Der Aufschrei war groß: Viele junge Menschen haben bei der Europawahl rechten Parteien ihre Stimme gegeben. Für einige Politiker kam das überraschend. Jetzt unterstreicht der aktuelle Kinderreport des Deutschen Kinderhilfswerks eine große Skepsis der Jugend beim Demokratie-Erhalt. Zusammengefasst: Die Kleinsten werden häufig übersehen.
Wer für den Kinderreport was gefragt wurde
Für den repräsentativen Kinderreport 2024 wurden im Auftrag des Deutschen Kinderhilfswerks vom Politikforschungsinstitut Verian zwei Umfragen durchgeführt. Befragt wurden demnach 666 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen zehn und 17 Jahren sowie 1.006 Erwachsene. Der Report erscheint einmal im Jahr. Dieses Mal stand die Demokratiebildung im Fokus.
Gerade im Lichte der Europawahl sei der Kinderreport besonders hoch einzuschätzen, meint Hendrik Wüst (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, bei der Vorstellung in Berlin: "Wenn sich junge Leute nicht mehr einbringen wollen, wer lebt dann in diesem Land Demokratie?"
Kinderhilfswerk: "Systematische Vernachlässigung" von Interessen Jugendlicher
Denn der Bericht zeigt: Während nur rund zwei Drittel der befragten Erwachsenen (67 Prozent) den heutigen Kindern und Jugendlichen zutrauen, als Erwachsene Verantwortung für den Erhalt der Demokratie zu übernehmen, fällt das Ergebnis bei den Jugendlichen mit 54 Prozent noch schlechter aus. Jedes zweite Kind gibt an, dass Gleichaltrigen die Kompetenz fehle, sich an demokratischen Prozessen zu beteiligen oder einzubringen.
Das Ergebnis mache mangelndes Vertrauen in die Politik und gleichzeitig ein geringes Selbstvertrauen der Jugendlichen deutlich – so die Interpretation von Thomas Krüger, Präsident des Deutschen Kinderwerks. Er meint: Jugendliche hätten nichts anderes erlebt als Krisen – Krüger spricht von einer "systematischen Vernachlässigung ihrer Interessen".
Ein zentrales Ergebnis des Kinderreports lautet nämlich: 91 Prozent der befragten Jugendlichen sind der Meinung, dass ihre Interessen stärker in der Politik berücksichtigt werden sollten. Ein Warnsignal für Krüger, "wenn ein Großteil der Kinder und Jugendlichen den fehlenden Einsatz von Politikerinnen und Politiker für ihre Interessen als Hauptgrund für eine sinkende Zufriedenheit mit der Demokratie ausmacht". Wüst - selbst Politiker - findet klare Worte: Jugendliche nehmen es der Politik nicht ab, sich ausreichend mit ihren Bedürfnissen auseinanderzusetzen – das sei ein "Kinnhaken für die Politik".
Schule oder Familie: Wer ist für Demokratieerziehung verantwortlich?
Wer soll aber wo Demokratie vermitteln? Bei dieser Frage driften die Vorstellungen zwischen den befragten Erwachsenen und Kindern auseinander: Während 85 Prozent der Erwachsenen die Hauptverantwortung bei der Familie sehen, betrachten 73 Prozent der Kinder und Jugendlichen die Schulen und Kitas dabei als zentral.
Politik: Kinder "zur Chef-Sache" machen
Das Deutsche Kinderhilfswerk fordert daher mehr Investitionen in die Bildung. Hendrik Wüst kritisiert in diesem Zusammenhang, dass der Bund aus der Kita-Finanzierung aussteige: "Ich würde mir wünschen, dass das Chef-Sache wäre". Kinder gehörten in den Mittelpunkt der Politik. Ob und wie die Finanzierung für Kitas auf Seiten der Bundesregierung weitergeht: offen. Denn die Haushaltsverhandlungen beginnen gerade erst – alle Ministerien, so auch das Familienministerium – sind zum Sparen aufgerufen.
Ob Schule in Sachen Demokratie helfen kann? Zumindest betonen das sowohl Erwachsene als auch Jugendliche im Report: ein verstärkter Austausch über aktuelle politische Ereignisse im Schulunterricht sei wichtig. Das Deutsche Kinderhilfswerk fordert zwar kein zusätzliches Schulfach, plädiert aber für "praktische Erfahrungen von Meinungsbildung" im Unterricht – es gehe um eine gelebte Mitbestimmungskultur. Dafür brauche es Fortbildungen für Lehrer und Erzieher.
Bayerns Weg: Verfassungsviertelstunde in Schule
Bayern verfolgt beim Thema Demokratie einen ganz eigenen Weg: Im Freistaat wird ab nächstem Schuljahr eine verpflichtende "Verfassungsviertelstunde" an allen Schularten eingeführt: einmal in der Woche, während des regulären Unterrichts, in wechselnden Fächern. Das haben sich CSU und Freie Wähler in ihren Koalitionsvertrag geschrieben. Für Kultusministerin Anna Stolz (FW) soll damit das Ziel verfolgt werden, die Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler mit der Verfassung und den demokratischen Werten zu verbinden.
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