Computer Club aktiv. Er schreibt dem #Faktenfuchs per Mail: "Ungewöhnlich sind Fehler in Software keineswegs".

Ohne die Auskunft des Landeswahlleiters zur genauen Ursache des Fehlers oder zur Software könne der Softwarefehler jedoch technisch nicht vollkommen nachvollzogen werden, so Schröder. "Es ist aktuell reine Spekulation, um was für einen Fehler es sich genau handeln könnte: Rundungsfehler, falscher Algorithmus, Rechenfehler, Konfigurationsfehler bei der Benutzung – alles könnte möglich sein", schrieb Schröder.

Ein Softwarefehler kann mehrere Ursachen haben.

Experten halten drei Szenarien für möglich, die so einen Fehler verursacht haben könnten. Ohne nähere Informationen vom Landeswahlleiter zur Ursache des Fehlers sind diese Szenarien aber stets Spekulation.

1. Fehler im Code: Ein Versäumnis des Programmierers

Ursache für die fehlerhafte Berechnung der Sitze könnte ein Fehler im Code des Programms sein, erklärt Thorsten Schröder. Also menschliches Versagen, denn der Computer mache in der Regel genau das, was ein Programmierer ihm angewiesen hat, so Schröder. "Wenn ein Programmierer sich allerdings unklar ausdrückt, einen Tippfehler macht oder schlicht falsch gedacht hat, dann macht der Computer trotzdem das, was der Programmierer fälschlicherweise aufgeschrieben hat."

2. Altes Rechenverfahren: Landeswahlleiter verneint, Experten halten es weiterhin für plausibel

Auch gibt es Spekulationen darüber, ob noch ein altes Verfahren zur Vergabe der Sitze im Programm implementiert war beziehungsweise bei der Berechnung verwendet wurde. Der Landeswahlleiter hat das dem #Faktenfuchs gegenüber verneint. Das hatten User im Netz und Wahlexperten vermutet. Denn die vom Landeswahlleiter veröffentlichte Sitzverteilung entsprach einem Umrechnungsverfahren, das in Sachsen bis 2022 galt, dem D’Hondt-Verfahren.

Es wäre also reiner Zufall, dass der Softwarefehler zum gleichen Ergebnis führte, wie es auch eine Berechnung nach dem alten Verfahren tun würde.

3. Sonderfälle bei Sachsen-Wahl, die nicht Teil des Testlaufs waren

Dass die Software bei den sächsischen Kommunalwahlen drei Monate vor der Landtagswahl ohne Fehler funktionierte, könnte laut Cantow an zwei Sonderfällen bei der Landtagswahl liegen — die es bei der Kommunalwahl nicht gab. Und auch vorher in der Geschichte Sachsens nicht, so Cantow. Diese Sonderfälle wurden eventuell im Code des Programms nicht umfassend berücksichtigt. "Möglicherweise trat der Softwarefehler im Zusammenwirken dieser zwei Ausnahmekonstellationen auf", so Cantow.

Kritik wegen fehlender Transparenz — Ruf nach Open Source-Wahlsoftware

Thorsten Schröder und andere Netzaktivisten vom Chaos Computer Club fordern nun nicht zum ersten Mal mehr Transparenz von Wahlsoftware. Der Landeswahlleiter soll, wenn es nach ihnen geht, nicht nur den Hersteller der Software öffentlich machen. Sondern auch den Quellcode. Der Landeswahlleiter lehnt das ab – aus Sicherheitsgründen.

Thorsten Schröder schreibt auf #Faktenfuchs-Anfrage, er könne es nicht nachvollziehen, dass Landeswahlleiter und Hersteller so ein Geheimnis aus der Ursache machen. "Diese Form der Fehlerkultur ist meines Erachtens nicht angebracht und auch nicht zielführend, stattdessen begünstigt es die Entstehung von Verschwörungstheorien", so Schröder.

Die Forderung der Netzaktivisten sei daher nachvollziehbar, sagt auch Matthias Cantow von wahlrecht.de. In der Praxis gebe es jedoch Hürden. "Es ist auch eine Frage der Umsetzung. Unternehmen, die ihre Software verkaufen, haben natürlich keinen Anreiz, die in Open Source umzuwandeln", so Cantow.

Fazit

Laut Experten ist ein Softwarefehler bei der Berechnung der Sitzplatzvergabe nach der sächsischen Landtagswahl plausibel und Wahlbetrug an dieser Stelle ausgeschlossen. Denn an den eigentlichen Stimmzahlen änderte sich nichts und die Umrechnung der Stimmen in Sitzplätze findet nach einem gängigen und transparenten mathematischen Verfahren statt.

Hinter dem Softwarefehler könnte laut Experten ein Fehler beim Programmieren stehen oder ein anderer Fehler im Code: etwa ein altes Rechenverfahren zur Sitzverteilung oder Sonderfälle, die bei der diesjährigen Wahl auftraten. Auch wenn Experten keinen Ansatzpunkt für Manipulation sehen, kritisieren sie die fehlende Transparenz seitens des Wahlleiters.

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