Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts , (l-r) Yvonne Ott, Gabriele Britz, Stephan Harbarth, Vorsitzender des Senats und Präsident des Gerichts, Susanne Baer, Josef Christ und Ines Härtel, eröffnet die Verhandlung zu weitgehender Datenanalyse bei der Polizei (durch eine Scheibe fotografiert). Es geht dabei um neue Ermittlungsmethoden der Polizei per automatisierter Datenauswertung. (Archiv: 20.12.2022)
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Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts bei der Verhandlung zu weitgehender Datenanalyse bei der Polizei. (Aufnahmedatum 20.12.2022)

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Urteil zu Analyse-Software der Polizei: Folgen für Bayern?

Urteil zu Analyse-Software der Polizei: Folgen für Bayern?

Die Regelungen zum Einsatz einer neuartigen Datenanalyse-Software bei der Polizei in Hessen und Hamburg sind in ihrer derzeitigen Form verfassungswidrig. Das hat auch indirekte Auswirkungen auf Bayern, das an der Software festhalten will.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Immer mehr Bundesländer setzen bei der Verbrecherjagd auf eine Art Polizei-Suchmaschine, die riesige Datenbestände in Sekundenschnelle durchforstet. Die Polizeigesetze in Hessen und Hamburg, in denen entsprechende Regelungen bereits enthalten sind, verstoßen in ihrer jetzigen Form allerdings gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das Persönlichkeitsrecht, urteilte der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts am Donnerstag. Er begründete sein Urteil damit, dass in den Vorschriften eine Eingriffsschwelle fehle. Die beiden Bundesländer wollen durch die Datenanalyse schwere Straftaten bereits im Vorhinein verhindern und Gefahren abwehren. Nun müssen die Vorschriften nachgebessert werden.

Datenanalyse-Software: Hessen muss bis September nachbessern

In Hessen arbeitet die Polizei bereits seit 2017 mit der Software. Dort bekommt der Gesetzgeber bis Ende September Zeit, die Vorschriften neu zu regeln. Bis dahin bleibt die bisherige Regelung in Kraft, allerdings mit deutlichen Einschränkungen. Die Regelungen dienten dem legitimen Zweck, schwere Straftaten gerade unter Zeitdruck zu verhindern, hieß es bei der Urteilsverkündung in Karlsruhe.

Die Gesetze seien aber nicht verhältnismäßig. Deshalb forderten die Richterinnen und Richter eine Abstufung: Bestehe Gefahr für Leib, Leben oder die Freiheit von Personen, könnten bei einer "hinreichend konkretisierten Gefahr" auch schwerwiegende Eingriffe in die informationelle Selbstbestimmung zulässig sein. Bei Straftaten von "erheblichem Gewicht" könnten bei konkreter Gefahr durch die Analyse von Datenbeständen aber nur weniger gewichtige Eingriffe in Persönlichkeitsrechte gerechtfertigt sein. Zum Schutz "überragend wichtiger Rechtsgüter", dazu zählten etwa Angriffe auf den Fortbestand der Bundesrepublik, könne wiederum die Eingriffsschwelle geringer sein und hinter einer konkretisierten Gefahr zurückbleiben.

In Hamburg wird die Analyse-Software noch nicht in der Praxis genutzt, die entsprechenden Vorschriften wurden demnach für nichtig erklärt.

Bayern will Vorreiterrolle übernehmen

Indirekt hat das Urteil auch Auswirkungen auf andere Bundesländer. Nordrhein-Westfalen etwa hat bereits ein entsprechendes Polizeigesetz verabschiedet, andere Bundesländer planen ebenfalls die Zusammenführung und automatisierte Analyse von Datenbeständen. Bayern will eine Vorreiterrolle für andere Länder und den Bund einnehmen und hat mit Palantir einen Rahmenvertrag geschlossen. Damit können alle anderen Polizeien das Programm ohne zusätzliche Vergabeverfahren übernehmen. Der Freistaat jedenfalls hält an den Planungen fest, die Software künftig einzusetzen. Schließlich habe das Gericht deutlich gemacht, dass , dass der Einsatz der Datenauswertung unter "einschränkenden Voraussetzungen" grundsätzlich möglich sei, sagte Innenminister Joachim Herrmann.

