Kaum hatte die Bundesregierung ihren Haushaltsentwurf verabschiedet, kam das nächste Konfliktthema auf: Die SPD fordert die Abschaffung des Ehegattensplittings. Lars Klingbeil, Vorsitzender der Sozialdemokraten, nannte die Regelung ein "antiquiertes Steuermodell, das die klassische Rollenverteilung zwischen Mann und Frau begünstigt." Dem wolle man ein Ende setzen.
Unter anderem Grüne, Linke und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) stimmten zu. Widerspruch kam ebenfalls aus vielen Ecken - darunter von einem Koalitionspartner: Der FDP-Abgeordnete Markus Herbrand nannte den Vorschlag gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" die "Mogelpackung des Jahres". Der Chef der Liberalen in Bayern, Martin Hagen, sprach gegenüber dem BR von einer "Sommerlochdebatte". Die Abschaffung des Ehegattensplittings wäre eine "massive Belastung von Millionen Familien im Land", so Hagen.
Ehegattensplitting gibt es in Deutschland seit 65 Jahren
Das Ehegattensplitting gibt es in Deutschland bereits seit 1958. "Vorher galt für verheiratete Paare die sogenannte Haushaltsbesteuerung", erklärt Martin Beznoska, Steuerexperte beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW), im Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk. "Wenn auch die Frau gearbeitet hat, wurde alles zusammengerechnet und über einen progressiven Tarif gejagt", so Beznoska weiter. Dadurch seien verheiratete Paare benachteiligt gewesen, weil sie einen höheren Steuersatz hatten, als wenn sie unverheiratet gewesen wären. Das Bundesverfassungsgericht hatte die Haushaltsbesteuerung deswegen für verfassungswidrig erklärt, es folgte die Einführung des Ehegattensplittings.
Vereinfacht gesagt wird beim Ehegattensplitting so getan, als wenn jeder Ehepartner genau die Hälfte des versteuernden Einkommens erwirtschaftet habe. Da der Steuersatz höher wird, je höher ein Einkommen ist, wird durch die Halbierung des Gesamt-Einkommens in der Summe ein niedriger Steuersatz angesetzt - und es müssen weniger Steuern gezahlt werden. "Am meisten profitieren Ehepaare, bei denen die Einkommensdifferenz besonders hoch ist", erklärt Martin Beznoska vom Institut der deutschen Wirtschaft.
Und wie viel kostet die Regelung den Staat? "Wenn man den Effekt komplett aufsummiert, dann sind wir bei circa 25 Milliarden Euro, die das Ehegattensplitting ausmacht", so Beznoska weiter.
Was für und gegen das Ehegattensplitting spricht
Das große Argument von den Gegnern der Ehegattensplittings sei, dass der Steuersatz für die Person mit dem geringeren Einkommen im Vergleich zur Individualbesteuerung zu hoch sei. Und hiervon sind deutlich mehr Frauen als Männer betroffen. Die Folge: "Die Arbeitsanreize sind schlecht, viele Zweitverdiener, viele Frauen sind Teilzeit-beschäftigt", sagt Beznoska. Mehr zu arbeiten, lohne sich für diese Menschen kaum, da der Nettoeffekt zu gering sei. Diejenigen, die für ein Ende des Ehegattensplittings sind, würden darin auch eine Zementierung traditioneller Rollenbilder sehen, so Beznoska weiter. Zudem: Das Modell sei auch nur so lange effizient, wie die Ehe hält.
Befürworter sehen laut Beznoska unter anderem die Möglichkeit, die Ehepartner als Einheit zu sehen. Es stehe ihnen damit frei, die Aufgaben von Einkommenserwerb und Care-Arbeit wie Kinderbetreuung in der Familie so aufzuteilen, wie sie das wollen.
Wie kam es zur Debatte?
Entzündet hat sich Debatte rund um den Haushaltsentwurf der Bundesregierung. Dabei regelte die Ampel-Koalition auch das Elterngeld neu: Bisher haben Paare Elterngeld bekommen, wenn das zu versteuernde Gesamt-Einkommen über 300.000 Euro im Jahr lag. Ab 2024 soll diese Grenze bei 150.000 Euro liegen. Das soll aber nur für Familien gelten, deren Kinder ab dem 1. Januar 2024 geboren werden. Wer jetzt schon Elterngeld bezieht, hat auch weiter Anspruch.
An der Neuregelung gibt es viel Kritik. SPD-Chef Lars Klingbeil brachte deswegen den Vorschlag ins Spiel: die Elterngeld-Regelung so lassen wie sie war, dafür das Ehegattensplitting abschaffen. "Ich bin dafür, dass höhere Einkommen mehr schultern und mehr Verantwortung tragen", erklärte Klingbeil. "Aber Verteilungsfragen klärt man über die Steuerpolitik, nicht über das Elterngeld", fügte er hinzu. Das Elterngeld dagegen soll motivieren, dass auch Männer mehr Verantwortung in der Familie übernehmen.
