Benny Gantz, ein zentrales Mitglied des dreiköpfigen israelischen Kriegskabinetts, gibt eine Erklärung ab.
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Benny Gantz

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Israels Premier Netanjahu hat mit Minister Gantz viel verloren

Der Rückzug von Benny Gantz ändert an der knappen Parlamentsmehrheit von Premier Netanjahu nichts. Nach dem 7. Oktober war er als Oppositionschef ins Kriegskabinett eingetreten. Netanjahu verliert mit ihm mehr, als es den Anschein hat. Eine Analyse.

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Seit langem war damit gerechnet worden. Niemand in Israel war am Sonntagabend überrascht, als Ex-Generalstabschef und Minister Benny Gantz vor die Kameras trat und das bekannt gab, was er schon vor Wochen angekündigt hatte: seinen Rückzug aus dem sogenannten Kriegskabinett. Wiederholt hatte Gantz zu erkennen gegeben, dass er immer größere Zweifel an der Kriegsführung des Premierministers und dessen postulierten Ziele hatte.

Gantz war nach dem Terrormassaker der Hamas vom 7. Oktober als Vorsitzender der Oppositionspartei "Nationale Einheit" und ehemaliger Verteidigungsminister in das engste Entscheidungsgremium des Landes in Kriegszeiten eingetreten. Zusammen mit seinem Parteifreund Gadi Eisenkot, ebenfalls ein früherer Chef der Streitkräfte, hatte Gantz lange gezögert, wann und unter welchen Umständen sie dem Premierminister den Rücken zukehren sollten. Je länger der Gaza-Krieg andauerte, desto mehr nahm der vormals beträchtliche Vorsprung von Benny Gantz vor Benjamin Netanjahu in den allwöchentlich erhobenen Umfragezahlen ab. Die politische Glaubwürdigkeit von Gantz und seiner Partei nahm in dem Maße ab, indem für das In- und Ausland immer erkennbarer wurde, dass Netanjahu nicht die geringste Absicht hatte, sich in irgendeiner Weise über eine Nachkriegsordnung festzulegen.

Medien: Gantz hätte früher gehen sollen

Benny Gantz hätte schon viel früher das Kriegskabinett verlassen müssen, wie das selten einhellige Medienecho in Israel am Tag danach lautet. "Sie mögen einen Fehler gemacht haben, als sie zu Beginn des Krieges der Regierung beitraten", urteilt der langjährige Kommentator Nahum Barnea in der Tageszeitung "Yedioth Achronoth". Gantz und Eisenkot hätten allerdings in "jedem Fall einen Fehler gemacht", als sie die Regierung im Frühjahr nicht verlassen hätten, "nachdem der Krieg an Schwung verloren und Netanjahu jede weitere Geiselbefreiung vereitelt hatte." Es sei für die beiden Ex-Armeechefs Gantz und Eisenkot indes "immer schwieriger geworden, sich mit dem verlogenen Universum abzufinden, das der Premierminister ihnen aufgezwungen hat." Und dies sei einer der Gründe für deren Rückzug aus dem Kriegskabinett gewesen.

Netanjahu allein mit seinen rechtsextremen Partnern

Es dauerte nach der Erklärung von Benny Gantz am Sonntagabend nur wenige Stunden, bis sich Netanjahus rechtsextreme Koalitionspartner mit neuen Ansprüchen sogleich zu Wort meldeten: Finanzminister Smotrich und Sicherheitsminister Ben Gvir forderten nun einen Stuhl am Tisch des Kriegskabinetts. Der Rücktritt von Gantz sei "eine große Chance", so Itamar Ben Gvir. Denn in vielen Fällen hätten Gantz und Eisenkot der Kriegsführung im Gazastreifen "im Wege gestanden". Jeder Minister sollte Mitglied im Kriegskabinett werden, "der die Bombardierung Gazas fordert". Jubelnd fügte Smotrich hinzu: "Wir haben es geschafft, die Forderung von Gantz zu vereiteln, einen palästinensischen Staat zu errichten." Bei einer Sitzung seiner religiös-zionistischen Parlamentsfraktion warf Smotrich dem Ex-Generalstabschef vor, Gantz habe persönliche und politische Motive über die nationalen Interessen gestellt.

Netanjahu ist nun mehr denn je auf seine Koalitionspartner aus dem ultra-orthodoxen und dem rechtsextremen Lager angewiesen, will er die knappe Mehrheit von 64 Sitzen in der 120 Mandate umfassenden Knesset aufrechterhalten. Solange Benny Gantz Mitglied des Kriegskabinetts war, hatte der Premierminister ein wenig mehr innen- wie außenpolitische Manövriermasse zur Verfügung und war nicht, wie jetzt, auf Gedeih und Verderb auf Smotrich und Ben Gvir angewiesen. Die beiden Minister, die unter anderem die vollständige Annexion des besetzten Westjordanlandes, die Fortsetzung des Krieges und die spätere Wiederbesiedlung des Gazastreifens mit israelischen Staatsbürgern verlangen, wissen um ihren Machtzuwachs – und lassen dies Netanjahu mehr denn je spüren.

US-Regierung trauert Gantz nach

US-Präsident Joe Biden sowie seine Kabinettsmitglieder haben seit Monaten bereits kein Vertrauen in die Äußerungen des israelischen Premierministers. Während die US-Regierung mit der Einladung von Benny Gantz nach Washington im Frühjahr ein deutliches diplomatisches Signal gegen Netanjahu setzte, wartet der Premier seit seinem Amtsantritt im Dezember 2022 auf eine Einladung ins Weiße Haus. Netanjahu ließ sich von den Republikanern im US-Kongress einladen und will am 22. Juli vor beiden Kammern des Hauses sprechen. Ein diplomatischer Affront, wie ihn Netanjahu bereits 2015 zu Ende der Amtszeit von US-Präsident Barack Obama bewusst begangen hatte.

Benny Gantz galt der Biden-Administration als ein verlässlicher und seriöser Partner, der als Mitglied des Kriegskabinetts über erheblichen Einfluss auf die Kriegsführung Israels hatte. Die Verärgerung Bidens über "Bibi", wie der US-Präsident den Premier seit Jahrzehnten oftmals nennt, war so groß, dass Biden vor zehn Tagen öffentlich den Drei-Stufen-Plan zur Beendigung des Krieges, Freilassung der Geiseln und zum Wiederaufbau des nahezu vollständigen zerstörten Gazastreifens präsentierte. Einen Plan, dem das israelische Kriegskabinett zuvor zugestimmt habe, einschließlich des Premierministers, wie "Yedioth Achronoth" berichtet. Biden habe nicht mehr länger warten wollen und den Premier endlich zu einer Entscheidung zwingen wollen.

"Doch in dem Moment, als Biden den Plan öffentlich bekannt gab, zog Netanjahu zurück. Bidens Klarheit erschreckte ihn. Vor Smotrich und Ben Gvir fürchtete er sich." Stattdessen machte sich US-Außenminister Anthony Blinken am Montag erneut auf den Weg nach Kairo und Jerusalem, um den Plan für die Geiselfreilassung und die Waffenruhe voranzutreiben. Blinken werde in Israel dabei nicht allein mit dem Premierminister sprechen, sondern auch mit Ex-Minister Benny Gantz.

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