CDU und CSU haben im Wahlkampf eine "Migrationswende" versprochen. Es solle zu einem "faktischen Aufnahmestopp" kommen. Im Sondierungspapier von Union und SPD ist davon nichts mehr zu lesen. Beide setzen darauf, die irreguläre Migration vor allem durch Zurückweisungen an den Grenzen zurückzudrängen.
Schon jetzt weist die Bundespolizei bei ihren stichprobenartigen Kontrollen Menschen ab. Seit Beginn der bundesweiten Grenzkontrollen im vergangenen September waren es nach Zahlen aus dem Bundesinnenministerium etwa 50.000 Menschen. Dabei handelt es sich zum Beispiel um Menschen, die eine Einreisesperre haben, weil Behörden ihren Asylantrag schon einmal abgelehnt hatten. Wer kommt und an der Grenze deutlich macht, dass er Asyl beantragen will, darf bisher in der Regel einreisen.
Asylpolitik: Was Union und SPD ändern wollen
Das wollen Union und SPD jetzt ändern. Auch Asylbewerber sollen zurückgewiesen werden können. Diese Forderung von CDU und CSU hat es mit zwei Einschränkungen in das Sondierungspapier geschafft: Die Zurückweisungen sollen "in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn" erfolgen.
Die lehnen die deutschen Pläne aber ab. Aus dem österreichischen Innenministerium heißt es zum Beispiel, man werde solche Personen nicht annehmen. Wie genau diese "Abstimmung" aussehen soll, ist offen. Denkbar wäre, dass Deutschland mit seinen Nachbarn vereinbart, wie viele Menschen zurückgewiesen werden oder an welchen Grenzabschnitten.
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) gibt sich zuversichtlich, dass die Abstimmung mit den Nachbarn funktioniert: "Wir sind gut beraten, dass wir miteinander reden. Und dann kriegen wir auch gemeinsam vernünftige Absprachen hin", so Herrmann.
Zweite Einschränkung im Sondierungspapier: "Wir wollen alle rechtsstaatlichen Maßnahmen ergreifen, um die irreguläre Migration zu reduzieren." Damit stellen die Sondierer klar, dass die Zurückweisungen im Rahmen des europäischen Rechts passieren müssen. Und dieser Rahmen ist schmal. Das ist schon in den politischen Diskussionen nach den Anschlägen in Solingen im vergangenen Sommer und im Januar nach der tödlichen Attacke in Aschaffenburg klar geworden.
Wie Zurückweisungen umsetzbar wären
Unter Juristen ist es umstritten, ob Zurückweisungen rechtlich möglich sind. Der Konstanzer Professor Daniel Thym weist in verschiedenen Interviews darauf hin, dass Deutschland eine EU-Notstandsklausel nutzen könnte. Die neue Bundesregierung könnte argumentieren, dass Deutschland durch die Zuwanderung der vergangenen Jahre mit der Integration überfordert ist.
Ob der Gerichtshof der EU dieser Argumentation folgen würde, ist offen. Thym empfiehlt, die Zurückweisungen zeitlich zu befristen. Außerdem sollte die Bundespolizei nicht pauschal alle Asylbewerber abweisen. Ausnahmen etwa für Familien und Minderjährige können laut dem Juristen die Chancen erhöhen, dass Gerichte bei den Zurückweisungen mitspielen.
Bundespolizei braucht mehr Personal
Noch ist offen, wie genau Union und SPD die Zurückweisungen organisieren wollen. Das Sondierungspapier ist nur eine politische Absichtserklärung. Klar ist aber schon jetzt: Ohne zusätzliche Grenzkontrollen wird es nicht gehen. Und dafür braucht es Personal. Die Gewerkschaft der Polizei geht davon aus, dass zusätzlich bis zu 10.000 Beamtinnen und Beamte nötig sind. Andreas Roßkopf ist bei der Gewerkschaft für die Bundespolizei zuständig. Wie er BR24 sagt, ist er mit dem Sondierungspapier zufrieden: "Das kann die Bundespolizei umsetzen."
Geht es nur um ein politisches Signal?
Jenseits der rechtlichen und praktischen Fragen, scheint dem wahrscheinlichen nächsten Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) das politische Signal der Zurückweisungen wichtig zu sein. Nach innen und nach außen. Nach innen an Wählerinnen und Wähler, denen Änderungen in der Migrationspolitik wichtig sind. Und nach außen an EU-Nachbarn und Migranten: ein Signal der Härte.
Die aktuelle Entwicklung könnte Union und SPD helfen. In den vergangenen Monaten sind deutlich weniger Asylbewerber nach Deutschland gekommen als vor einem Jahr. Im Januar und Februar registrierte das Nürnberger Bundesamt für Migration und Flüchtlinge knapp 26.700 Erstanträge. Das sind 43 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Sollte diese Entwicklung anhalten, könnten Union und SPD das als Erfolg ihrer Politik verkaufen. Auch ohne große Änderungen an der Grenze.
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