Ehegattensplitting: SPD vs. FDP
Auf die Seite von Klingbeil schlugen sich unter anderem Grüne, Linke und DGB. "Wer die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern am Erwerbsleben und die partnerschaftliche Verteilung von Familienarbeit fördern will, kann das Ehegattensplitting nicht unangetastet lassen", erklärte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack. Es sei "richtig, das Ehegattensplitting zu streichen - anstatt das Elterngeld zu kappen", erklärte auch der Linken-Abgeordnete Christian Görke. Grünen-Chefin Ricarda Lang sagte in Berlin, ihre Partei fordere schon lange eine Abschaffung des Ehegattensplittings. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert erklärte, die Abschaffung würde den Zielen von Gleichstellung und Steuergerechtigkeit gleichermaßen zugutekommen.
Im Ampel-Koalitionsvertrag ist ein Ende des Ehegattensplittings nicht vorgesehen. Die FDP ist strikt dagegen. "Eine Abschaffung des Ehegattensplittings würde niemandem helfen, sondern hätte nur mehr Bürokratie und höhere Belastungen für Familien zur Folge", sagte FDP-Mann Markus Herbrand der "SZ". Er spricht von einer "gigantischen Mehrbelastung für die Mitte der Gesellschaft". FDP Generalsekretär Bijan Djir-Sarai attackierte den Koalitionspartner: Wer immer neue Vorschläge mache, die dem Koalitionsvertrag widersprächen, der provoziere immer neuen Streit.
Auch der Bund der Steuerzahler äußert Kritik. "Wieder einmal soll das Ehegattensplitting abgeschafft werden, um notwendiges Sparen im Bundeshaushalt zu vermeiden", sagte Verbandspräsident Reiner Holznagel der "Rheinischen Post". Eine mögliche Abschaffung nannte er zudem ein "verfassungsrechtliches Risiko".
Abschaffung verfassungsgemäß?
Das sieht IW-Experte Martin Beznoska im BR-Interview ähnlich. "Unser Einkommensteuersystem sagt, dass man nach Leistungsfähigkeit besteuert werden muss". Wenn jemand Unterhalt für jemand anderen zahle - und dazu zählen auch Transfers innerhalb des Ehepaares, wenn ein Partner deutlich weniger oder gar nichts verdient - dann müsse das bei der Besteuerung berücksichtigt werden. "Dieses Leistungsfähigkeitsprinzip schränkt die Reform-Möglichkeiten ein", erklärt Beznoska. Eine mögliche Abschaffung des Ehegattensplittings könne deswegen vom Bundesverfassungsgericht wieder einkassiert werden.
Und was ist Realsplitting?
Eine Alternative wäre die Einschränkung des Ehegattensplittings: zum Beispiel das von Experten häufig vorgeschlagene Realsplitting. Dabei könne eine Grenze gesetzt werden, bis zu der unterschiedliche Einkommen für die Besteuerung ausgeglichen werden können.
Beznoska nennt ein Beispiel: "Man könnte sagen: Bis 10.000 Euro erkennen wir die Unterhaltsverpflichtung an. Dann könnte der eine Partner, der das einzige Einkommen hat, maximal 10.000 Euro 'rüberschieben', und entsprechend weniger wäre der Effekt auf den Steuersatz." Beznoska glaubt, dass die Kosten dann auf unter zehn Milliarden Euro sinken würden - also deutlich weniger als die 25 Milliarden weniger Steuereinnahmen, für die das Ehegattensplittings aktuell sorgt. Beznoska hält die Einführung des Realsplittings zwar für wahrscheinlicher als eine Abschaffung des Ehegattensplittings - "aber in den nächsten Jahren auch eher unrealistisch".
Nur eine "Sommerlochdebatte"?
Ist die Diskussion also nur eine "Sommerlochdebatte", wie es der bayerische FDP-Chef beschreibt? Fragt man Martin Beznoska vom Institut der deutschen Wirtschaft, dann: eher ja. "Die Debatte um die Abschaffung des Ehegattensplittings gibt es schon ewig und gefühlt kommt sie jedes Jahr einmal hoch". Es habe sich bisher immer gezeigt, dass es sehr viel politischen Widerstand gibt. Zum einen aus der FDP, aber "auch viele Mittelschichtswähler der Grünen wären betroffen", sagt Beznoska. "So richtig Reformwille - außer dass man die Debatte befeuert - sehe ich da eigentlich nicht."
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