Jimmie Åkesson, Vorsitzender der Schwedendemokraten.
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Jimmie Åkesson, Vorsitzender der Schwedendemokraten.

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Warum die Rechtspopulisten in Schweden an Rückhalt verlieren

In weiten Teilen Europas gewinnen die Rechten an Zuspruch. Nicht so in Schweden. Dort erleben die "Schwedendemokraten" bei der Europawahl eine herbe Niederlage. Erst kürzlich hatten Journalisten eine Trollfabrik in der Partei aufgedeckt.

Gangkriminelle, Raubüberfälle, brennende Polizeiautos – es ist ein düsteres Bild, das die Schwedendemokraten in ihrem Wahlwerbespot von Schweden zeichnen. Das alles sei ihr Europa – das Europa der etablierten Parteien. Im Kontrast dazu spaziert Jimmie Åkesson, Vorsitzender der Schwedendemokraten, wahlweise mit Sonnenhut oder im Fußballtrikot durch skandinavische Katalog-Landschaften, bunte italienische Straßen, oder trinkt ein Bier auf dem Münchner Oktoberfest. Probleme sind in seinem Europa nicht zu sehen. "Mein Europa baut Mauern", lautet der Wahlslogan, der vor der Europawahl überall im Land auf Plakaten zu lesen war.

Migration kein Hauptthema für die Schweden

Die Botschaft ist klar: Die Probleme kommen von außerhalb Europas. Die Schwedendemokraten wollten die Migration zum Hauptthema im Wahlkampf machen, erklärt Sirus Håfström Dehdari. Der Politikwissenschaftler forscht an der Universität Stockholm zu rechtsextremen Parteien. Die Strategie habe aber nicht verfangen. Nach einer Umfrage des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders SVT findet sich Migration nicht einmal unter den Top 10 Themen, die die Schwedinnen und Schweden für die Europawahl als besonders wichtig erachten. Stattdessen führen Frieden in Europa, Demokratie und Klima das Ranking an. Auf alle diese Fragen konnten die Rechtspopulisten keine Antworten liefern, sagt Dehdari.

Schwedendemokraten verlieren zum ersten Mal bei einer Wahl

Die Schwedendemokraten erleben bei dieser Europawahl eine Niederlage. Platz 2 war ihr Ziel, am Ende reicht es nur für Platz 4. Mit 13,2 Prozent landen die Rechtspopulisten laut vorläufigem Ergebnis hinter den Sozialdemokraten, den Moderaten und überraschenderweise auch der Umweltpartei, die zu den größten Gewinnern zählt. Damit bleiben die Schwedendemokraten gut zwei Prozentpunkte hinter ihrem letzten Europawahl-Ergebnis zurück. Im Vergleich zur schwedischen Parlamentswahl vor zwei Jahren ging es sogar um gut sieben Prozentpunkte bergab. Es ist die erste landesweite Wahl überhaupt, bei der die Partei keine Zugewinne im Vergleich zur vorangegangenen Wahl verzeichnen kann. Man habe sich schwergetan, die Wähler zu mobilisieren, sagt Parteisekretär Mattias Bäckström Johansson am Wahlabend. Die Wahlbeteiligung lag in Schweden bei rund 51 Prozent und damit deutlich niedriger als bei der letzten schwedischen Parlamentswahl, bei der rund 84 Prozent der Berechtigten abstimmten.

Trollfabrik in Parteizentrale: Skandal erschüttert Politik

Die Verluste der Rechtspopulisten dürften auch auf das politische Erdbeben zurückzuführen sein, das Schweden erst vor einigen Wochen erschüttert hat. Journalisten des privaten Fernsehsenders TV4 hatten enthüllt, dass die Kommunikationsabteilung der Schwedendemokraten eine Trollfabrik betreibt. Mittels anonymer Konten verbreitet die Partei in sozialen Netzwerken manipulierte Videos und Falschinformationen. Nach der Veröffentlichung des Berichts ging Parteichef Jimmie Åkesson in den Angriffsmodus über. In einer Rede an die Nation auf YouTube sprach er von gezielter Einflussnahme des linksliberalen Establishments auf die bevorstehende Wahl. Alle Vorwürfe seien falsch.

"Der aggressive Ton hat viele Wählerinnen und Wähler abgeschreckt", ist Politikwissenschaftler Sirus Dehdari überzeugt. Im Wahlkampf habe die Partei den Frontalangriff auf die Medien laufend wiederholt und den Skandal damit selbst immer und immer wieder thematisiert. Noch am Tag vor der Europawahl haben die Schwedendemokraten massenweise SMS an Nummern in Stockholm verschickt, mit der Botschaft, TV4 wolle die Partei sabotieren.

Blumenlogo und gemäßigte Töne

Dabei sei es den Schwedendemokraten, die 1988 als rechtsextreme Kleinstpartei gegründet wurden, ab den späten 90er-Jahren gelungen, konsensfähiger zu werden – mithilfe eines freundlicheren Auftretens, sagt Sirus Dehdari. Gemäßigtere Reden, buntes Erscheinungsbild: Ihr Logo, eine Blume in blau-gelben Landesfarben, strahlte auch vor dieser Europawahl als Wahlwerbung etwa auf Fähren des öffentlichen Stockholmer Nahverkehrs.

Minderheitsregierung mit Duldung der Rechtspopulisten

Zwischen 1998 und 2018 konnten die Schwedendemokraten ihr Ergebnis von Wahl zu Wahl nahezu verdoppeln. Ihren Höhepunkt erlebten sie 2022, als sie bei den schwedischen Parlamentswahlen mit 20,5 Prozent zweitstärkste Kraft nach den Sozialdemokraten wurden. Seitdem wird das Land von drei Parteien aus dem rechts-konservativen Lager regiert: den Moderaten, die auch den Ministerpräsidenten Ulf Kristersson stellen, den Christdemokraten und den Liberalen. Die Minderheitsregierung ist allerdings auf die Unterstützung der Schwedendemokraten angewiesen. Vor allem die Gewalt durch Drogengangs, die in Schweden seit einigen Jahren eskaliert, hatte das über viele Jahre sozialdemokratisch regierte Land nach Einschätzung von Experten zuletzt politisch nach rechts gerückt. Die von den Rechtspopulisten geduldete Regierung will das Problem mithilfe des Militärs, härteren Strafen und strengeren Migrationsregeln in den Griff bekommen.

"Die Wähler sind nicht zufrieden"

Die zurückliegende Europawahl sei somit auch die erste, bei der die Schwedinnen und Schweden "ihre Unzufriedenheit mit der Regierungsseite" zeigen konnten, erklärt der schwedische Politikwissenschaftler Magnus Hagevi. "Auch wenn sich die Schwedendemokraten als Opposition präsentieren, sind sie doch eigentlich eher Teil der Regierung", ergänzt Sirus Dehdari. Gerade in den südschwedischen Hochburgen der Partei müssen die Schwedendemokraten große Verluste hinnehmen. Die Wähler seien nicht zufrieden mit ihrer Arbeit, meint Dehdari. Fraglich bleibe nur, wie die Partei reagiert – ob sie künftig gemäßigter oder noch radikaler auftritt. Erst vor einer Woche hatte Parteichef Jimmie Åkesson in einem Zeitungsartikel behauptet, durch die Zuwanderung finde in Schweden ein großer "Bevölkerungsaustausch" statt. Der Abgeordnete der Schwedendemokraten David Lång sang nun auf einer Wahlparty am Sonntagabend den Hit "L'amour toujours" mit deutschem, migrationsfeindlichem Text, und musste prompt zurücktreten.

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