Bayern werde weiter an einer Rechtsgrundlage im Polizeiaufgabengesetz (PAG) für das neue 'Verfahrensübergreifende Recherche- und Analysesystem' (VeRA) der Bayerischen Polizei arbeiten, und diese auf den parlamentarischen Weg bringen. Dabei seien "höchstmögliche Datensicherheit und bestmöglicher Datenschutz" die Grundvoraussetzungen für einen Einsatz der Software bei der Bayerischen Polizei", sicherte der Innenminister zu. Die Bayerische Polizei stimme sich dazu auch eng mit dem Landesbeauftragten für den Datenschutz ab.

Ab wann VeRA eingesetzt werden soll, steht noch nicht fest. Laut Herrmann ist aber schon jetzt klar, dass die neue Analysesoftware "nur innerhalb des Polizeinetzes und ohne Verbindung zum Internet" eingesetzt werden soll. "Ein Zugriff auf die Daten von außen oder ein Datenabfluss auf externe Server ist damit ausgeschlossen", so der Minister. Herrmann zufolge sollen auch nur "ausgewählte und speziell geschulte Polizeiexperten" eine Zugriffsberechtigung bekommen.

SPD in Bayern: "Großer Sieg für die Grundrechte"

Auf eine klare rechtliche Grundlage pochen auch die Landtagsgrünen. Deren digitalpolitischer Sprecher, Benjamin Adjei, verweist im BR24 Interview darauf, dass VeRa vor etwa einem Jahr beinahe ohne rechtlichen Rahmen in Bayern eingeführt worden wäre. Nicht zuletzt die Grünen hätten dagegen mobil gemacht. "Das Bundesverfassungsgericht hat uns darin jetzt bestätigt", so Adjei.

Die Landtags-SPD fordert, dass die Software überhaupt nicht eingesetzt wird. Deren Rechtspolitiker Horst Arnold erklärt in einer Pressemitteilung, diese greife zu stark in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger ein. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sei, so Arnold, "ein großer Sieg für die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger und schiebt den Überwachungsphantasien der Staatsregierung ganz klar einen Riegel vor".

Das Programm VeRA der US-Softwareschmiede Palantir durchforstet Datenbanken, um Querverbindungen zu entdecken, die den Ermittlern sonst vielleicht nie auffallen würden. Das Programm wertet unter anderem Verkehrsdaten als auch Strafdateien oder Handy-Daten aus Funkzellen aus. Dadurch können unter anderem Beziehungen zwischen Personen und Organisationen hergestellt werden.

Kritik von Datenschützern

In Hessen werden aktuell Daten aus Polizeibeständen ausgewertet. In einer der Datenbanken sind allerdings auch Opfer und Zeugen erfasst – oder jemand, der einmal einen Kratzer am Auto zur Anzeige gebracht hat. Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die die Überprüfung in Karlsruhe angestoßen hatte, hält das für hochproblematisch. Das Programm mache auch vor unbescholtenen Menschen nicht Halt.

Außerdem sei die Verlockung groß, mit der Zeit auch externe Daten einzuspeisen, etwa aus sozialen Netzwerken. Das Urteil betrifft ausschließlich die Datenanalyse zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten. Als Kläger waren Journalisten, Anwältinnen und Aktivisten aufgetreten. Die GFF hatte im Herbst noch eine dritte Verfassungsbeschwerde wegen der NRW-Software eingereicht. Diese war in dem Verfahren aber nicht mehr berücksichtigt worden.

2.000 Ermittler haben Zugriff auf "Hessendata"

Eingesetzt wird Hessendata – so wird das Programm in Hessen genannt – insbesondere zur Bekämpfung von Terrorismus, organisierter Kriminalität und Kinderpornografie. Bei rund 14.000 Abfragen jährlich arbeiten landesweit mehr als 2.000 Polizistinnen und Polizisten mit dem System. Sie sind jeweils nur für ihren Zuständigkeitsbereich freigeschaltet.

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