Die Sparpolitik von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) ist vielen Sozialdemokraten und allen voran ihrem Generalsekretär Kevin Kühnert schon lange ein Dorn im Auge. Und jetzt, nach der Haushaltseinigung der Ampel-Koalitionsspitzen vom Freitag? "Herr Lindner steht mit diesem goldenen Kalb der Einhaltung der Schuldenbremse da", sagte Kühnert am "Sonntags-Stammtisch" im BR Fernsehen. Dafür habe Lindner allerdings einen Preis bezahlt, nämlich: "dass er zugestimmt hat, ganz viele Umgehungsstraßen um dieses goldene Kalb herumzubauen".
Als konkretes Beispiel nannte der SPD-Generalsekretär die Deutsche Bahn. Diese soll die Möglichkeit haben, stärker Kredite aufzunehmen. Das finde nicht im Rahmen der Schuldenbremse statt – auch wenn die Deutsche Bahn als Unternehmen vollständig dem Bund gehört. "Deswegen steigen die Investitionen", so Kühnert. Dadurch würden im Bundeshaushalt Mittel frei, "die wir für andere wichtige Fragen – Verteidigung, Sicherheit und ähnliches – ausgeben können".
Neue Schulden für wichtige Investitionen?
Ob und wie die Schuldenbremse gelockert werden könnte, darüber streiten die politischen Lager schon lange, auch innerhalb der Ampel-Regierung. Ein sinnvoller Kompromiss könnte Politikwissenschaftlerin Ursula Münch zufolge sein, sie nur für Investitionen zu lockern. Das sei eine Brücke, wo sich auch die Unionsparteien anschließen könnten: "Dass man sagt, also wenn dieses Land etwas braucht, dann sind es wirklich Investitionen, aber eben nicht unbedingt schon wieder sozialpolitische Wohltaten."
Den jetzt von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) ausgehandelten Kompromiss bewertet SPD-Generalsekretär Kühnert vor diesem Hintergrund so: Er reiche, um im kommenden Jahr keine weitere Zeit zu verlieren, was die Infrastruktur in Deutschland angehe. Aber: "Strukturell würde ich auch sagen, sind die entscheidenden Fragen der nächsten Jahre noch nicht beantwortet." Nach einer endgültigen Einigung im Streit über die Schuldenbremse klingt das nicht, auch wenn Koalitionsfriede nicht die primäre Aufgabe eines Generalsekretärs ist.
Kühnert: Haushaltseinigung schaffe Sicherheit
Die Einigung sei gerade jetzt enorm wichtig für die Koalition und für Deutschland, ergänzte Kühnert später in der Sendung – gerade mit Blick auf Frankreich, wo vorgezogene Parlamentswahlen stattfinden. Nach dem starken Ergebnis für den rechtspopulistischen Rassemblement National bei der Europawahl hatte Präsident Emmanuel Macron das Parlament aufgelöst.
Aber auch mit Blick auf Russland, ein immer selbstbewusster und stärker auftretendes China sowie die Unsicherheit in den USA nach dem desaströsen Auftritt von Präsident Joe Biden gegen Donald Trump sagte Kühnert: "Man stelle sich vor, wir hätten jetzt Neuwahlen in Deutschland bekommen, weil man sich nicht auf einen Haushaltsentwurf einigen kann." Das wäre nicht nur ein Armutszeugnis innerhalb des Landes gewesen, sondern auch ein Bärendienst an alle weltweit, die auf den "Stabilitätsanker Deutschlands angewiesen sind".
Wie geht es jetzt weiter?
Doch ob der Haushalt so ausformuliert und beschlossen wird, wie die Koalitionsspitzen ausgehandelt haben, ist noch nicht sicher. Erst müssen die anderen Kabinettsmitglieder den Entwurf beschließen, was voraussichtlich am 17. Juli passieren wird – etliche Ministerinnen und Minister haben bereits ihre Zustimmung signalisiert, auch Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), die bis zuletzt noch Einsparungen in ihrem Ressort kritisiert hatte.
Dann ist der Bundestag dran. In Deutschland hat das Parlament das Haushaltsrecht. Dafür ist es wichtig, dass die Parlamentarier noch vor der Sommerpause den Entwurf über einen Etat von 481 Milliarden Euro mit einer Neuverschuldung von 44 Milliarden Euro bekommen, denn: "Wir verwalten da fast 500 Milliarden Euro und das ist kein Pappenstiel, sondern das muss ordentlich bearbeitet werden", sagte SPD-Bundestagsmitglied Kühnert am Sonntag im BR Fernsehen.
Politikwissenschaftlerin Münch kritisierte indes, dass in den letzten Jahren, seit der Corona-Pandemie, immer wieder das Parlament unter Zeitdruck gesetzt worden sei – und zwar egal von welcher Regierung. Sie betonte: "Wir haben gewählte Abgeordnete." Diese ständig unter Druck zu setzen, weil man sich nicht geeinigt habe, das gehört sich nicht.
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