Es kommt fast nie vor, dass Olaf Scholz (SPD) die Gesichtszüge entgleiten. Wenn sich der Kanzler bei öffentlichen Auftritten so etwas wie Emotionen erlaubt, dann setzt er meist das viel zitierte "schlumpfige" Grinsen auf. Doch das verkneift sich Scholz nun angesichts einer Haushaltskrise, deren historisches Ausmaß niemand in Berlin ernsthaft bestreitet.
B24live ordnet ab 9.45 Uhr die Geschehnisse zur Haushaltskrise ein und überträgt die Regierungserklärung von Kanzler Olaf Scholz im Bundestag.
Und so holt die Krise Scholz auch vergangene Woche beim Besuch von Giorgia Meloni im Kanzleramt ein. Als die italienische Regierungschefin gefragt wird, ob Deutschland angesichts der finanzpolitischen Turbulenzen noch ein verlässlicher Partner sei, verdreht der Kanzler vor laufender Kamera die Augen.
Die Frage muss ihn schmerzen. Denn auch in seiner Zeit als Finanzminister der großen Koalition verstand sich die Bundesregierung als Bollwerk gegen eine ausufernde Schuldenpolitik, die man von Berlin aus bisher anderswo verortet hat – zum Beispiel in Italien. Jetzt aber muss sich Scholz im Beisein Melonis Fragen nach der Solidität deutscher Politik anhören – und nach einem genauen Zeitplan fürs Berliner Krisenmanagement. Von Grinsen also keine Spur im Gesicht des Kanzlers. "Der Respekt vor dem Parlament bedeutet", antwortet er schmallippig, "dass nicht die Regierung ansagt, wann das Parlament genau einen Abschluss findet".
Haushaltskrise: Scholz hielt anfangs am alten Zeitplan fest
In einer ersten Reaktion auf das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts vor knapp zwei Wochen klang das ganz anders. Da versprach Scholz noch: "Der Deutsche Bundestag wird seine Beratung über den Haushalt 2024 wie geplant fortsetzen." An der Terminierung für die Schlussberatungen im zuständigen Parlamentsausschuss und für die Abstimmung im Bundestag wollte die Ampel also zunächst festhalten. Ursprünglich war der Beschluss im Plenum für diesen Freitag geplant. Aber daraus wird nichts. Zu groß sind die Unsicherheiten infolge der Karlsruher Entscheidung.
Da ist zunächst einmal der Bundeshalt für das laufende Jahr. Formal ist er nicht Gegenstand des Richterspruchs. Doch in der Sache gibt es einen Zusammenhang. Denn das Gericht hat eine Finanzierungsmethode beanstandet, die auf einen Vorrat an Kreditoptionen für künftige Haushaltsjahre hinausläuft – unter Umgehung der Schuldenbremse nach dem Grundgesetz.
Auf diese Weise sollte ein Nebenhaushalt angezapft werden, um beispielsweise die Strom- und Gaspreisbremsen zu finanzieren. Allein hier stehen rund 43 Milliarden Euro im Feuer. Ausgaben, die die Ampel jetzt mit einem Nachtragshaushalt verfassungsfest machen will.
Schuldenbremse schon bisher nur auf dem Papier eingehalten
Dafür will die Koalition die Schuldenbremse für dieses Jahr doch noch aussetzen. Eine Niederlage nicht nur für den liberalen Koalitionspartner des Kanzlers. Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner hat sein gesamtes politisches Gewicht eingesetzt, damit der Bund die Kreditobergrenze in diesem Jahr wenigstens auf dem Papier einhält. Doch das Verfassungsgericht hat diesen Traum platzen lassen. Und damit auch Scholz wachgerüttelt.
Die Vorstellung, der Staat könne Geld für Krisenbewältigung und Klimaschutz mit vollen Händen und über viele Jahre hinweg ausgeben, ohne formal gegen die verfassungsrechtlichen Regeln für die Kreditaufnahme zu verstoßen: Sie war so verlockend, dass der Kanzler und seine Koalition die damit einhergehende Gefahr offensichtlich unterschätzt haben.
Ist das Macher-Image von Scholz nun dahin?
Wer sich im Sommer in Berlin umgehört hat, konnte feststellen: Ein gewisses Restrisiko scheint man im Regierungslager gesehen zu haben. Aber es wurde eben nicht so hoch gewichtet, dass daraus irgendeine Dringlichkeit abgeleitet worden wäre. Nun ließe sich argumentieren, nicht einmal die Unionsfraktion als Klägerin habe mit einem so weitreichenden Urteil gerechnet. Das mag sein.
Doch der Kanzler selbst hat seit dem Beginn seiner Amtszeit den Eindruck erweckt, er habe einen präzisen Plan dafür, wie der klimaneutrale Umbau der Wirtschaft gelingen kann. Scholz mag kein Charismatiker sein, aber sein Image als Macher mit langjähriger Regierungserfahrung hat er bisher sorgsam gepflegt.
Doch das hastige Krisenmanagement der vergangenen Tage zeigt: Das Karlsruher Urteil hat die Ampel kalt erwischt – und offenbar auch den Kanzler. Die Folgen fürs Land sind immer noch nicht absehbar. In Windeseile muss die Koalition jetzt einen Nachtragshaushalt für dieses Jahr durchs Parlament bringen und gleich darauf den Etat für 2024. Ganze 60 Milliarden Euro wollte die Ampel in den nächsten Jahren in den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft stecken – schuldenfinanziert. In der Hoffnung, so eine neuerliche "industrielle Revolution" zu entfesseln, wie es Scholz immer wieder formuliert hat. Stattdessen klafft bis auf Weiteres ein Finanzierungsloch in gleicher Höhe.
Scholz gibt Regierungserklärung zur Haushaltskrise ab
Je deutlicher das Ausmaß der Haushaltskrise wird, desto drängender stellt sich die Frage nach den konkreten Folgen für Menschen und Firmen in Deutschland. Die Opposition verlangte bereits in der zurückliegenden Woche eine TV-Ansprache an die Bevölkerung, mindestens aber eine Regierungserklärung des Kanzlers.
Am vergangenen Freitag wendet sich Scholz tatsächlich an die Bürgerinnen und Bürger – in Form einer knapp dreiminütigen Videobotschaft. Viel Konkretes ist nicht zu hören: Scholz verspricht, dass der Staat bei Notlagen auch in Zukunft helfen könne und dass die Ampel die nötigen Entscheidungen nicht auf die lange Bank schieben werde.
An diesem Dienstag will Scholz nun ausführlich erläutern, wie es zur Haushaltskrise kommen konnte und wie das Land da herauskommt. Für die Regierungserklärung im Bundestag sind 25 Minuten angesetzt. Ein Zeitrahmen, den der Kanzler wohl ausschöpfen wird.
Video: Schuldenbremse aussetzen oder nicht?
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