Wie könnte ein Frieden in der Ukraine in absehbarer Zeit aussehen? SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich schlug jüngst vor, den Krieg einfach einzufrieren und dann zu einem späteren Zeitpunkt zu beenden. Ein realistisches Szenario? Sicherheits- und Verteidigungsexperte Nico Lange widerspricht im BR24-Interview.
BR24: Herr Lange, ist es ein realistisches Friedensszenario, den Krieg in der Ukraine im aktuellen Zustand einfach einzufrieren?
Nico Lange: Aus meiner Sicht ist das Populismus. Und Populismus, der in diesem Fall über Frieden redet, ist sogar gefährlich. Und so zu tun, als könne man irgendetwas machen, damit der Krieg an der Frontlinie stehen bleibt und dann leben wir alle weiter, ist populistisch. Denn es gibt überhaupt gar keine Anzeichen dafür, dass das irgendjemand der Involvierten möchte, also dass sich jemand darauf einlassen würde.
Es gibt gar keine Anzeichen dafür, dass das ein Einfrieren des Krieges zu einem Frieden beitragen würde. Denn der Konflikt war ja eingefroren, bis Wladimir Putin am 24. Februar 2022 seinen großen Angriff gestartet hat.
Im Video: Ukraine-Krieg einfrieren: Friedenslösung oder Todesurteil?
BR24: Das heißt, die Diskussion über ein mögliches Einfrieren des Krieges weckt falsche Hoffnungen?
Lange: Niemand kann sagen: So, jetzt hört doch mal auf zu kämpfen und friert den Konflikt ein. Was würde Wladimir Putin denn tun, wenn man das sagt? Der sagt: Also nur, weil die Ukraine nicht mehr angreift und nur, weil die Ukraine keine Munition mehr hat, deswegen höre ich doch nicht auf zu kämpfen. Gerade dann mache ich weiter. Also, wo ist denn das Instrument, mit dem man den Konflikt einfrieren könnte? Das Problem ist doch gerade, dass Putin den Krieg nicht eingefroren lassen wollte. Deswegen hat er doch angegriffen. Und deswegen finde ich diese Formulierung, man könne den Konflikt einfrieren, auch populistisch, weil das eine Problemlösung suggeriert, die es überhaupt gar nicht gibt.
Krieg einfrieren "keine langfristige Lösung"
BR24: Gibt es denn Beispiele aus der Vergangenheit, wo das Einfrieren von Konflikten bereits funktioniert hat?
Lange: Die eingefrorenen Konflikte, die mit Russland zu tun haben, die sind alle einmal eingefroren worden, weil Russland gesagt hat: Wir gehen da nicht ganz raus. Wir frieren da noch eine kleine Präsenz ein, damit wir die später wieder nutzen können, um dann einen Konflikt aufzumachen. Und genau das haben wir ja in Abchasien, in Südossetien, in Transnistrien, auf der Krim und im Donbass in den letzten Jahrzehnten gesehen.
Also aus russischer Perspektive ist Einfrieren nur ein temporärer Punkt, um dann später wieder das zu nutzen. Das ist jedenfalls keine langfristige Lösung. Und aus der Sicht der Staaten, die betroffen sind, muss man sich klarmachen: Einfrieren bedeutet, dass man dauerhaft russische Truppen da hat, wo sie nicht sein sollten. Dass man eigene Gebiete hat, die man nicht kontrolliert. Dass man Russland im Grunde damit ein Vetorecht gibt, auch für Fragen wie die EU-Mitgliedschaft und die Nato-Mitgliedschaft.
Frieden durch Nato-Mitgliedschaft der Ukraine?
BR24: Wäre denn eine Nato-Mitgliedschaft für die Ukraine Teil der Lösung?
Lange: Wenn wir wollen, dass es einen Kompromiss gibt, selbst wenn die Ukraine Teile ihres Gebiets künftig nicht kontrolliert oder zumindest auf absehbare Zeit nicht kontrolliert - darauf läuft es ja dann hinaus - dann müssen wir der Ukraine zunächst einmal für das Gebiet, das sie kontrolliert, die Möglichkeit einräumen, Mitglied der Nato zu werden. Denn nur dann ist klar, dass dieses Gebiet sicher ist, dass man da investieren kann, dass die Menschen dort wieder alles aufbauen können und dass sie dort friedlich leben können.
Es ist aus meiner Sicht nicht ehrlich und weckt populistisch falsche Hoffnung, wenn man sagt: Wir wollen das einfrieren. Wir wollen aber auch nicht so richtig viel helfen. Eine Nato-Mitgliedschaft wollen wir auch nicht. Und deutsche Truppen in die Ukraine schicken wollen wir schon gar nicht. Das ist etwas, das nicht funktionieren kann.
Im Audio: Ukraine-Krieg einfrieren? "Das ist Populismus!", sagt Nico Lange.
BR24: Bei dieser Lösung müsste man dann allerdings große Teile der Ukraine, die aktuell unter russischer Besatzung stehen, aufgeben?
Lange: Das Saarland zum Beispiel war bei Deutschlands Beitritt zur Nato überhaupt nicht Teil Deutschlands. Es ist dann erst später dazugekommen. Und auch die neuen Länder nach der deutschen Wiedervereinigung sind ja durch ihren Beitritt zur Bundesrepublik dann unter den Schutzschirm der Nato geraten und man hat Lösungen gefunden für diese Probleme.
Vielleicht muss man also die historischen Beispiele noch einmal ansehen und kreativ darüber nachdenken, wie eben eine Einladung der Ukraine zu Mitgliedschaftsgesprächen in der Nato möglich ist, auch um Putin zu signalisieren: Es ist jetzt Schluss. Wir ziehen die Grenze der Nato so, dass klar ist: Darüber kannst du nicht hinweggehen und das werden wir kollektiv verteidigen. Und das wissen wir ja nun aus Jahrzehnten der deutschen Teilung und auch der Teilung Europas: Diese Art von Abschreckung, die hat funktioniert, und das hat zu Frieden geführt, der sehr lange gehalten hat.
Neuer Eiserner Vorhang "nicht unbedingt negativ"
BR24: Das Ergebnis wäre dann, wenn wir bei dieser Analogie bleiben, ein neuer Eiserner Vorhang in Europa?
Lange: Wir haben es mit jemandem zu tun, der aus seinen Vorstellungen von russischem Imperialismus heraus den größten Krieg seit dem Zweiten Weltkrieg gestartet hat. Und ich glaube, Putin zu stoppen und den russischen Imperialismus mit Putin an der Spitze davon abzuschrecken, weitere Überfälle zu begehen, ist das Ziel, was wir im Moment erreichen können. Und wenn das jemand einen neuen Eisernen Vorhang nennt, dann würde ich das nicht unbedingt sofort negativ sehen, wenn das eine Möglichkeit ist, Stabilität und Frieden wiederherzustellen und vor allen Dingen dann dauerhaft zu behalten.
BR24: Danke für das Gespräch.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!