Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, eine stagnierende Wirtschaft und zahlreiche Naturkatastrophen: Das Jahr 2023 war für viele kein einfaches. Bundeskanzler Olaf Scholz hat in seiner diesjährigen Neujahrsansprache Verständnis für diejenigen gezeigt, die sich um die Zukunft sorgen. Gleichzeitig rief der SPD-Politiker aber auch zu Optimismus auf. Deutschland sei den Herausforderungen dieser Zeit gewachsen, so Scholz.
"Jeder in diesem Land wird gebraucht"
"Wenn alle zusammenarbeiten, kommen wir auch mit Gegenwind zurecht", sagte der Bundeskanzler in seiner Rede an die Nation, deren Text am Samstag vorab verbreitet wurde. "Das macht die Herausforderungen unserer Zeit nicht kleiner." Doch die Einsicht, dass jede und jeder in diesem Land gebraucht werde – die Spitzenforscherin genauso wie der Altenpfleger, die Polizistin genauso wie der Paketbote, die Rentnerin genauso wie der junge Auszubildende – mache stark. "Wenn wir uns das klarmachen, wenn wir uns gegenseitig mit diesem Respekt begegnen, dann brauchen wir keine Angst zu haben vor der Zukunft!"
Scholz mahnt Bereitschaft zur Veränderung und zum Kompromiss an
Scholz räumte ein, dass die Bürgerinnen und Bürger im zu Ende gehenden Jahr mit vielen Sorgen zu kämpfen hatten. "Kaum war Corona halbwegs vorbei, brach Russland mitten in Europa einen unerbittlichen Krieg vom Zaun", sagte er. Kurz darauf habe der russische Präsident Wladimir Putin den Gashahn abgedreht, und im Herbst habe es noch den brutalen Terrorangriff der Hamas auf Israel gegeben. "Unsere Welt ist unruhiger und rauer geworden. Sie verändert sich in geradezu atemberaubender Geschwindigkeit."
Deshalb müsse auch Deutschland sich verändern. Bei einigen führe das zu Unzufriedenheit. "Ich nehme mir das zu Herzen", hob der Kanzler hervor. "Und zugleich weiß ich: Wir in Deutschland kommen da durch."
Viele Befürchtungen nicht bewahrheitet
Er wies darauf hin, dass trotz der Krisen pessimistische Prognosen nicht eingetreten seien. "Weil wir uns gegen den Wirtschaftseinbruch gestemmt haben", sei es anders gekommen. "Die Inflation ist gesunken. Löhne und Renten steigen. Die Gasspeicher sind für diesen Winter randvoll", erklärte Scholz. "Das macht die Herausforderungen unserer Zeit nicht kleiner. Aber das gibt Mut, dass wir ihnen gewachsen sind", sagte er in der traditionellen Fernsehansprache zum Jahreswechsel, die am Sonntag ausgestrahlt wird.
Investitionsstau wird laut Scholz nun endlich angegangen
Scholz kündigte an, kraftvoll in die Zukunft investieren zu wollen. "Denn wer in diesen Tagen mit der Bahn unterwegs ist oder vor einer maroden Brücke im Stau steht, der merkt: Unser Land wurde zu lange auf Verschleiß gefahren. Deshalb investieren wir jetzt: in ordentliche Straßen und eine bessere Bahn." Im kommenden Jahr werde "eine Rekordsumme in unsere Zukunft" gesteckt - in eine saubere Energieversorgung, besseren Klimaschutz und in gute Arbeitsplätze, so der Sozialdemokrat.
Und es gebe Entlastungen, fügte Scholz hinzu. Konkret erinnerte er an Steuersenkungen zum Jahreswechsel im Volumen von 15 Milliarden Euro, höheres Kinder- und Wohngeld sowie sinkende Beiträge zur Sozialversicherung "für all diejenigen, die wenig verdienen". "Eine vierköpfige Familie mit einem normalen Einkommen hat dadurch im nächsten Jahr mehr als 500 Euro zusätzlich zur Verfügung", erläuterte der Regierungschef.
Haushalts-Urteil des Bundesverfassungsgerichts schwingt auch in Neujahrsrede nach
Das alles sei jedoch vor dem Hintergrund des weitreichenden Urteils des Bundesverfassungsgerichts von Mitte November nicht einfacher geworden. "Nicht alle Vorhaben, die wir in den Blick genommen hatten, werden wir umsetzen können."
Mitte November hatte das Bundesverfassungsgericht die Umwidmung von 60 Milliarden Euro im Etat 2021 für nichtig erklärt. Das Geld war als Corona-Kredit bewilligt worden, sollte aber nachträglich für den Klimaschutz und die Modernisierung der Wirtschaft eingesetzt werden. Zugleich entschieden die Richter, der Staat dürfe sich Notlagenkredite nicht für spätere Jahre zurücklegen.
Kleiner Seitenhieb auf Ampel-Partner
Der Kanzler fand in seiner Rede auch kritische Worte für die Politik des auslaufenden Jahres. "Stark macht uns auch unsere Demokratie", betonte der Kanzler. Im Osten Deutschlands sei diese vor 35 Jahren durch mutige Frauen und Männer erkämpft worden, für alle sei sie nun "ein kostbares Gut". Zu dieser Demokratie gehörten immer auch Diskussionen über den richtigen Weg. "Das Ringen um faire Kompromisse ebenfalls – auch wenn ich auf manch laute Debatte in den vergangenen Wochen und Monaten durchaus hätte verzichten können", betonte Scholz, ohne den Streit in der Ampel-Koalition konkret zu benennen.
"Nichts wird besser, wenn wir nur übereinander reden, anstatt miteinander. Stark macht uns unsere Bereitschaft zum Kompromiss", hob Scholz hervor, und auch "unser Einsatz füreinander".
Scholz dankt Einsatzkräften für Engagement beim Hochwasser
Mit Blick auf das aktuelle Hochwasser in Teilen Deutschlands dankte der Kanzler "all den Frauen und Männern von der Feuerwehr und Bundeswehr, vom THW, den Rettungsdiensten und den vielen freiwilligen Helferinnen und Helfern, die mit ganzer Kraft gegen das Hochwasser kämpfen". Er äußerte auch sein Mitgefühl für die Betroffenen, "die wir in diesen schweren Stunden nicht alleine lassen".
Sehnsucht nach einer starken EU
Nachdrücklich bekannte sich Scholz zu einer handlungsfähigen und stabilen Europäischen Union. Als Erfolg wertete er die Einigung auf das neue gemeinsame europäische Asylsystem. "Künftig können wir die Außengrenzen Europas besser kontrollieren." An den Grenzen zu den Nachbarländern Deutschlands habe die Bundespolizei ihre Kontrollen bereits verstärkt. "Das wirkt." Schon in den vergangenen Wochen sei "die Zahl derer, die über diese Grenzen kommen, spürbar gesunken".
Scholz formulierte den Wunsch, "dass Europa geeint und gestärkt aus der Europawahl im kommenden Jahr hervorgeht". Eine starke EU sei umso wichtiger vor dem Hintergrund von "Russlands Krieg im Osten unseres Kontinents", der kriegerischen Auseinandersetzung im Nahen Osten und im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahlen im kommenden Herbst "möglicherweise mit weitreichenden Konsequenzen - auch für uns hier in Europa".
Mit Informationen von dpa, AFP und epd.
Die ganze Neujahrsansprache des Bundeskanzlers sendet das BR Fernsehen am 31. Dezember gegen 20.10 Uhr.
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