Frank-Walter Steinmeier im Interview mit dem BR
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Steinmeier zur Haushaltskrise: Auf alle Szenarien vorbereitet

Der Bundespräsident ist angesichts der schwierigen Haushalts-Beratungen in der Ampel-Koalition auf alles vorbereitet – auch auf Neuwahlen. Das betonte Frank-Walter Steinmeier im Interview mit dem BR.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im BR Fernsehen am .

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist nach eigener Aussage angesichts der Haushaltsstreitigkeiten in der Bundesregierung auch auf das Szenario von möglichen Neuwahlen in Deutschland vorbereitet. "Als Bundespräsident bin ich auf alle Möglichkeiten und Eventualitäten vorbereitet", sagte Steinmeier im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk in Weiden.

Bundespräsident: Menschen sehen Haushaltsdebatte mit Ungeduld

Er schaue mit Interesse auf die Verständigungsbemühungen, die aktuell innerhalb der Bundesregierung für den Haushalt 2025 laufen. "Meine prophetischen Sehensmöglichkeiten sind beschränkt." Er wisse deshalb nicht, ob die Verlängerung der Beratungszeit, die man sich jetzt genommen hat bis Mitte Juli, die Aussichten auf eine Verständigung erhöhen.

Die Verständigungsbemühungen innerhalb einer Dreierkonstellation seien etwas, das die Menschen von außen mit Ungeduld betrachten. In der schwierigen Haushaltslage habe er Verständnis dafür, dass man sie nicht so ganz leicht lösen könne. Es müssten Transformationen im Bereich der Energiewende geschafft werden, dazu komme mit der sogenannten Zeitenwende die Finanzierung des Ausbaus des militärischen Schutzes – bei gleichzeitiger Geltung der Schuldenbremse. Er hoffe, dass die Beratungen zu einer Verständigung führen, so Steinmeier.

Zuvor war bekanntgeworden, dass die Ampel-Spitze im Ringen um den Bundeshaushalt 2025 ihren bisherigen Zieltermin nicht halten werde. In Regierungskreisen geht man inzwischen nicht mehr von einem Kabinettsbeschluss am 3. Juli aus. Angepeilt wird nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur nun der 17. Juli.

Steinmeier sieht Europawahl-Ergebnis mit Sorge

Gefragt nach einer Spaltung in Deutschland nach der Europawahl sagte Steinmeier: So wie in Frankreich und Österreich gebe es auch in Deutschland Ergebnisse, die europafeindlichen Populisten ein bemerkenswertes Wachstum an Stimmen eingebracht haben.

Wenn zwei oder drei große Länder mitten in Europa Desintegrationsbestrebungen zeigen, dann sei das für Europa nicht ganz ungefährlich. Dementsprechend müsse das Wahlergebnis in Deutschland Besorgnis auslösen. Es gebe hierzulande einen deutlichen Unterschied östlich und westlich der Elbe.

Die Sorgen der Menschen aufgreifen

"Es hilft überhaupt nichts, in solchen Situationen, in denen wir sind, in einer Situation der Dauerkrise, in der Krise fast zur Normalität unserer heutigen Gesellschaft geworden ist, es hilft nichts, jeden Abend den Untergang des Landes herbeizurufen, sondern dagegen muss man arbeiten." Bedürfnisse und Sorgen der Bevölkerung müssten von der Politik richtig aufgegriffen werden. Es gehöre auch dazu, dass Politik einfach präsent ist, sagte Steinmeier mit Blick auf seinen dreitägigen Aufenthalt in Weiden.

Er habe sich entschlossen, Berlin immer wieder zu verlassen und zu den Menschen in kleinere Orte wie Weiden zu gehen. Die aktuellen Krisen – von der Eurokrise über die erhöhte Flüchtlingsmigration bis hin zum Ukrainekrieg – hinterließen Spuren bei den Menschen, die unterschiedlich damit umgingen. Manche zögen sich zurück, andere zögen für sich den Schluss, sich zu engagieren und in Verantwortung zu gehen. "Deshalb versuche ich immer wieder – auch hier in Weiden – Menschen zu treffen, die, wie ich finde, die richtigen Schlüsse daraus ziehen, in Verantwortung zu gehen."

Die Rolle der sozialen Medien

Gefragt, wie er mit der Situation umgehe, dass auch Jugendliche sich rechtspopulistischen Parteien zuwenden, nannte Steinmeier die Rolle der sozialen Netzwerke. Die 16- bis 20-Jährigen würden sich zu 40 Prozent nur noch aus den sozialen Medien informieren. Die Technologie, die etwa hinter TikTok stecke, sorge dafür, dass etwas, was man einmal angeklickt hat, in "schrillerer Form" wiederholt wird. Das erzeuge Radikalisierungsprozesse, mit denen "wir politisch noch nicht umzugehen in der Lage sind". Das Medium sei ungeeignet für jemanden, der einen Kompromiss herstellen will. TikTok sei nicht auf Differenzierung angelegt.

Corona mit Langzeitfolgen für Jugendliche

Die Corona-Pandemie sei aus seiner Sicht nicht verantwortlich dafür gewesen, dass auch junge Leute rechtsextrem wählen. Bei der Aufarbeitung der Krise werde sich zeigen, dass der einfache Schuldvorwurf an die Politik "wahrscheinlich nicht in allen Punkten gerechtfertigt" sei. Man habe am Anfang der Corona-Krise nicht viel gewusst: "Man musste austesten, was am besten hilft gegen die Ausbreitung." Man habe aber die Langzeitfolgen von Maßnahmen bei Jugendlichen unterschätzt. Mangels sozialer Kontakte im Lockdown habe sich "etwas abgelagert, das glaube ich ein Teil mangelnder Zukunftsaussicht oder mangelnde Zukunftsperspektive ist." Die Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten seien mit Blick auf den Fachkräftemangel eigentlich gut.

Steinmeier hofft auf Zusammenarbeit bei Migration

Angesprochen auf das Thema Migration sagte Steinmeier, man müsse die Zuwanderung steuern. Das habe er bereits vor Jahren öffentlich geschrieben, dass es nicht jedes Jahr eine Million Flüchtlinge sein dürften, die zu uns kommen. Maßnahmen auf europäischer Ebene seien wichtig. Die Menschen hätten die Erwartung, dass hier die großen demokratischen Parteien auch Formen der Zusammenarbeit finden. "Ich hoffe, es kommt dazu", sagte Steinmeier.

Bundespräsident wünscht sich EM-Titel für Deutschland

Mit Blick auf die Fußball-EM sagte der Bundespräsident, die Stimmung im Land sollte mit der bei der Weltmeisterschaft im Jahr 2006 nicht verglichen werden. "Die Welt ist eine andere, in der dieses Turnier stattfindet", sagte Steinmeier. "Da ragen Kriege und Krisen hinein, die die Stimmung auch beeinflussen und die ein ganz unbefangenes, unbeschwertes Feiern vielleicht für jeden auch nicht zulassen." Dennoch habe sich die Stimmung seit dem Eröffnungsspiel günstig entwickelt.

Steinmeier hofft auf den EM-Titel für die deutsche Mannschaft: "Ich habe die Mannschaft im Trainingslager besucht und ich habe bei einer Nationalmannschaft selten so viel Ehrgeiz, Leidenschaft und Euphorie gesehen wie jetzt in diesem Jahr."

Im Video: Steinmeier in Weiden – Interview mit dem BR

Steinmeier zu Besuch in Weiden
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Steinmeier zu Besuch in Weiden

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