Benjamin Netanjahu
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Vorwürfe und Dauerdemos in Israel: Netanjahu unter Druck

Das Kriegskabinett hat er aufgelöst, die Militärführung wirft ihm Entscheidungsschwäche vor, die Proteste gegen ihn nehmen an Schärfe zu: Israels Premierminister Netanjahu steht unter massivem Druck. Was das für das Land bedeutet.

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Was Israels Radiohörer in den heutigen Morgennachrichten des öffentlich-rechtlichen Senders "KAN" präsentiert bekamen, spiegelte die angespannte innenpolitische Lage des Landes im neunten Kriegsmonat eindrucksvoll wider.

Unangenehme Nachrichten für die Genehmigung

Die erste Meldung: Der Militärgeheimdienst habe drei Wochen vor dem 7. Oktober in einem vertraulichen Bericht für die sogenannte Gaza-Division davor gewarnt, die Hamas plane, militärische Einrichtungen sowie Ortschaften anzugreifen. In dem Bericht seien Manöver beschrieben worden, "die von Hamas-Terroristen durchgeführt wurden, um die Infiltration von IDF-Stützpunkten zu üben." Ebenfalls seien "die Pläne der Hamas zur Entführung von 200 bis 250 Soldaten und Zivilisten erwähnt" worden.

Die zweite Nachrichtenmeldung: Am Montagabend sei es zu heftigen Zusammenstößen zwischen der Polizei und regierungskritischen Demonstranten in der Nähe des Hauses des Premierministers in der Azza Street in Jerusalem gekommen. Dabei hätten Hunderte von Demonstranten eine Polizeiabsperrung durchbrochen und seien von der Polizei zurückgedrängt worden. Eine Ärztin sei durch einen Wasserwerfer am Auge verletzt worden und könne ihr Augenlicht verlieren.

Die Ärztin, Dr. Tal Weissbach, sagte im Interview mit dem Radiosender KAN: "Ich trug eine fluoreszierende Weste mit der Aufschrift 'Arzt'. Die konnte der Fahrer des Wasserwerfers auf keinen Fall übersehen. Und ich bekam einen Strahl direkt in den Rücken, der mich in die Luft schleuderte. Das ist alles fotografiert worden. Ich wurde nach hinten geschleudert und stand mit dem Gesicht zum Wasserwerfer, und so habe ich den Strahl direkt in mein linkes Auge bekommen." Die Polizei habe mindestens neun Demonstranten festgenommen. Zeitgleich hätten Tausende von Menschen am Montagabend vor der Knesset demonstriert und vorgezogene Wahlen gefordert.

"Woche der Störungen"

Dies werde die "Woche der Störungen", hatte die sehr heterogen zusammengesetzte Protestbewegung als Motto ausgegeben. Damit solle deutlich gemacht werden, dass die seit Monaten andauernden Demonstrationen gegen den Premierminister ausgeweitet werden würden. Benjamin Netanjahu blockiere aus Rücksicht auf seine rechtsextremen Koalitionsmitglieder immer wieder eine Verhandlungslösung für eine Waffenruhe und die Freilassung der Geiseln.

Doch die Proteste scheinen nichts an den machtpolitischen Realitäten zu ändern, eher im Gegenteil: Die Regierungskoalition mit ihrer knappen Parlamentsmehrheit von 64 der 120 Mandate betrachtet die Demonstranten, darunter viele Angehörige der Geiseln und deren Unterstützer, längst als innenpolitische Feinde. Das Anti-Regierungslager sei der verlängerte "Arm der Hamas", sagte Netanjahus Partei- und Fraktionskollege vom rechten Likud, Nissim Vaturi, dem ultraorthodoxen Radiosender "Kol BaRama". Wem würden die Demonstrationen denn nutzen, "wenn nicht der Hamas?"

Ein Land "im Tunnel"

Das Land befinde sich "in einem Tunnel", analysiert die Tageszeitung "Yedioth Acharonot". Es sei längst nicht mehr die "Frage von links oder rechts" oder ob man für oder gegen Netanjahu sei. Es handele sich "um die schlimmste Krise seit der Gründung des Staates". Der Premierminister, so heißt es in der auflagenstarken Tageszeitung weiter, habe bereits vor Monaten angekündigt, dass der "totale Sieg in greifbarer Nähe" sei. Die außenpolitischen Rückschläge nähmen kein Ende. Benjamin Netanjahu "wird uns nicht zum totalen Sieg führen. Und wenn dieser Mann uns nicht bald verlässt, sind wir nur noch einen Schritt vom totalen Scheitern entfernt".

Dauerkonflikte mit der Armeeführung

Israelische Militärkorrespondenten charakterisieren seit vielen Monaten bereits das Verhältnis zwischen der Armeeführung und dem Premierminister als sehr angespannt. Einer der ursprünglichen Gründe: Netanjahu habe beständig die Verantwortung, und damit die Schuld, für das Versagen der Armee am 7. Oktober dem Generalstab der Streitkräfte sowie dem Chef des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet zuschieben wollen.

Doch nach dem Rücktritt der beiden Minister und Ex-Generalstabschefs Benny Gantz sowie Gadi Eizenkot aus dem sogenannten Kriegskabinett vor einer Woche würden die "äußerst angespannten Beziehungen" zwischen Armeeführung und Netanjahu "bald vor einem weiteren Hindernis stehen", schreibt der Militärkorrespondent Amos Harel der Tageszeitung "Ha’aretz". Netanjahu hatte zu Beginn der Woche das Kriegskabinett aufgelöst, in erster Linie, um den Forderungen des rechtsextremen Sicherheitsministers Itamar Ben Gvir den Boden zu entziehen, der anstelle der beiden Ex-Generäle in das Gremium aufgenommen werden wollte.

Keine Einigkeit über Ziele des Krieges

Nunmehr stünden sich Verteidigungsminister Joaw Gallant, den Netanjahu als machtpolitischen Kontrahenten betrachtet, und der Premierminister gegenüber, "diesmal auf die Ziele des Krieges konzentriert". Gallant und die Generäle würden eine rasche Beendigung der Militäreinsätze in Rafah im Süden des Gazastreifens befürworten. Die Truppen seien erschöpft, zudem müsse sich die Armee auf eine mögliche Eskalation an der israelischen Nordgrenze vorbereiten.

Netanjahu hingegen ließ seinen Vertrauten, Ex-General Effi Eitam, nach der Kabinettssitzung am vergangenen Sonntag im Radiosender "103FM" mitteilen: Der Krieg werde noch drei Jahre andauern: Ein Jahr im Gazastreifen, ein Jahr im Libanon und ein drittes Jahr "um alles zu gestalten, was mit dem Iran zu tun hat".

Im Video: Proteste gegen die Regierung Netanjahu gehen weiter

17.6.2024: Demonstration in Jerusalem
Bildrechte: Reuters/Marko Djurica
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Bei einer Demonstration in Jerusalem kam es zu heftigen Zusammenstößen

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